Steuern:Der letzte Haushalt

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kann aus dem Vollen schöpfen, doch er stellt recht bescheidene Steuersenkungen von 15 Milliarden Euro in Aussicht. Es wäre mehr als das Doppelte angesagt, rechnen die Steuerschätzer des Bundes vor.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Der Haushalt macht mit Finanzminister Schäuble wenig Probleme: Er kündigt Steuersenkungen von 15 Milliarden Euro an, Experten finden, es ist mehr drin. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Eigentlich ist alles gelaufen, neigen sich acht Jahre Amtszeit als Bundesfinanzminister einem Ende zu, das vielleicht vorläufig ist, aber doch erfolgreich - da kommt Wolfgang Schäuble überraschend in akute Erklärungsnot. Und das ausgerechnet in einer Paradedisziplin, bei der Begründung, warum nur 15 Milliarden Euro Steuersenkung, vielleicht ein wenig mehr, möglich sein sollen nach der Bundestagswahl. Eine Nachfrage macht deutlich, dass der finanzielle Spielraum offenbar deutlich größer ist und bei 34 bis 45 Milliarden Euro liegt. Doch der Reihe nach.

Schäuble hat am Mittwoch den Bundeshaushalt 2018 im Kabinett verabschieden lassen nebst einer Finanzplanung bis 2021. Es ist ein Haushalt, der so nie in Kraft treten wird, weil die nächste Bundesregierung ihre eigenen Schwerpunkte setzen und damit die Zahlen verändern wird. Schäubles Entwurf dient deshalb nur als Grundlage für die Planungen der kommenden Koalition. Schäuble betont bei seiner Vorstellung auch, dass sein Entwurf kein Wahlkampfhaushalt ist, sondern das Ergebnis von vier Jahren Regierungsarbeit. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: keine neuen Schulden 2018 und darüber hinaus auch keine bis 2021. Dazu gebe es viel Spielraum, auch für Steuersenkungen.

Die natürlich maßvoll ausfallen müssen. Um das zu begründen, wiederholt der Bundesfinanzminister seine Rechnung, warum es eben nur Steuersenkungen im Umfang von 15 Milliarden Euro geben sollte - und nicht viel mehr, wie politische Konkurrenten und Wirtschaftsleute der Union angesichts der Überschüsse in den Haushalten von Bund und Ländern fordern.

Schäuble, der gerne erzählt, dass er einst in der Steuerverwaltung gearbeitet hat und deshalb mit Details der Steuerverwaltung ebenso vertraut ist wie mit Steuerpolitik, greift auf ein finanzwirtschaftliches Argument zurück, um die 15 Milliarden Euro zu verteidigen: auf die Steuerquote. Diese Quote beschreibt das Verhältnis von Steuereinnahmen bezogen auf die gesamtwirtschaftliche Leistung - und sie ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen.

Der Staat beansprucht also immer mehr von dem, was in einem Jahr erwirtschaftet wird. Schäuble will das ändern und die Steuerquote auf dem Stand des Jahres 2014 einfrieren - es war das erste Jahr, in dem der Bundeshaushalt ausgeglichen war. Schäuble will die Steuerquote um 0,5 Prozentpunkte reduzieren, das sind etwa 15 Milliarden Euro, die den Steuerzahlern zurückgegeben werden sollen. Soweit war alles klar am Mittwoch, bis dann plötzlich die Prognose des seriösen Arbeitskreises Steuerschätzung ins Gespräch kam. Danach steigt die Steuerquote bis 2021 deutlich steiler an. Um auf den Stand von 2014 zu kommen, wären 2019 Steuererleichterungen von 34 Milliarden Euro und 2021 sogar von 45 Milliarden Euro angesagt.

Also ist doch mehr drin als vorgerechnet? Der Bundesfinanzminister sucht nach Worten, die ihm aber nicht so recht einfallen. "Ich glaube nicht, dass Ihre Rechnung zutreffend ist", sagt er dann in Richtung des Fragestellers. Und außerdem seien seine Angaben als "Anhaltspunkte" zu verstehen; "Sie können nicht nur nach Zahlen gehen", fügt er an. Das Argument der Steuerquote zieht nicht mehr.

,,Keine neuen Schulden" soll der Nachfolger machen. Der könnte er selbst sein - nach der Wahl

Dennoch, was sein Vermächtnis als Bundesfinanzminister betrifft, so hat Schäuble - anders als etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel - die Dinge auskömmlich geregelt. Seinem Nachfolger in der Wilhelmstraße hat er eine Aufgabe ins Stammbuch geschrieben, die kaum einzuhalten ist: "keine neuen Schulden".

Die Gesamtbilanz Schäubles als Bundesfinanzminister ist tatsächlich rekordverdächtig. Merkel holte ihren Vertrauten 2009 als Bundesfinanzminister inmitten der Finanzkrise ins Amt. Es war eine Überraschung. In seinem ersten Jahr musste Schäuble noch 86 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Deutschland riss sämtliche Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Acht Jahre später präsentiert Schäuble seinen (vorerst) letzten Bundeshaushalt mit einer Schwarzen Null. Vier Jahre lang, eine volle Legislaturperiode also, ist er ohne neue Schulden ausgekommen. Und für die nächsten vier Jahre soll es so bleiben, jedenfalls geht das aus der mittelfristigen Finanzplanung hervor, die das Bundeskabinett an diesem Mittwoch ebenfalls beschlossen hat.

Ob Schäuble sein eigener Nachfolger werden wird, hängt natürlich vom Wahlergebnis ab. Er selbst lässt jedenfalls keinen Zweifel an seinen Ambitionen aufkommen. Eine solche Aufgabe wie die des Bundesfinanzministers müsse man mit Freude machen, sonst könne man die Anstrengungen nicht ertragen, sagt Schäuble am Mittwoch. Und: "Ja, ich habe diese Freude."

Aber die Personalfragen werden eben erst nach der Bundestagswahl diskutiert. Und so leicht wie vor vier Jahren dürfte es für die Union nicht werden, den prestigeträchtigen Posten, der als Neben-Kanzleramt gilt, wieder zu besetzen. In der SPD gilt es als schwerer Fehler, 2013 auf das Amt verzichtet zu haben. Sofern die Sozialdemokraten 2017 an der Regierungsbildung beteiligt sein sollten, soll dieser Fehler ausgemerzt werden, ist in der Bundestagsfraktion und in der SPD-Parteispitze zu hören.

Schäuble selbst räumt ein, dass er von günstigen Umständen profitiert hat. Zinsersparnisse im dreistelligen Milliardenbereich, günstige Wechselkurse, niedrige Rohstoffpreise. Das alles hat die Konjunktur befeuert, und zusammen mit wieder steigenden Löhnen - nach zuvor jahrelangem Lohnverzicht - sind eben auch die Steuereinnahmen gestiegen.

Schäuble hat das viele Geld auch genutzt, um Politik zu machen und eigene Fehler in der Regierungsarbeit auszubügelen. Wie etwa die Folgen des schwarz-gelben Sparpaketes von 2010, an dem die Wirtschaft mit einer Finanztransaktionsteuer und einer Brennelementesteuer beteiligt werden sollte. Erstere gibt es immer noch nicht, letztere wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert - der Bund zahlt mehr als sieben Milliarden Euro zurück. Zahlen musste Schäuble auch, um Banken zu retten; die deutschen Steuerzahler verloren einen zweistelligen Milliardenbetrag. Zehn Milliarden Euro jährlich kostet der Länderfinanzausgleich, mehr als zwanzig Milliarden Euro die Folgen der Migration. Die Kosten der Griechenlandhilfen werden dagegen erst Schäubles Nachfolger zu tragen haben - falls Kredite ausfallen.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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