Sterne-Koch Jürgens:"Früher dachte ich: Ich muss, ich muss, ich muss"

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Christian Jürgens hält drei Michelin-Sterne für das Restaurant Überfahrt am Tegernsee. (Foto: picture alliance / dpa)

Christian Jürgens, 46, ist Chef des Restaurants Überfahrt am Tegernsee. Es macht, sagt Jürgens, Gewinn. Seinen ersten Michelin-Stern verdiente er 1998 als Küchenchef des Restaurants Am Marstall in München. Den zweiten bekam er 2001 als Chef de Cuisine des Restaurants Kastell im Hotel Burg Wernberg in der Oberpfalz. Ein Gespräch über Ehrgeiz und eigene Grenzen.

Von Elisabeth Dostert

SZ: Herr Jürgens, Sie hatten gerade vier Wochen Betriebsferien. An wie vielen Tagen haben Sie nicht an das Restaurant gedacht?

Christian Jürgens: An 21 Tagen. Ganz kann ich leider nicht abschalten.

Wie viele Stunden verbringen Sie täglich im Restaurant an wie vielen Tagen die Woche?

Ich verbringe selten weniger als zwölf Stunden im Restaurant an mindestens fünf Tagen die Woche. Wenn ich dann abends nach Hause komme, bin ich auch richtig müde. Montag und Dienstag ist das Restaurant geschlossen.

Michelin Guide 2015
:Neue Sterne für den Süden

Die kulinarischen Gewinner des Jahres sind Bayern und Baden-Württemberg: Insgesamt 20 Restaurants gewinnen in den beiden Bundesländern neue Sterne hinzu. In Deutschland gibt es so viele Sterneköche wie nie zuvor.

Sie haben drei Michelin-Sterne, 5 F vom Feinschmecker, 5 Kochlöffel im Aral Schlemmer Atlas, 19 Punkte im Gault Millau. Einer geht noch, ist der das Ziel?

Es gibt immer etwas, das sich verbessern lässt. Ich hinterfrage jeden Tag das, was ich gestern gemacht habe, und wenn ich etwas besser machen kann, versuche ich es. Ich breche aber nicht in Aktionismus aus, das Ziel ist es jeden Tag ein Quäntchen besser zu werden. Jetzt wird die Luft natürlich dünner. Wenn aber bei unseren Bemühungen die 20 Punkte - die übrigens in Deutschland bisher noch keiner erreichen konnte - stehen sollten, dann freuen wir uns natürlich darüber.

Ist der Druck größer auf dem Weg zu den Sternen oder ist es härter, das Niveau zu halten?

Wenn man etwas erreichen will, muss man sich Ziele setzen. Keiner hat drei Sterne verlangt. Den Druck macht man sich doch selbst. Ich wollte drei Sterne. Die Restaurantführer kommen nur einmal im Jahr raus. Mein Team und ich sind jeden Tag gefordert und wir machen jeden Tag, so gut es geht, unsere Hausaufgaben. Natürlich gibt es Druck, aber nicht so, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann aus Angst, dass morgen keiner die Eier liefert. Wir haben fünf Lieferanten, einer wird schon Eier bringen, meistens kommen alle fünf. Ich möchte natürlich keinen Stern abgeben, das wäre ein herber Verlust, aber die Welt würde nicht untergehen, schließlich hat alles seine Grenzen, und Kochen würde mir ja auch weiterhin Freude machen. Früher dachte ich: Ich muss, ich muss, ich muss. Das Ergebnis war meistens schlechter.

Wann war früher?

Vor dem dritten Stern. Ich bin schon ehrgeizig, aber nicht von Ehrgeiz zerfressen. Wenn ich etwas anpacke, will ich es besonders gut machen, nicht nur so ein bisschen. Wer immer da oben im Universum sitzt und meine Geschicke leitet, er oder sie hat es sehr, sehr gut mit mir gemeint. Ich bin gesund, ich habe tolle Leute um mich und wurde aufgenommen in den Kreis der 3-Sterne Köche, von denen es weltweit nicht einmal 100 gibt. Das sehe ich schon als etwas Besonderes an, dafür bin ich dankbar und demütig. Aber auf dem Weg dorthin herrschte nicht immer nur Sonnenschein.

Inwiefern?

Früher pflegte man einen sehr autoritären Führungsstil in den Küchen. Da flossen ab und zu auch Tränen und trotzdem bin ich allen Köchen dankbar, bei denen ich arbeiten durfte. So bin ich zu dem geworden, was ich heute bin. Ich führe mein Team heute anders.

Wie?

Ich bin auch autoritär und konsequent, aber auch empathisch und verstehe mich als Teamplayer. Ich versuche meine Mitarbeiter für Ziele zu gewinnen und zu motivieren. Wer aus Lust und Freude rennt, rennt schneller als der, der glaubt, der Teufel sei hinter ihm her. Der, der vorne steht, muss Qualitäten vorleben und damit die Mitarbeiter infizieren und für die verfolgten Ziele und Ideen gewinnen. Das ist nicht jedem in die Wiege gelegt. Ich habe das auch erst lernen müssen.

Wie denn?

In Kursen. Früher wirkte ich unerbittlich. Ich habe gelernt, so zu sprechen, dass die Menschen in meinem Umfeld auch verstehen, was ich meine! Ich bin kein anderer Mensch geworden, ich kann, den Menschen, der ich bin, nur besser vermitteln.

Warum rackern Sie sich so ab, das Restaurant gehört Ihnen noch nicht einmal?

Es macht mir einfach Spaß, ich bin Geschäftsführer des Restaurants, ich kann es führen, als gehöre es mir. Der Eigentümer, Thomas H. Althoff, lässt mir alle Freiheiten, die ich brauche. Ich weiß das sehr zu schätzen.

Ihr Kollege Johann Lafer behauptet, mit Sterne-Küche ließe sich kein Geld verdienen. Jahrhundert-Koch Eckhart Witzigmann, in dessen Restaurant Aubergine Sie eine Weile gekocht haben, hat...

...zwei Millionen Minus gemacht...

...aber als erster deutscher Koch drei Sterne verdient...

...und Küchengeschichte geschrieben. Das darf man nicht vergessen. Monet hat mit seinen Bildern zu Lebzeiten auch kein Geld verdient.

Lässt sich denn mit Sterne-Küche überhaupt Gewinn machen?

Ja. Ich bin seit 2008 hier. Seit 2009 schreiben wir schwarze Zahlen, wobei zugegebenermaßen die Margen in Anbetracht des Aufwandes und des Einsatzes, den wir betreiben, niedrig sind.

Wie sind Sie denn?

Schwarz und niedrig eben.

Warum machen Sie Gewinn, sparen Sie an den Zutaten oder am Personal?

Beides wäre fatal! Ich versuche sehr gut zu wirtschaften, die eingekaufte Ware bestmöglich zu verarbeiten und betreibe konsequent Kostenoptimierung.

Wo denn bitte, oder haben Sie einfach die Preise für Ihr Essen angehoben?

Nein! Wir verarbeiten die Ware bestmöglich, das heißt alles. Und wir kaufen die Ware saisonal ein, so dass die Qualität, aber auch der Preis stimmt.

Kennen Sie denn Ihre Grenzen überhaupt?

Wenn jemand zu mir sagt, Chef, das geht nicht, dann versuche ich, das mit ihm zu wuppen und meistens lösen wir das Problem. Ich habe hierzu zwei Leitsätze: Gehe Wege, die noch niemand ging, damit du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub!

Und der zweite?

Der stammt aus dem Film Lawrence von Arabien mit Peter O'Toole in der Hauptrolle. Der hat sinngemäß gesagt: Ich bin der, für den nichts geschrieben steht. Ich schreibe meine Geschichte selber. Ich will damit sagen, ich will mein Leben aktiv gestalten und mich den Herausforderungen stellen.

Wir waren bei den Grenzen! Kennen Sie Ihre?

Nicht immer. Ich hatte gerade eine Gallen-OP, da bin ich auch bis an meine Grenzen gegangen, bis ich gelb wurde und dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Bei Mitmenschen bin ich sensibler. Ich versuche für die Menschen in meinem Umfeld da zu sein, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und Sie davor zu bewahren in Schwierigkeiten zu geraten. Bei mir selbst gelingt das leider nicht immer, ich neige dazu, mir immer mehr abzuverlangen als es ratsam ist, aber ich habe Menschen in meinem Umfeld, die mich in solchen Situationen wieder auf die richtige Bahn bringen.

Wer ?

Die wichtigste Person für mich ist meine Frau Nina.

Der spanische 3-Sterne-Koch Ferran Adrià hat sich 2010 eine zweijährige Auszeit gegönnt, weil ihm sein Restaurant das El Bulli keinen Raum ließ, nachzudenken. Wann gehen Sie?

Ich habe zu viel Spaß am Beruf und an meiner Berufung, um in eine Auszeit zu gehen.

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