Stellwerk Frankfurt-Süd:Hinter der Lok wird abgekoppelt

Lesezeit: 4 min

Warum viele Kollegen bei der Deutschen Bahn über die Lohnforderung der Zugführer nur staunen können.

Detlef Esslinger

Es gibt eine Art von Lokführern, die man nicht hier am Bahnsteig zu suchen braucht. Diese Lokführer findet man nicht in den Führerständen der S-Bahnen, die in den Bahnhof "Farbwerke Hoechst" einfahren. Ihr Arbeitsplatz liegt auf der anderen Seite der Gleise. In dem dreistöckigen Gebäude, dem Stellwerk, das dort in den Siebzigern neben die Schienen gesetzt wurde.

Unten klingeln, dann drei Stockwerke die Treppe hoch, vorbei an dem Plakat, das den "Großen Wahlerfolg für Transnet" verkündet, im Jahr 2000, oben noch am Schild "Wärmeküche" vorbei, und schon steht man vor Ulrike Schuldt, die vor einer großen Wand mit grünen, gelben und roten Linien sitzt und die Züge steuert, die unten, hinter ihrem Rücken, entlangfahren.

Sie hier oben ist es, die die Züge steuert, so muss man das wohl sagen. "Du musst stehen bleiben, weil wir noch eine Regionalbahn haben", teilt sie dem Fahrer einer S-Bahn mit. "Du kriegst noch Kreuzung mit einem Regionalexpress", sagt sie einem anderen - womit gemeint ist, dass der Regionalexpress auf dem Nachbargleis gleich auf das der S-Bahn geleitet wird, und weil der schneller ist, muss die S-Bahn warten.

Ulrike Schuldt, 35, ist Fahrdienstleiterin im Stellwerk Hoechst, im Frankfurter Westen, zusammen mit einem Kollegen steuert sie den Bahnverkehr auf einem Abschnitt von 20 Kilometern - und "steuern", das ist in dem Fall wörtlich zu nehmen.

Die Tasten 1, 2 und wieder die 1 gedrückt, dann noch zwei Knöpfe auf dem Schaltpult vor ihr - schon ist zum Beispiel die Weiche Nr. 121 umgelegt. Ulrike Schuldt stellt auch die Signale ein. Falls ein Lokführer dort unten ein Haltesignal übersieht, dann übernimmt automatisch die Zwangsbremsung, ein technisches System in den Gleisen, das jeden Zug zum Halten bringt, wenn auch nicht sehr schonend. Neben der Fahrdienstleiterin steht ihr Chef, Severin Disput, 31 Jahre alt, als "Betriebsbezirksleiter/Notfallmanager" weist ihn seine Visitenkarte aus. Er sagt: "Jeder Lokführer fährt genau einen Zug. Wir hier fahren 20."

Womit die Fronten schon mal angedeutet wären, die sich beim Unternehmen Deutsche Bahn in diesen Wochen gebildet haben, seit die Lokführer versuchen, einen eigenen Tarifvertrag zu erkämpfen. Wer trägt eigentlich die meiste Verantwortung für 800 Fahrgäste, die im ICE von Hamburg nach München fahren, oder für 400 Pendler, die mit der S-Bahn nach Frankfurt hineinfahren?

Nur die "Triebfahrzeugführer", wie die offizielle Berufsbezeichnung derjenigen lautet, die im Führerstand sitzen? Sind die es auch, die von allen Eisenbahnern die höchsten Belastungen auszuhalten haben, schon allein wegen der Dienstpläne, die manchmal einen Einsatzbeginn um 3.56 Uhr vorsehen, der aber auch schon mal einen Tag vorher auf 2.40 Uhr vorverlegt wird? Und wenn sie das nicht länger hinnehmen wollen, ist es dann legitim, wenn die Lokführer, nicht einmal vier Prozent aller Bahnbeschäftigten, das gesamte Unternehmen lahmzulegen drohen?

Es geht letztlich um die Frage, wer alles die Züge zum Fahren bringt. Im Busverkehr bestimmt der Fahrer, wann er losfährt. Kommt er in einen Stau, reiht er sich ein oder wählt eine Umleitung. Bei der Bahn, auf der Schiene, kann das so nicht funktionieren. Hier gibt es neben den Fahrern auch die Fahrdienstleiter, und bevor die den fahrenden Zug übernehmen, entscheiden die Disponenten in der Betriebszentrale, wann und wohin überhaupt gefahren wird. Und dann gibt es zum Beispiel auch noch Leute, die Mechatroniker heißen. Es ist also ein ganzes Team, das die Lok zum Rollen bringt.

Alle Wagen stünden still

Als Fahrdienstleiterin steuert Ulrike Schuldt ihre Züge gemeinsam mit einem Kollegen. Als das Stellwerk 1977 gebaut wurde, waren hier oben vor der Stellwand vier Arbeitsplätze eingerichtet worden - aber heute müssen zwei Kollegen pro Schicht reichen. Severin Disput, der junge Chef, sagt, man müsste mal eine Gewerkschaft der Fahrdienstleiter gründen.

Zwei von drei Fernverkehrszügen in Deutschland fahren über Frankfurt, und von denen passieren fast alle das Stellwerk Frankfurt-Süd. Und wenn diese neue Gewerkschaft dann nur mal die beiden Kollegen in diesem Stellwerk zum Streik aufriefe ... Disput führt das Gedankenspiel nicht zu Ende.

Dann spricht er von den drei Mann pro Schicht, die sich im Stellwerk um die Licht- und Signaltechnik kümmern. Signale melden den Fahrdienstleitern immer wieder Störungen, die es in Wahrheit nicht gibt. Aber jedes Mal muss das überprüft werden.

"Wenn die eine Woche lang streiken", sagt Disput, "sind die Fahrdienstleiter hilflos." Dann wissen sie nicht mehr, welche Weichen sie noch schalten sollen - und wenn die Fahrdienstleiter keine Weichen mehr schalten können, dann können die Lokführer auch nicht mehr fahren.

Die Betriebszentrale in Frankfurt befindet sich seit anderthalb Jahren an einer Ausfallstraße Richtung Westen. Vor Stellwänden aus Computermonitoren sitzen hier die Disponenten, aber auch Fahrdienstleiter - so eine Betriebszentrale ist nämlich nichts anderes als ein hochmodernes, elektronisches Stellwerk, in dem die Weichen per Mausklick gestellt werden und wo örtliche Nähe zu den Gleisen nicht mehr gebraucht wird.

Im ersten Stock wird hier der Verkehr auf dem Frankfurter Hauptbahnhof sowie auf der ICE-Strecke nach Köln geregelt, im Erdgeschoss befindet sich das Stellwerk Gießen, neben anderen. Und die Frauenstimme, die den Wartenden auf dem Flughafenbahnhof mitteilt, dass auf Gleis 7 nun der ICE 1649 nach Leipzig einfährt, "bitte Vorsicht bei der Einfahrt!", die kommt auch von hier.

Vor ihren Monitoren mit den roten, gelben und grünen Balken sitzt die Disponentin Sylvia Rehmann, 40, und sagt, ein Streik wäre "das Schlimmste", viel schlimmer als Kyrill, der Orkan. Streik bedeutet: herausfinden, welcher Lokführer überhaupt noch im Dienst ist, planen, auf welches Überholungsgleis man einen streikenden Güterzugführer schicken kann, damit der wenigstens andere Güterzüge nicht blockiert - die aber dann auf Gleise müssen, auf denen planmäßig gerade ICEs unterwegs sind. Streik bedeutet, "dass das ganze System durcheinander kommt", sagt Sylvia Rehmann.

Als Disponentin ist Rehmann "Facharbeiterin für Eisenbahntransporttechnik", vom Rang her ist das vergleichbar mit den Fahrdienstleitern und den Lokführern; nur dass die noch eine dreimonatige Zusatzausbildung erhalten. Und es ist auch vergleichbar mit den Mechatronikern im Instandhaltungswerk der S-Bahn.

Jede S-Bahn im Rhein-Main-Gebiet ist täglich 800 Kilometer unterwegs, nach 11.000 Kilometern wird sie zur Inspektion in die Werkstatt gebracht, alle zwei Wochen also. Die Werkstatt befindet sich im alten Postbahnhof, etwa 100 Arbeiter überprüfen in drei Schichten die Züge. Die Nachtschicht dauert exakt von 19.30 bis 4.59 Uhr - familienfreundlich sind also auch hier die Arbeitszeiten nicht.

Der Energie-Elektroniker Kai Ruppel, 29, mag die Vielseitigkeit der Arbeit: Mal kümmert man sich um den Funk, mal um die Beleuchtung, mal um die Klimaanlage. Er und seine Kollegen könnten den S-Bahn-Verkehr genauso lahmlegen wie die Disponenten, die Fahrdienstleiter, die Lokführer. Zwei Wochen Streik in der Werkstatt, und alle S-Bahnen stünden still.

Ruppel will nicht direkt sagen, was er von der 31-Prozent-Forderung der Lokführer hält. Aber wie er schaut bei der Frage und wie sein Grinsen einen leicht wütenden Zug erhält, das sagt eigentlich mehr als jeder Zornesausbruch.

© SZ vom 10.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: