Stellenabbau bei der Allianz:In der neuen Wirklichkeit

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Wie aus einer Sekretärin des Versicherungskonzerns Allianz innerhalb kürzester Zeit eine Aktivistin gegen die Unternehmenspläne wurde.

Caspar Dohmen

Vor vier Wochen war die Welt von Rita Hemmersbach noch in Ordnung. Sie arbeitete bei der Allianz in Köln und glaubte, einen krisenfesten Job zu haben. Dann katapultierte ihr Arbeitgeber die Sekretärin in eine neue Wirklichkeit.

500 Kölner Mitarbeiter der Allianz zeigten Konzernchef Michael Diekmann die rote Karte. (Foto: Foto: dpa)

"Die Kölner Zweigniederlassung wird geschlossen", sagte Gerhard Rupprecht, der Deutschland-Chef der Allianz, in den Sartory-Sälen unter den gellenden Pfiffen der Mitarbeiter.

"Er redet 18 Minuten. Dann war er einfach weg", sagt Hemmersbach, noch heute sichtlich fassungslos. "Eine Frechheit war seine Rede, ohne jede Wertschätzung für uns Beschäftigte", kritisiert die 46-Jährige.

Unglaubliche Szenen

Hemmersbach ist eine der wenigen Betroffenen, die sich mit solchen Aussagen in die Zeitung traut. Unglaubliche Szenen hätten sich an dem Tag abgespielt: "Da haben sich gestandene Männer in den Armen gelegen und geheult.

Wir waren so stolz hier in Köln, gerade erst waren wir zur besten Zweigniederlassung 2005 gewählt worden", sagt sie. Doch der Erfolg von gestern war für die Zukunft bedeutungslos - ein Schock für alle. Wenig später richtete das Unternehmen eine Beratungsstelle für Mitarbeiter ein.

Früher fuhren die Beschäftigten über die Sommerferien in Heime des Unternehmens; die sind heute verkauft. Früher sprachen die Beschäftigten liebevoll von der "Mutter Allianz", heute von der "Rabenmutter", die ihre Kinder verstößt.

Erster Warnstreik des Lebens

Undenkbares geschieht. Hemmersbach selbst marschiert eine Woche später in der ersten Reihe einer Demonstration gegen die Schließung der Zweigniederlassung, ihr erster Warnstreik überhaupt. Sie hört die Worte der Politiker und Gewerkschafter, fasst ein wenig Mut.

"Wenn mir dies jemand am Anfang des Jahres gesagt hätte, ich hätte ihn für verrückt erklärt", sagt Hemmersbach, die mit kurzen Unterbrechungen seit fast 30 Jahren für das Unternehmen arbeitet und seit einigen Jahren Mitglied des Betriebsrates ist. Der Gewerkschaft aber ist sie erst kürzlich beigetreten.

Mittlerweile hat Hemmersbach schon Routine beim Protest. Vergangenen Montag zeigte sie gemeinsam mit rund 500 Kollegen Konzernchef Michael Diekmann die rote Karte.

Schonfrist bis Ende nächsten Jahres

Am Donnerstag war sie dabei, als sich die Beschäftigten mit ihren Familien erneut versammelten, schräg gegenüber der Allianz-Niederlassung an einem Brunnen. Hier werden die Mitarbeiter nur noch bis Ende nächsten Jahres ihre Mittagspause verbringen, geht es nach den Plänen von Konzernchef Michael Diekmann.

"Wir wollten zeigen, wie viele Menschen von dieser Entscheidung betroffen sind", sagt Hemmersbach. Die Frau lebt seit dem Tod ihres Mannes alleine mit ihrer 20jährigen Tochter. Die hat nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau einen Einjahresvertrag bei den Abfallwirtschaftsbetrieben der Stadt erhalten.

"Ich bin froh, dass ich mir über ihren Job nicht auch noch den Kopf zerbrechen muss", sagt Hemmersbach. Die Allianz war für sie wie ein zweites Zuhause.

"Viele Kollegen kenne ich seit Jahrzehnten", sagt sie. Sie versteht nicht, warum sie alle ihren Job verlieren sollen. Sicher habe die Allianz Marktanteile verloren, sicher kauften mehr Menschen billige Versicherungspolicen, aber gleichzeitig verdiene die Allianz doch noch Milliarden.

Fassungslos

"Der Gewinn kann doch nicht endlos erhöht werden. Ich habe mit einem Stellenabbau gerechnet, doch dass sie Köln gleich ganz dicht machen", kann Hemmersbach nicht fassen.

Dabei hat sie in den vergangenen Jahren schon viele Veränderungen bemerkt, etwa durch den Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung in den Versicherungen. "Ich finde Technik gut, doch sie macht viele Arbeitskräfte überflüssig", sagt sie und schildert, wie sie selbst an der Umstellung auf ein neues automatisches Raumbuchungssystem beteiligt war.

Mit dem, was die Software heute leistet, war sie selbst zuvor ausgelastet. Zuletzt holte sie ein Abteilungsleiter als Sekretärin, so lange bis ein neuer Chef kam, der - wie viele aus der heutigen Managergeneration - die meiste Korrespondenz am Computer selbst erledigt.

"Man dachte, da kann nichts passieren"

"Ich habe mir im Laufe der Jahre immer wieder Arbeit gesucht und mich in neue Aufgaben eingearbeitet", sagt Hemmersbach. "Manchmal habe ich mich schon gefragt, wann wir wohl dran sind, wenn ich in den Nachrichten von dem Stellenabbau bei der Telekom oder bei Ford gehört habe, alles große Firmen, wo man dachte, da kann nichts passieren."

Kürzlich hat sie der Betriebsrat als weitere Sekretärin angefordert, weil das drohende Standortende zumindest im Betriebsratsbüro für Mehrarbeit sorgt.

Trotz des Widerstands in Köln rechnet Hemmersbach allenfalls mit einem zeitlichen Aufschub für die Zweigniederlassung am Kaiser-Wilhelm-Ring, über das Jahr 2008 hinaus.

Unbeholfenheit

"Die Schließung ist doch beschlossen", sagt sie, und in diesem Moment scheint ihr die eigene Rolle der Protestierenden selbst ein wenig unheimlich. Unsicher habe sie sich bei der Demonstration gefühlt, die ganze Belegschaft sei ihr zunächst unbeholfen vorgekommen, schließlich seien sie keine streit- und streikerprobten Metaller.

Und wie wird es weitergehen? Hemmersbach wirkt unschlüssig. "Bekomme ich überhaupt ein Angebot von der Allianz", fragt sie zurück. "Und was passiert, wenn ich nach Hamburg gehe und dort in drei Jahren meine Stelle verliere? Da wäre dann auch mein soziales Netz in Köln weg."

© SZ vom 21.07.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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