Start-up-Szene:Tor zu einer neuen Welt

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Stephen Hawking sprach auf der Digitalkonferenz Web Summit in Lissabon über die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz. (Foto: Patricia de Melo Moreira/AFP)

Das Land hat die Krise überwunden, Konzerne wie Siemens oder Daimler investieren wieder. Aber nicht nur die Großen kommen, auch viele Start-ups zieht es hierher.

Von Andrea Rexer, Lissabon

Der Behörden-Charme lässt sich nicht ganz vertreiben. Die Räume sind zu niedrig, um richtige Loft-Atmosphäre aufkommen zu lassen - auch wenn die Decken den Blick auf die Versorgungsrohre freigeben. In den Fluren hängen noch altmodische Telefonapparate, in manchen Räumen stehen sogar noch die alten Schreibtische der Postbeamten, die hier früher gearbeitet haben. Und dennoch ist das Haus Nummer 28 in der Avenida Casal Ribeiro in Lissabon so etwas wie das Herz der portugiesischen Start-up-Szene. Denn hier ist Lissabons größter Start-up-Inkubator und -Accelerator beta-i zu Hause. Aus Ideen werden hier Geschäftsmodelle geformt, 37 Mitarbeiter des Inkubators helfen den Gründern dabei. Manche Ideen floppen, doch aus einigen könnten erfolgreiche Unternehmen entstehen.

Im Windschatten von Silicon Valley, Berlin und London hat sich Lissabon zu einer Tech-Hochburg in Europa entwickelt. Start-ups aus aller Welt ziehen an den Atlantik, weil dort die Lebenshaltungskosten gering sind und die Sonnentage häufig. 18 Inkubatoren, 14 Acceleratoren, mehr als 40 Co-Working-Einrichtungen gehören inzwischen zum Start-up-Ökosystem. Das globale Aushängeschild ist der Web Summit, die größte Digitalkonferenz der Welt, die vergangene Woche zum zweiten Mal in der Stadt ausgetragen wurde. Sie hat 60 000 Teilnehmer aus 130 Ländern in die Stadt gelockt. Unter den 1200 Rednern waren nicht nur Technologie-Vordenker, sondern auch Promis wie Boxstar Vladimir Klitschko, Schachlegende Gary Kasparow und Klimaaktivist Al Gore.

Neu ist in diesem Jahr, dass der überbordende Optimismus, der den Gründern so eigen ist, nicht mehr auf eine depressive Grundstimmung in Portugals restlicher Wirtschaft trifft. Jahrelang war Portugal von einer tiefen Wirtschaftskrise erfasst, doch in diesem Herbst drehten sich die Vorzeichen für alle sichtbar um: die ersten Ratingagenturen stuften die Staatsanleihen des Landes wieder oberhalb des Ramsch-Niveaus ein. Das Wirtschaftswachstum soll 2017 satte 2,5 Prozent betragen, nach nur 1,4 im Vorjahr. Die Arbeitslosigkeit ist auf vergleichsweise niedrige 8,5 Prozent gesunken. Fast wirkt es so, als habe sich Portugal endlich vom Optimismus der Tech-Branche anstecken lassen.

Es hat sich ausgezahlt, dass sein Land auf Investitionen gesetzt hat, sagt Wirtschaftsminister Manuel Caldeira Cabral im SZ-Interview voller Stolz - und gibt damit der deutschen Regierung einen kleinen Seitenhieb, die stets das Sparen an erster Stelle eingefordert hat. Noch im März spekulierte Finanzminister Wolfgang Schäuble, ob Portugal vielleicht noch mal ein Hilfsprogramm benötigen könnte. Inzwischen sind solche Rufe verstummt. Aus Deutschland kommt nun vor allem: Geld. Konzerne wie Siemens, VW oder Daimler investieren wieder im Land.

Nicht nur die Großen kommen, auch kleine Start-ups drängen ins Land. 75 Prozent aller Bewerbungen für Plätze in den Programmen des Inkubators beta-i kommen aus dem Ausland. "Die Gründer kommen nicht nur wegen der Sonne und dem Meer, sondern weil es hier viele Programmierer gibt. In anderen Ländern ist der Markt von Großkonzernen leergefegt, diese Art von Konkurrenz gibt es hier ja so gut wie nicht", sagt Tiago Bernardo Pinto, Mit-Gründer von beta-i. Viele der Computerspezialisten haben auch gar keine Lust, in einem Konzern mit strengen Hierarchien zu arbeiten. Bernardo Pinto selbst ist dafür das beste Beispiel. Er hat seine Karriere bei der Post begonnen. Dass er ausgerechnet in deren alten Räumlichkeiten wieder einen Schreibtisch bezogen hat, ist wohl eine Ironie des Schicksals. Immerhin arbeitet er jetzt unter völlig anderen Vorzeichen.

Die Regierung tut alles, um private Investoren anzulocken

Wichtig für den Erfolg der Start-up-Szene ist auch die Unterstützung der Regierung. Die Regierung vergibt "Innovations-Voucher", mit denen Start-ups ihre Kosten senken können, unterstützt die Hubs und hilft EU-Fördergelder nach Portugal zu holen. Der beta-i-Gründer will nicht jammern, aber er gibt auch zu bedenken, dass die Portugiesen spät auf den Zug aufgesprungen seien: "Was die Regierung macht, ist gut, aber andere Länder tun das schon viel länger", sagt Bernardo Pinto.

Nichtdestotrotz: Das Land hat bereits eine ganze Reihe erfolgreiche Start-ups hervorgebracht. Das erste sogenannte Einhorn, also ein Start-up, das mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet wird, ist Farfetch, ein Online-Händler für Designermode. Weltweite Beachtung findet gerade auch ein Unternehmen, das mithilfe von künstlicher Intelligenz die Finanzindustrie vor Betrug bewahren will: Feedzai heißt dieses jüngste Einhorn Portugals. Gründer Nuno Sebastio, der früher in der Raumfahrt gearbeitet hat, eröffnete mit seiner Rede den Web Summit und übergab das Wort an Astrophysiker Stephen Hawking, der per Video zugeschaltet wurde. "Wir stehen am Beginn einer völlig neuen Welt", sagte Hawking. Künstliche Intelligenz könnte das schlimmste oder das beste Ereignis der Menschheit werden, sagte er und fügte hinzu: "Ich bin Optimist."

Gelingt es Lissabon, sich an die Spitze der Forschung über künstliche Intelligenz zu setzen, könnte es gar, wie schon im 15. Jahrhundert, wieder das Tor zu einer neuen Welt werden.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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