Start-up-Konferenz in Portugal:Wo die Unternehmer surfen

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Zehntausende, unter ihnen junge Firmengründer und Konzernmanager, besuchen Europas wichtigste Internetkonferenz. Sie findet zum ersten Mal in Lissabon statt. Das gefällt nicht nur den Gästen.

Von Ulrich Schäfer

Als Paddy Cosgrave vor sechs Jahren erstmals zum Web Summit nach Dublin lud, fasste der Saal gerade mal 180 Teilnehmer. Ein Jahr später kamen schon 800 Gäste, und die Ersten beschwerten sich, die Veranstaltung habe ihren intimen Charme verloren und sei viel zu groß. Diesmal sind es 53 000 Menschen, die der Web Summit anlockt, aus 167 Staaten kamen sie angereist. Und ihr Ziel hieß in dieser Woche nicht mehr Dublin, sondern erstmals Lissabon.

Cosgrave, der 33-jährige Ire, kann selber nicht fassen, was da entstanden ist: Der Web Summit hat sich binnen weniger Jahre zu Europas wichtigster Internetkonferenz entwickelt, eine der größten Veranstaltungen dieser Art weltweit. Eigentlich wollte der junge Unternehmer im Jahr 2010 nur seinem Vater einen Gefallen tun, der ihn ermuntert hatte, sich mit Computern zu beschäftigen, und seiner Schwester Anna, die gern ein paar Internetunternehmer an ihre Universität holen wollte.

Dass daraus ein riesiger, viertägiger Kongress werden würde; und dass sich ein Team von drei Freunden mal in eine Firma von mehr als 100 Mitarbeitern verwandeln würde, die alles organisiert - das hat Cosgrave damals nicht geahnt. "Wir waren anfangs eine typische Start-up-Konferenz, aber nun kommen auch die großen Konzerne aus aller Welt hier her", sagt er.

Genauso wichtig wie die Reden auf den Bühnen: gemeinsam Ausgehen in der Hauptstadt

Der Web Summit ist ein Phänomen, auch in seinen Abläufen. In Schlangen, die sich über 600, 700 Meter und mehr hinziehen, stehen die Teilnehmer morgens an. Die meisten sind zwischen Anfang 20 und Ende 30 alt. Sie warten geduldig, um Einlass in das Messegelände von Lissabon zu bekommen, in jene futuristischen Bauten, in denen 1998 die Weltausstellung stattgefunden hat. Erst am späten Vormittag kommt die Konferenz in Gang, auf mehr als einem Dutzend Bühnen reden die Chefs erfolgreicher Start-ups wie Booking.com, Blablacar oder Tinder und von internationalen Konzernen wie Cisco und Renault.

In den riesigen Messehallen präsentieren sich derweil Hunderte von ganz jungen Firmen, sie kommen aus Bogota oder Recife, Teheran oder Stockholm, Düsseldorf oder Hameln. Die Gründer stehen an winzigen Sperrholzständen, auf denen nicht mehr als ein Laptop, ein paar Flyer und ein Kaffeebecher Platz haben. Für einen Tag dürfen sie sich dort möglichen Investoren präsentieren, am kommenden Tag sind andere Gründer dran und bekommen die begehrten Plätze.

Doch schon im Laufe jedes Nachmittags ist das Spektakel in den Messehallen wieder vorbei. Dann schieben sich die Massen, die morgens so lange auf ihren Einlass warten mussten, wieder hinaus, ergießen sich in die Nähe Metrostation Oriente und bewegen sich vom modernen Messegelände in der Nähe des Flughafens zurück in die Gassen der Altstadt.

Denn so wie in Dublin findet ein wesentlicher Teil des Web Summits in der Nacht statt: Gegen zehn Uhr beginnt auf den Straßen des Bairro Alto, des großen Kneipenviertels von Lissabon, und rund um die Pink Street, die einst verruchte Amüsiermeile der Stadt, der "Night Summit". Bis in den frühen Morgen feiern die Summit-Teilnehmer und knüpfen Kontakte, viele ziehen in organisierten Kneipentouren von Bar zu Bar, auf den Gassen vor den Kneipen ist oft kein Durchkommen mehr. Das Schöne sei, sagt Paddy Cosgrave, der Gründer des Kongresses, dass "anders als in Dublin die Pubs in Lissabon nicht einfach um ein oder zwei Uhr morgens zumachen."

Fünf Jahre lang wuchs der Kongress jedes Jahr rasant, manche, die in Dublin dabei waren, nannten die Verhältnisse dort zum Schluss "chaotisch". Fred Destin, ein Belgier, der für den amerikanischen Risikokapitalfonds Accel Partners arbeitet, sagt, er habe sich in der irischen Hauptstadt im vergangenen Jahr kaum bewegen können, man habe sich Schulter an Schulter durch die Hallen geschoben: "Ich bin von den Leuten, die mit mir reden wollten, gar nicht mehr weggekommen."

Europa sei derzeit die "attraktivste Anlagemöglichkeit auf dem Planeten"

Deshalb hat Cosgrave nach dem letztjährigen Summit beschlossen, mit der Veranstaltung in eine andere Stadt zu ziehen - eine Entscheidung, die ihm in seiner Heimat viel Ärger eingebracht hat, auch in den irischen Zeitungen. Denn er garnierte den Umzug mit kritischen Sätzen über die hohen Hotelpreise in Dublin und die mangelnde Unterstützung durch die Politik. In Lissabon dagegen wurde er mit offenen Armen empfangen, der Bürgermeister nahm sich der Sache ebenso persönlich an wie der Ministerpräsident.

Portugal leidet immer noch unter den Spätfolgen der Schuldenkrise, die Arbeitslosigkeit ist hoch, gerade unter jungen Menschen. Doch nun will Lissabon, so wirbt die Stadt während des Web Summits unentwegt, zu "Europas kreativstem Ökosystem für Start-ups" werden. Ein hehres Ziel. Immerhin mangelt es in Lissabon nicht an billigem Büroraum, selbst mitten im Stadtzentrum stehen halbe Straßenzüge mit alten Häusern leer, die Kultur- und Kneipenszene ist vielfältig und das Meer nah. All das ist attraktiv für junge Gründer.

Cosgrave nutzte das, um den Web Summit am Wochenende vorher um einen weiteren Event zu ergänzen: den Surf Summit. 300 Surfer aus aller Welt, viele davon Internetunternehmer, trafen sich am Guincho-Strand, einem der bekanntesten Surfspots, nicht weit von der portugiesischen Hauptstadt entfernt.

"Für Lissabon ist das eine großartige Sache", sagt Fred Destin, der Investor von Accel Partners. "Die Stadt wird davon profitieren." Noch allerdings sucht sich der amerikanische Risikokapitalfonds mit Zweitsitz in London seine Unternehmen, in die er investiert, meist anderswo: In mehr als 80 Start-ups in 20 europäischen Ländern hat Accel sein Geld gesteckt, darunter bekannte Namen wie der Streamingdienst Spotify, der britische Lebensmittellieferant Deliveroo oder das Vergleichsportal Check 24 aus München. Europa sei derzeit für Venture-Capital-Firmen wie seine "die attraktivste Anlagemöglichkeit auf dem Planeten".

Denn anders als im Silicon Valley konzentrierten sich die Firmen nicht auf eine kleine Region, sondern sie seien über den ganzen Kontinent verteilt, erläutert Destin. Mehr Auswahl also. Und anders als in Kalifornien, wo eine Blase entstanden ist und viele Firmen irrwitzige Bewertungen haben, seien die Unternehmen in Europa noch "bezahlbar". Destin ist überzeugt: "Wir werden hier in den nächsten Jahren tolle Wachstumsgeschichten sehen."

In Lissabon geht es ihm, wie den meisten anderen Investoren, ums Geschäft: Er nutzt den Web Summit, um junge, attraktive Start-ups zu finden, in die Accel investieren kann. Aber auch die großen Konzerne, darunter viele deutsche Unternehmen, nutzen den Web Summit, um dort um die jungen Gründer zu buhlen. "Wir brauchen eure Hilfe", sagt zum Beispiel Elmar Frickenstein von BMW, als er auf der großen Hauptbühne steht, mehrere Tausend Menschen hören ihm zu. Frickenstein leitet bei BMW das Programm zum autonomen Fahren, er erklärt unter großem Applaus, wie der deutsche Autohersteller bis zum Jahr 2021 das voll autonome Auto schaffen will, samt einer offenen Software-Plattform: "Da kann jeder mitarbeiten, der es will." Die Zeit, in der die Automobilindustrie solche Entwicklungen alleine hinbekomme, sei vorbei. Neue Worte aus einer alten Industrie, die angeblich vom Silicon Valley, von Tesla und Co., zerstört wird.

Cosgrave findet dafür nette Worte: "Ich liebe die deutschen Autohersteller."

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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