Stahl-Konzern Tata:Alter neuer Chef

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Ratan Tata, 78-jähriger Patriarch des größten indischen Industriekonglomerats, kehrt an die Führungsspitze zurück. Sein Schwager wurde entlassen. Die Hintergründe des überraschenden Wechsels sind nebulös.

Von Arne Perras, Singapur

Eigentlich sah es so aus, als habe er alles erreicht, als könne er sich im Alter zurücklehnen und zufrieden auf sein Erbe blicken. Doch es kam anders. In dieser Woche hat sich Ratan Tata, 78-jähriger Patriarch des größten indischen Industriekonglomerats, mit einem spektakulären Machtwechsel zurück ins Rampenlicht katapultiert. Sein Schwager und bisheriger Vorsitzender der Holding Tata Sons wurde überraschend entlassen. "Die Entscheidung vom Montag ist auch Ende der Woche noch immer ein Rätsel", sagt Jitendra Gupta, früherer Direktor der indischen Börsenaufsicht, der Süddeutschen Zeitung.

Der alte neue Chef namens Ratan Tata verteilte indessen Beruhigungspillen in einem Schreiben an die Führungskräfte im verzweigten Tata-Imperium, zu dem auch die Automarken Rover und Jaguar gehören: Niemand müsse sich abgelenkt fühlen, lautete sein väterlicher Rat. Er werde den Posten nur für den Übergang über-nehmen, bis ein neuer Chef gefunden sei. Doch wie sollen sich Mitarbeiter und Manager auf die Arbeit konzentrieren, wenn an der Spitze ein "Krieg" entbrannt ist, wie indische Medien schreiben? Noch dazu einer, dessen Hintergründe so nebulös sind?

Der gestürzte Ex-Vorsitzende hat längst zum Gegenschlag ausgeholt. Cyrus Mistry, der die Holding seit 2012 leitete, verkraftet die Schmach offenbar nur schwer. Und nun ist ein explosiver Brief Mistrys an den Verwaltungsrat an die Öffentlichkeit gelangt. Darin erhebt der 48-Jährige, den Tata einst selbst auf den Chefsessel beförderte, schwere Vorwürfe gegen seinen einstigen Mentor: Tata habe sich ständig eingemischt und versucht, Fehlentscheidungen der Vergangenheit zu verteidigen.

Ratan Tata bestimmt wieder die Unternehmenstrategie. (Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

Laut Mistry ist das auch der Grund dafür, dass der Tata-Gruppe nun Abschreibungen von 18 Milliarden Dollar drohten. Die scharfen Attacken wühlen die indische Geschäftswelt auf, sie kennt Tata als verschwiegenen Riesen mit eher stabilem Management. Die Reaktion am Aktienmarkt in Mumbai ließ nicht lang auf sich warten, schon am Dienstag hatten Kurse mehrerer Firmen unter dem Dach von Tata nachgegeben, der Trend setzte sich fort, am stärksten traf es Indian Hotels Co und Tata Steel mit einem Verlust von 13,5 Prozent und 8,4 Prozent seit Anfang der Woche.

Der Mischkonzern Tata beschäftigt weltweit mehr als 650 000 Mitarbeiter in mehr als hundert Ländern. Von Salz bis Software reicht die Palette. Gründer Jamsetji Tata machte 1868 den Anfang mit einem Handelshaus in Bombay, fast 150 Jahre lang stand stets ein Mitglied der Unternehmerdynastie an der Spitze, bevor 2012 Cyrus Mistry an die Spitze des Weltkonzerns trat. Wie kein anderes Unternehmen symbolisiert Tata den Aufstieg Indiens, weshalb die bizarre Führungskrise die Schlagzeilen seit Tagen dominiert.

Der Konzern teilte zu den Gründen nichts Konkretes mit, er verkündete lediglich, dass der Verwaltungsrat "in seiner kollektiven Weisheit und auf Empfehlung von Hauptaktionären" entschieden habe. Dem-nach liege ein Wechsel im "langfristigen Interesse" der Tata-Gruppe. Mehr war dem Konzern nicht zu entlocken.

Mistry gehört zu einer indischen Milliardärsfamilie, der Vater hat sein Vermögen im Baugeschäft gemacht und ist größter Einzelaktionär bei Tata Sons. Doch das hat den Sturz des Sohnes nicht verhindert. Während der Mistry-Clan 18 Prozent an Tata Sons hält, gehören zwei Drittel der Anteile gemeinnützigen Treuhandgesellschaften, in denen die Gründerfamilie Tata maßgeblichen Einfluss besitzt.

Indische Medien berichten, dass sich schon vor zwei Monaten Probleme angebahnt hätten. So soll Mistry den Kauf von Solarfarmen für 1,4 Milliarden Dollar eingefädelt haben, ohne Tata in die Entscheidung einzubinden. Dabei hatte der Patriarch seinem auserwählten Nachfolger noch empfohlen: "Sei dein eigener Herr." Der Wechsel war 2012 als Sieg der Jugend gefeiert worden, doch womöglich war der Freibrief dann doch nicht so gemeint. Die indische Economic Times sieht den Grund für den Bruch in einer "fundamentalen Kluft zwischen Mistry und Tata", angeblich waren sie sich nicht einig, in welche Richtung sich der Konzern entwickeln sollte. Ratan Tata hatte Corus, das frühere British Steel, in einem 12-Milliarden-Deal erworben. Mistry aber entschied, der Konzern solle sich vom verlustreichen Stahlgeschäft in Europa wieder trennen, was dem Patriarchen offenkundig missfiel. Der gestürzte Mistry setzte auf Einsparungen und stieß unrentable Unternehmen ab. Manche glauben, dass Tata sein gewachsenes Erbe bedroht sah, dabei könnten auch unterschiedliche Vorstellungen von sozialer Verantwortung eine Rolle gespielt haben. Die Tata-Gruppe gilt als eher führsorglicher Arbeitgeber und nahm dafür lange in Kauf, dass Schulden stiegen. Mistry steuerte dem Trend entgegen.

Ein tief greifendes Zerwürfnis über die Strategie der Zukunft? Vielleicht. Doch es bleibt die Frage, warum die Entscheidung so plötzlich fiel. "Differenzen über die Ausrichtung des Konzerns entstehen nicht über Nacht", sagt der Berater Gupta. "Es ist äußerst seltsam, so abrupt eine so wichtige Entscheidung zu fällen, die offenkundig dem Ansehen Tatas schadet. Es muss einen gewichtigen Grund dafür geben, den wir noch nicht kennen."

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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