Staatsquote sinkt wie noch nie:"Weniger Staat!" wird wahr

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Vom Autobahnbau bis zur Opernaufführung - bislang fühlte sich der Staat in Deutschland für vieles zuständig. Allerdings sank die Staatsquote 2006 so stark wie noch nie. Wirtschaftsliberale Forderungen werden damit weitgehend eingelöst.

Claus Hulverscheidt

Die deutsche Staatsquote, also das Verhältnis der Staatsausgaben zur gesamten Wirtschaftsleistung, ist im vergangenen Jahr mit 45,6 Prozent auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken. In der Eurozone weisen nun nur noch drei der 13 Mitgliedsländer eine noch niedrigere Rate auf.

(Foto: Grafik: SZ)

Die Staatsquote gibt Auskunft darüber, welchen Einfluss Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen auf das öffentliche Leben ausüben und wie generös der Sozialstaat ist. Vor allem CDU, CSU und FDP sowie Vertreter der Wirtschaftsverbände hatten in den vergangenen Jahren unter der Überschrift "Weniger Staat!" immer wieder eine Senkung der Quote verlangt.

Verringert wie nie zuvor

Wie jetzt aus einer internen Vorlage für Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hervorgeht, hat sich die Rate in den letzten drei Jahren bereits so kräftig verringert wie nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

So belief sich der Rückgang gegenüber 2003, als ein Wert von 48,5 Prozent verzeichnet wurde, auf beinahe drei Prozentpunkte. Im Vergleich zum absoluten Spitzenjahr 1996 (49,3 Prozent) betrug das Minus sogar fast vier Punkte.

In der Eurozone weisen nur noch Irland, Spanien und Luxemburg niedrigere Quoten auf - wobei der Abstand zu Deutschland allerdings beträchtlich ist: So erreicht Irland gerade einmal 34,1 Prozent. Zum Vergleich: Die USA kommen mit 34,5 Prozent auf das gleiche Niveau.

Spitzenreiter in der gesamten Europäischen Union ist Schweden mit 55,3 Prozent, gefolgt von Frankreich, Ungarn, Dänemark und Italien. Dabei zogen vor allem in Großbritannien und Italien die Werte in den vergangenen Jahren kräftig an.

Knapp vor Großbritannien

So liegt das vermeintlich so wirtschaftsliberale Großbritannien mit 44,1 Prozent nur noch knapp vor der angeblich so staatsgläubigen Bundesrepublik.

Als Grund für die Entwicklung wird die maßvolle Ausgabenpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden in der jüngeren Vergangenheit genannt. Während in vielen anderen EU-Ländern die Staatsausgaben deutlich schneller stiegen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP), verlief die Entwicklung in Deutschland genau umgekehrt.

Lesen Sie weiter: Welche Erfolge Deutschland als einziges EU-Land vorzuweisen hat und warum die Staatsquote trotzdem noch weiter sinken wird ...

So kletterten die Ausgaben zwischen 2001 und 2006 um durchschnittlich 1,0 Prozent pro Jahr, während das nominale BIP um 1,8 Prozent zulegte. Der internationale Vergleich zeige, "dass Deutschland als einziges großes EU-Land eine erfolgreiche ausgabenseitige Konsolidierung vorzuweisen hat", heißt es in dem Ministeriumspapier.

Erfolge bei der Konsolidierung

Hinter dem Beamtendeutsch verbirgt sich vor allem die restriktive Personalpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden. Da viele Stellen wegfielen und Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld reduziert oder ganz gestrichen wurden, stiegen die Personalausgaben seit 2001 nur um jahresdurchschnittlich 0,2 Prozent. Auch die Summe der bar ausgezahlten Sozialleistungen erhöhte sich nur mäßig, 2006 war sie aufgrund von Einsparungen beim Arbeitslosengeld II sogar rückläufig.

Das gleiche gilt für die Zinsausgaben: Sie fielen geringer aus, weil hochverzinsliche Staatsanleihen fällig wurden und durch niedriger verzinste Papiere ersetzt werden konnten. Dieser Effekt könne sich angesichts der strafferen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank allerdings mittelfristig wieder umkehren, warnen die Fachbeamten.

Nach ihrer Analyse ist auch der drastische Rückgang des gesamtstaatlichen Haushaltsdefizits weniger auf die konjunkturell bedingten Steuermehreinnahmen, als vielmehr auf die erfolgreiche Begrenzung der Ausgaben zurückzuführen.

Weitere Senkung unabdingbar

"Die auf der Ausgabenseite erreichten Konsolidierungserfolge hätten ausgereicht, das übermäßige Defizit bereits im Jahr 2004 abzubauen, wenn die Einnahmenquote seit Beginn des Defizitverfahrens gegen Deutschland konstant geblieben wäre", heißt es in dem Bericht. Deutschland hatte von 2002 bis 2005 vier Mal in Folge die EU-Defizitgrenze von drei Prozent des BIP verletzt.

Trotz aller Fortschritte halten Steinbrücks Beamte eine weitere Senkung der Staatsquote für unabdingbar. Anders sei - bei gleich bleibender Einnahmequote - eine Reduzierung der Neuverschuldung auf null nicht möglich. Hinzu komme, dass die Alterung der Gesellschaft wegen ihres "Sogs auf die Ausgaben der Sozialsysteme" erhebliche Risiken für die Tragfähigkeit der Finanzpolitik berge.

© SZ vom 14.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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