Handwerk:Sie brennen fürs Geschäft

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Ein Schnapsaltar im Nordschwarzwald: Die neue Destillationsanlage, in der Monkey-47-Gin gebrannt wird, ist auch optisch ansprechend, die Architektur der Halle wurde auf die Anlage abgestimmt. (Foto: Bernd Kammerer)

Weil jede Stadt wieder einen eigenen Gin hat, floriert auch das Geschäft der Firma Arnold Holstein: Ihr kleiner Betrieb am Bodensee baut die vielleicht besten Destillations-Anlagen der Welt.

Von Lars Reichardt

Weltmarktführer. Arnold Holstein junior ist Schwabe und sträubt sich gegen das Wort. "Wir sind präsent auf dem Markt der Anlagenbauer", formuliert er lieber umständlich und in aller Bescheidenheit. Das ändert nichts an der Sache. Wer irgendwo auf der Welt Obst brennen will, kauft meist bei Holstein.

Eine Kleinstadt ist Heimat des Weltmarktführers. Markdorf am Bodensee, zehn Kilometer vom Ufer entfernt, 14 000 Einwohner, am Ortseingang begrüßt eine ausgemusterte Destillationsanlage von Holstein die Gäste. Die Firma steht immer noch mitten im Dorf, obwohl sie ständig größer geworden ist; den Umzug ins Gewerbegebiet hat Arnold Holstein senior aus Furcht vor dem finanziellen Risiko immer gescheut, stattdessen kleine Nachbargrundstücke aufgekauft und den Betrieb Halle um Halle erweitert. Aus laufenden Einnahmen, ohne Kredite.

Die Firma Arnold Holstein ist das, was man gemeinhin einen gesunden Familienbetrieb nennt. Das Geld bleibt im Betrieb. Kein Holstein fährt Porsche oder Motorboot. Niemand musste bei Banken betteln. Die teuren Kupferbleche für die Destillen werden bis heute vom Girokonto bezahlt. Holstein verkauft Destillationsanlagen, aus Kupfer und Edelstahl, in jeder Größe, bis zu 20 Meter hoch, mit bauchiger Brennblase, in die man Maische aus vergorenem Obst oder Getreide einfüllt, mit einer stabförmigen Kolonne, in der Alkohol von Wasserdampf getrennt wird, mit kugel- oder birnenförmigem Helm, je nachdem, was gebrannt wird: Williams wie bei Rochelt und Lantenhammer, Obstler bei Schladerer, Sliwowitz oder Bärwurz, Monkeys-Gin, Havanna-Rum oder Glenlivet-Whisky. Mit Holstein kann man alles brennen, was irgendwie zucker-, stärkehaltig ist.

Deutschland hat inzwischen mehr Whiskey-Brennereien als Schottland

Destillerieanlagen sind ehrwürdige Gerätschaften, die in den vergangenen Jahren wieder sehr in Mode gekommen sind. Der Preis, den man mit Schnaps erzielen kann, spielt dabei längst eine untergeordnete Rolle. Brenner sind oft leidenschaftliche Überzeugungstäter, manchmal besessene Freaks, in den USA sind einige ehemalige Börsenmakler bekannt, die sich heute ganz aufs Schnapsbrennen verlegt haben. In Deutschland gibt es inzwischen mehr Whiskey-Brennereien als in Schottland. Auch dahin haben die Holsteins schon geliefert. "Wir sind besser als die schottischen Konkurrenten." Es hat ein paar Minuten gedauert, bis Holstein junior die falsche Bescheidenheit abgelegt hat.

An der Form und Anordnung von Brennblase, Kolonne und Helm erkennt man, für welchen Schnaps eine Destillerieanlage entworfen wurde. Die kleinen Varianten, mit gerade mal 10 bis 150 Liter Einfüllmenge, kaufen sich Kleinbauern, die ihr Obst selbst verarbeiten wollen, die größten mit bis zu 10 000 Litern gehen an internationale Schnapsfabrikanten oder die vielen Microdistilleries und Gin-Manufakturen, die überall auf der Welt in den letzten zehn Jahren entstanden sind.

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Seit Gin und Co. wieder urban angesagt sind, wird auch das Aussehen der Anlagen immer wichtiger. Schön sind die von Holstein allemal. Jede Destille ist Maßarbeit, mit der Hand skizziert, von Hand wird das Kupfer geschweißt, geformt, gehämmert, jedes Design ein Unikat. Noch in den Sechzigerjahren hat man Brennblasen eingemauert oder im Keller versteckt. Heute zieren sie freistehend, oft deckenhoch Bars und Wirtshäuser. Die neue Destille für den erfolgreichen Monkeys-Gin im Schwarzwald etwa ist für Arnold Holstein junior "eine wunderschöne Kathedrale. Die Proportionen des Raumes, in der die Anlage steht, die Bar, das Gebäude, die haben da alles richtig gemacht."

In den Wirtschaftswunderjahren wollte jeder Schnaps trinken

Wenn man eine Destillerie pfleglich behandelt, hält sie fünfzig Jahre lang. So lange kann es dauern, bis Säure das Kupferblech ausdünnt und schädigt. Bei derartiger Wertbeständigkeit ist es nicht verwunderlich, dass die Firma Holstein irgendwann expandieren musste. Die Bauern und Schnapsbrenner am Bodensee, im Allgäu, Elsass, im nahen Vorarlberg und der Schweiz waren schließlich alle schon bald versorgt. Der neue Trend zum Brennen kam da gerade recht. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Absatz vervierfacht.

Angefangen hat damit der Großvater, der erst als Kupferschmied bei den Zeppelinwerken in Friedrichshafen gearbeitet hat, dann selbst das Brennen anfing und dafür Anlagen baute. Sein Sohn, Arnold Holstein senior, hat seinen eigenen Betrieb 1958 gegründet. Ein paar Kilometer weiter in Markdorf. Die Marktsituation der Wirtschaftswunderjahre war günstig. Jeder wollte Schnaps trinken, und Geld war auch wieder da. Obst gibt es in der Bodenseeregion mit ihrem milden Klima mehr als genug. Bald hat Arnold Holstein senior Brennblasen mit 2000 Liter Fassungsvermögen gebaut. Seine Söhne haben sich an noch größere Anlagen getraut: Eine Brennblase für 10 000 Liter haben sie nach Taiwan geliefert, dem Senior ist bei der Größe schon etwas mulmig geworden.

Jeden Tag schaut er noch in den Betrieb, den er eigentlich längst an die Söhne übergeben hat. "Gibt keinen Krach, in der Familie muss man sich genauso respektieren wie mit anderen Kollegen", sagt der Sohn diplomatisch. Die Nachfolge ist gesichert. Arnold Holstein junior ist 57 und hat zwei geeignete Söhne, sein jüngerer Bruder Markus eine Tochter. Alle Holsteins haben schon Schnaps gebrannt, bevor sie alt genug waren, ihn auch zu probieren.

Zwei bis acht Wochen dauert es, bis eine neue Anlage angefertigt ist, je nach Größe und Sonderwünschen. Natürlich erkennt Arnold Holstein jede Holstein-Anlage schon von Weitem, und dennoch unterscheidet sich jeder Bauplan in den Details. Alkohol brennt man zwar schon lange, aber die Technik wird dabei immer ausgefeilter, vor allem bei der Energieersparnis. Die Holsteins halten etliche Patente rund um die Schnapserzeugung.

Angst vor Werkspionage kennt man in Markdorf nicht. Destillationsanlagen sind ein Nischenprodukt. Könnte sein, dass die Chinesen schon mal eine tja, abgekupfert haben, aber sie werden ja auch ständig verbessert. Rund 200 Anlagen bauen sie hier heute im Jahr, etwa die Hälfte davon geht ins Ausland, viel in die USA, aber auch nach Indonesien, Japan, Vietnam und China. Oft kommen Kaufinteressenten aus Übersee nach Markdorf, lassen sich alles genau erklären, überlegen hin und her, was die Anlage können muss und wie sie am besten aussehen sollte. Und trinken Schnaps.

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10 000 bis 300 000 Euro kosten die Kupferungeheuer. Inklusive Aufbau vor Ort und Schulung des Personals - in Taiwan hat das drei Wochen gedauert. "Das Kümmern um die Kunden hört ja nie auf. Die brauchen vielleicht nach zwanzig Jahren mal eine neue Dichtung, die müssen wir auf Lager haben. Und wenn das Personal bei denen wechselt, muss das neue von uns wieder eingewiesen werden."

Im Vertrieb arbeiten deshalb ausschließlich Techniker, die Ahnung haben von dem, was sie verkaufen. "Und wir hören den Kunden genau zu", sagt Holstein. Die Firma investiert in Forschung. Aber die entscheidenden Anstöße für Verbesserungen kommen aus der Praxis - "von den Kunden". Auch vom Schnaps haben die Vertreter Ahnung: "Ich bin enttäuscht, wenn ein Produkt nicht gut schmeckt, das mit unserer Anlage gebrannt wird", sagt Hostein junior. Dann schickt er seine Mitarbeiter hin, um die Maische zu überprüfen. An seiner Anlage kann es schließlich nicht liegen, sagt er. "Die meisten Fehler entstehen bei der Vergärung vom Obst, oder weil es Probleme bei der Filtration gibt und die Anlage nicht sauber ist."

Guter Obstler ist schwieriger als guter Whiskey

Brennen heißt, Wasserdampf vom Alkohol zu trennen. Der Siedepunkt von Alkohol liegt schon bei 78 Grad, so kann man ihn zwischen den Böden der Kolonne vom Wasserdampf trennen. Aus 100 Litern Einfüllmenge bekommt man nach zwei Stunden etwa 14 Literflaschen.

Natürlich kann nicht jeder gleich gut brennen. "Das ist wie mit dem Kochen. Da braucht man auch Jahre, um das richtig zu lernen." Es ist dabei übrigens schwieriger, einen guten Obstler hinzubekommen als einen guten Whisky, da ist sich der Brennblasenhersteller vom Bodensee mit dem Münchner Whisky-Experten Stefan Gabanyi einig. Und neben den fachlichen Hürden steht vor dem guten Tropfen auch Papierkram. So muss der Käufer einer Destillationsanlage auch beim deutschen Zoll gemeldet werden, die Behörde führt akribisch Buch über jede Anlage. Um Schwarzbrennern das Geschäft so schwer wie möglich zu machen und damit Obstbauern wirklich nur die erlaubten, geringen Mengen für den Eigenverbrauch brennen, denn dafür zahlen sie dann weniger Branntweinsteuer. Ausgemusterte Brennblasen werden auch nicht einfach weggeschmissen oder recycelt, sie bekommen unter Aufsicht ein Loch in den Mantel geschlagen. Bei Schnaps versteht der Zoll eben keinen Spaß.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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