Sparkasse Stralsund vor Verkauf:Dammbruch an der Ostsee

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In Stralsund sind endgültig die Weichen für den umstrittenen Verkauf der Stadtsparkasse gestellt worden. Sollte es tatsächlich zu einem Bieterverfahren kommen, wäre dies ein Präzedenzfall, der die Zukunft des Sparkassenwesens in Frage stellt.

Von Arne Boecker, Lothar Gries und Silvia Liebrich

(SZ vom 12.12.03) - Die Bürgerschaft Stralsund beschloss mit großer Mehrheit, den Verkauf der Sparkasse Hansestadt Stralsund (SHS) an einen privaten Investor zu prüfen. CDU und SPD sprachen sich für dieses Verfahren aus, die PDS stimmte dagegen.

Hauptstelle der Sparkasse Stralsund. (Foto: Foto: dpa)

Der Verwaltungsrat der Sparkasse hat nun über den Verkauf oder eine Fusion mit einer anderen Sparkasse als Alternative zu entscheiden. Mit einem Beschluss ist frühestens in einem halben Jahr zu rechnen.

Sollte es im Anschluss an die Prüfung tatsächlich zu einem Bieterverfahren kommen, wäre dies ein Präzedenzfall, der die Zukunft des Sparkassenwesens in Frage stellt. "Das wäre ein Dammbruch", bestätigt Professor Jürgen Singer, Professor für Bankwesen an der Universität Leipzig. "Andere Kommunen dürften dem Beispiel folgen."

Ähnliche Diskussionen in anderen Kommunen

Tatsächlich hat der Fall aus Vorpommern offenbar bereits in anderen Kommunen ähnliche Diskussionen ausgelöst. Commerzbank-Finanzvorstand Eric Strutz will laut Presseberichten bereits Anfragen anderer Sparkassen auf dem Tisch haben. Sein Institut wird unter anderem als Hauptinteressent für die SHS genannt, im Raum steht die für eine Bank niedrige Summe von 30 bis 50 Millionen Euro.

Sollte die Stralsunder Sparkasse tatsächlich der Anfang einer großen Privatisierungswelle sein, hätte dies auch für die Verbraucher spürbare Auswirkungen. Professor Jürgen Moormann von der Hochschule für Bankwirtschaft (HfB) in Frankfurt erwartet für diesen Fall eine deutliche Ausdünnung des derzeitigen Zweigstellennetzes. Besonders die kleinen Filialen im ländlichen Raum würden die privaten Banken aus wirtschaftlichen Gründen schließen.

Auf die Kontoführungsgebühren oder den Zugang zu Krediten hätte eine Privatisierung nach Ansicht der beiden Bankexperten aber keinen entscheidenden Einfluss. Denn durch den für 2005 geplanten Wegfall der staatlichen Garantien für öffentlich-rechtliche Banken werden sich deren Refinanzierungskosten sowieso verteuern. Davon werde sicher ein Teil an die Kunden weiter gegeben, das heißt: Die Kreditzinsen werden steigen.

Ohnehin restriktiver

Zudem seien auch die Sparkassen gezwungen, bei der Kreditvergabe mit größerer Sorgfalt vorzugehen als in der Vergangenheit, so dass die Konditionen ohnehin restriktiver würden. Denn auch Sparkassen seien gezwungen, Gewinne zu erwirtschaften.

Die Erträge aller Banken, ergänzt Singer, seien bei allen deutschen Banken - nicht nur den Sparkassen - so niedrig wie kaum in einem anderen Land. Während die durchschnittliche Zinsmarge, das ist der Gewinnanteil bei einer Kreditvergabe, in Deutschland bei 1,5 Prozent liege, sei der Anteil in den USA und Großbritannien mit 6,0 Prozent und 4,5 Prozent in Italien deutlich höher.

Dirk Schiereck von der European Business School in Reichartshausen bei Wiesbaden weist auf einen anderen Aspekt hin: Wird eine Sparkasse privatisiert, würde der Anspruch auf ein Girokonto wegfallen. In einigen Bundesländern ist dieser Anspruch im Gesetz verankert, in anderen gilt eine Selbstverpflichtung der Sparkassen.

Von dieser Regelung profitieren vor allem sozial Schwache. "Niemand kann eine private Bank zwingen, wie eine Sparkasse für jedermann ein Girokonto einzurichten", erläutert Schiereck. Ob dies allerdings dazu führen werde, dass auch in Deutschland wie in Großbritannien fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung wegen mangelnder Einkünfte kein Bankkonto mehr bekommt, lasse sich heute noch nicht absehen.

"Provinzfürstentum"

Gelassen sieht Hartmut Struwe von der Verbraucherzentrale NRW eine mögliche Privatisierung im Sparkassensektor: "Ich sehe keine entscheidenden Veränderungen." Für den Verbraucher könne eine Privatisierung der öffentlichen Institute durchaus Vorteile bringen, meint er. Sparkassen seien nicht gerade für ihre Kundenfreundlichkeit bekannt. Insbesondere auf dem Lande sei ein "Provinzfürstentum" verbreitet, weil die Institute vor Ort eine Monopolstellung hätten und die Preise diktieren könnten.

Nicht nur die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern lehnt die Verkaufspläne von Stralsunds Oberbürgermeister Harald Lastovka (CDU) ab. Auch Rainer Voigt, Präsident des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes, äußerte "völliges Unverständnis". Der Verkauf einer Sparkasse sei "nach Landesrecht nicht möglich", meint Finanzministerin Sigrid Keler (SPD). Die Politikerin will die Sparkasse Stralsund lieber mit der viermal größeren Sparkasse Vorpommern zusammenbringen.

Akute Finanznot hat den Oberbürgermeister nach eigenen Angaben dazu bewogen, den Verkauf der Sparkasse voranzutreiben. Die Einnahmen schwinden, er braucht dringend Geld für die Sanierung von Schulen und Kindergärten. Der Haken an dem Plan: Grundsätzlich ist der Verkauf einer Sparkasse nicht möglich. Die Düsseldorfer Kanzlei Hengeler Müller glaubt aber, ein Schlupfloch gefunden zu haben: Das Vermögen einer Sparkasse (Konten, Immobilien) könne man wohl verkaufen, wenn der Gewinn für das Gemeinwohl verwendet werde.

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