Sozialabgaben:Astronomische Kosten

Lesezeit: 2 min

Eine Pflegerin hält die Frau einer kranken Patientin. Die Zahl der Bedürftigen wird zunehmen. (Foto: Jens Wolf/dpa)

Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt vor drastisch steigenden Beiträgen in der Kranken- und Pflegeversicherung - und fordert die Politik zum Handeln auf.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Viele gesetzlich Krankenversicherte müssen 2017 mehr bezahlen. Mehr als 20 meist kleinere Krankenkassen haben bereits den Zusatzbeitrag erhöht. Nun zieht auch die viertgrößte bundesweit geöffnete Kasse nach: Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) erhöht zum 1. April ihren Zusatzbeitrag um 0,3 Punkte auf 1,5 Prozent. Im Durchschnitt liegt dieser Obolus, für den allein die Versicherten aufkommen müssen, bei 1,1 Prozent.

Stabil ist derzeit noch der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent, der zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen wird. Dieser Beitrag dürfte jedoch kräftig steigen, genauso wie die Beiträge zur Pflegeversicherung, wenn die Politik nicht gegensteuert. Davor warnt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer neuen Studie. 2020 könnten die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schon bei 16,5 und 2050 bei 20,2 Prozent liegen. Bei der Pflegeversicherung mit einem Beitrag von derzeit 2,55 Prozent wären 2050 dann 3,7 Prozent fällig.

Über den Beitrag für die Rentenversicherung wurde zuletzt viel diskutiert. Er wird nach einer Prognose des Bundesarbeitsministeriums von 2022 an steigen, von derzeit 18,7 auf mehr als 23 Prozent bis 2045, sollte es beim bestehenden Recht bleiben. Beim Streit um die richtigen Rentenreformen sei aber die gesetzliche Kranken- und die soziale Pflegeversicherung in den Hintergrund getreten, meint die IW-Wissenschaftlerin Susanna Kochskämper in ihrer neuen Untersuchung. Die Forscherin hat deshalb diese Zweige der Sozialversicherung näher angeschaut.

Wie sich die Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung in den nächsten 20, 30 Jahren entwickeln, lässt sich schwer voraussagen. Das hängt zum Beispiel davon ab, was den Versicherten noch gezahlt wird und was nicht mehr. Umstritten ist auch, wie der medizinisch-technische Fortschritt wirkt. Er kann sowohl dazu führen, dass die Ausgaben für Kranke steigen oder etwa durch neue Produkte und Verfahren sinken. Insofern ist jede Beitragsprognose mit vielen Unsicherheiten behaftet.

Die Zahl der Pflegebedürftigen soll bis 2050 von 2,6 Millionen auf vier Millionen zunehmen

IW-Forscherin Kochskämper begründet die steigenden Beiträge so: Die Bevölkerung in Deutschland altert, wegen der gesunkenen Geburtenraten und der steigenden Lebenserwartung. Beides zusammen führt dazu, "dass die älteren Jahrgänge zunehmend stärker besetzt sind". Das aber führt bei der GKV zu einer doppelten Belastung. Die Anzahl der 50-Jährigen und älteren Menschen wird von etwa 31,2 Millionen im Jahr 2015 auf 34,2 Millionen im Jahr 2050 zunehmen. Darunter sind immer mehr Rentner. Die aber zahlen einen geringeren Beitrag (derzeit im Durchschnitt 2027 Euro im Jahr) in die Krankenversicherung ein als ein Arbeitnehmer (durchschnittlich 4100 Euro). Unter dieser Entwicklung leidet auch die Pflegeversicherung. Das führt gemäß der Simulationsrechnung des IW 2050 zu Einnahmeeinbußen von knapp zehn Prozent in der Kranken- und Pflegeversicherung.

Gleichzeitig steigen aber die Ausgaben. Allein bei der Pflegeversicherung rechnet das IW bis 2050 mit einem Plus von 80 Prozent. Der Hauptgrund: Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt bis dahin von knapp 2,6 Millionen auf vier Millionen zu. In der GKV wird unterstellt, dass die Ausgaben um 20 Prozent zulegen werden - vor allem, weil "die Anzahl der Versicherten, die sich in den Lebensaltern mit im Durchschnitt hohen Krankheitskosten befinden, stetig zunimmt". Zum Vergleich: Ein Versicherter um die 50 kostet die Kassen im Durchschnitt um die 2000 Euro im Jahr. Für einen über 80-Jährigen fallen schon mehr als 6000 bis knapp 8000 Euro an. Allein in der GKV könnten so bis 2050 etwa 60 Milliarden Euro fehlen, sofern sich an den Steuerzuschüssen nichts ändert.

Für Kochskämper ist deshalb klar: "Die Politik ist gefordert, neue Wege für diese beiden Sozialversicherungszweige zu finden, sollen die Beitragssätze nicht aus dem Ruder laufen."

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: