Solidaritätszuschlag:Heikle Bastelei am Steuersystem

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  • Höhere Belastung für mehr als 24 Millionen Bürger.
  • Familie mit drei Kindern könnte bis zu 412 Euro mehr zahlen.
  • Länder und Gemeinden befürworten trotzdem ein solches Konzept.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Es klingt nach dröger Finanzbastelei, tatsächlich jedoch wären die Folgen gravierend: Die von Bund und Ländern erwogene Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommensteuer würde für mehr als 24 Millionen Bürger zu einer höheren Belastung führen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Hauptbetroffene wären demnach Großfamilien mit mittleren oder niedrigen Einkommen. So müsste ein Paar mit drei Kindern im schlechtesten Fall 412 Euro mehr Steuern im Jahr zahlen. Bei vier Kindern wären es bis zu 526 Euro.

Bisher rechnet das Finanzamt zunächst aus, wie viel Einkommensteuer ein Bürger zahlen muss, und schlägt dann auf den Betrag noch einmal 5,5 Prozent "Soli" drauf. Allein der Zuschlag bringt dem Bund in diesem Jahr fast 15 Milliarden Euro ein. Soll die gleiche Summe nun stattdessen zusätzlich über die Einkommensteuer erlöst werden, wie es Bund und Länder derzeit für die Jahre ab 2020 diskutieren, müssten die heutigen Steuersätze angehoben werden.

Verfochten wurde die Idee zunächst von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Beide befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht den Soli für grundgesetzwidrig erklären könnte, wenn 2019 die spezielle Ost-Förderung formell ausläuft. Um das zu erwartende jährliche Aufkommen von dann mehr als 18 Milliarden Euro für den Staatshaushalt zu sichern, plädierten sie für eine Überführung des Zuschlags in den eigentlichen Steuertarif. Auch einige Politiker der Grünen, etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, schlossen sich der Idee an. Für Länder und Gemeinden hat das Konzept den Charme, dass sie anders als heute mit fast 58 Prozent an den Einnahmen beteiligt würden - also allein 2020 mit 10,5 Milliarden Euro.

Wenn sie sich was wünschen dürften, dann mehr Kindergeld: eine Großfamilie aus Leipzig. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)

Das Problem ist jedoch, dass der Einkommensteuertarif in diesem Fall ausgerechnet im unteren Bereich eine massive Ausbuchtung erhielte. Der Grund: Elternpaaren und Alleinerziehenden wird heute zusätzlich zum Kindergeld beim Solidaritätszuschlag noch einmal ein Kinderfreibetrag gewährt. Dieser würde mit der Reform entfallen. Weitere Belastungen entstünden für Unternehmer, die ihre Gewerbesteuerzahlung auf die Einkommensteuer anrechnen können, sowie für Eigenheimbesitzer und Mieter, die den sogenannten Handwerker-Bonus nutzen. Auch zeitweise arbeitslos gemeldete Menschen wären betroffen. Laut Finanzministerium käme es bei 8,44 Millionen Steuerfällen zu höheren Belastungen. Hinter diesen Fällen verbergen sich gut 24 Millionen Menschen.

Die Grünen-Finanzexpertin Lisa Paus kritisierte, Schäuble müsse sich "von seinem eigenen Haus vorrechnen lassen, dass er sich zusammen mit Olaf Scholz verkalkuliert hat". Würde der Plan umgesetzt, käme es zu massiven Belastungen breiter Bevölkerungsschichten. "Mit dem Schäuble-Scholz-Vorschlag zahlen vor allem Familien mit Kindern und Unternehmen drauf. Das darf nicht sein", betonte Paus.

Wie das Ministeriumsschreiben zeigt, bliebe das Problem auch bei einer gleichzeitigen Milderung der kalten Progression ungelöst. Darunter versteht man das Phänomen, dass nach einer Tarifrunde die Steuerlast steigt, auch wenn der Einzelne nach Abzug der Inflation gar nicht mehr in der Tasche hat. Um eine Soli-Integration abzufedern, wäre den Angaben zufolge eine Kindergelderhöhung um 17 Euro für das erste, je neun Euro für das zweite und dritte sowie zehn Euro für jedes weitere Kind notwendig.

© SZ vom 04.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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