Soldat:"Ich explodierte neun Monate zu früh"

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Robert Sedlatzek-Müller über angemes­senen Sold und wie sein Hund ihm das Leben rettete.

Interview von Malte Conradi und Charlotte Frank

Eigentlich dürfte er über all diese Dinge nicht reden. Schließlich ist Robert Sedlatzek-Müller mittlerweile wieder Soldat und damit der Bundeswehr verpflichtet. Aber er hat auch ein Buch geschrieben. "Soldatenglück" heißt es, und als Autor kann er frei sprechen darüber, wie die Armee mit Menschen umgeht, die im Dienst verletzt wurden.

Herr Sedlatzek-Müller, reden wir über Geld. Warum wurden Sie Soldat?

Eigentlich wollte ich nach dem Grundwehrdienst wieder in meinem alten Beruf arbeiten. Mein Arbeitgeber hielt mir den Posten als Küchenchef frei. Aber dann hatte ich die Möglichkeit, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Mein Dienst bei den Fallschirmjägern machte mir so viel Spaß, dass ich mich verpflichtete.

Was genau machte Ihnen Spaß?

Ich habe als Kind viel draußen gespielt, mit Spielzeugwaffen, Cowboy und Indianer. Ich bin auf Bäume geklettert, hab das Abenteuer gesucht. Bei der Bundeswehr ist es ähnlich. Wenn beim Gepäckmarsch einer nicht mehr kann, dann nimmt man ihm den schweren Rucksack ab. Das ist keine Freundschaft, das ist Kameradschaft.

Alles nur ein großes Abenteuer?

Nein, nicht nur. Wenn ich eine Uniform trage, geht es darum, für Recht und Freiheit einzustehen. Ich will einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Auch wenn der in Deutschland oft abgelehnt wird, weil er von Soldaten kommt.

Man verdient ganz gut, oder?

Ach wissen Sie, als Küchenchef verdiente ich gut. Ich hatte eine eigene Wohnung, ein großes Auto, verdiente einen guten vierstelligen Betrag. Und dann im Grundwehrdienst 400 Mark. Natürlich, im Ausland ist es mehr. Aber da ist man auch 24 Stunden im Einsatz. Inklusive Gefahrenzuschlag macht das einen Stundenlohn von 6,90 Euro. Klar, der Soldat kommt nach einigen Monaten nach Hause und hat 20 000 oder 30 000 Euro auf dem Konto. Aber was, wenn er keine Beine mehr hat?

Hatten Sie solche Gedanken, als Sie in Ihren ersten Einsatz gingen?

Ach was, als ich in den Kosovo ging, dachte ich, es kann nichts passieren. Wir hatten ja ein Frieden schaffendes Mandat. Da war ich gerade einmal 20!

Sie waren nicht gut vorbereitet?

Die Bundeswehr bildet schon gut aus. Aber es kann einem keiner vermitteln, wie man sich fühlt, wenn man Leichen sieht, Menschen die nicht eines natürlichen Todes gestorben sind. Oder wenn man sich nachts im ungepanzerten Jeep verfährt und plötzlich in einem verminten Acker steht. Oder wie der Tod riecht. Noch heute verfolgen mich bestimmte Bilder.

Was sind das für Bilder?

Zum Beispiel eine Greisin, die ich auf einem Dachboden fand. Ich musste sie in ihrem eigenen Kot sterbend zurücklassen. Und da ist viel, über das ich nicht öffentlich reden darf, weil es Militärgeheimnisse berührt. Das kann ich nur mit meinem Psychologen besprechen.

Trotzdem gingen Sie immer wieder in Einsätze. Blendet man so was dann aus?

Nein. Als ich nach Afghanistan ging, kannte ich Kameraden, die durch Minen ihre Beine oder ihr Gesicht verloren hatten. Da besprach ich mit meinem besten Freund natürlich: Was machen wir, wenn einer angeschossen wird oder auf eine Mine tritt?

Was denn?

Vielleicht legt man dem verletzten Kameraden die Waffe hin, damit er sich erschießen kann. Für mich war klar, ich will nicht als Invalide wiederkommen, als Wachkoma-Patient oder ohne Gliedmaßen. Auf das, was passierte, war ich dennoch nicht vorbereitet.

Haben Sie Erinnerungen an den Unfall?

Ich war 2002 in Afghanistan mit meinem Diensthund für das Aufspüren von Sprengstoff zuständig. Zum Üben fuhren wir an diesem Tag zum Sprengplatz, wo drei alte Raketen unschädlich gemacht werden sollten. Weil es so heiß war und keine Aufständischen in der Nähe waren, ging ich ohne Schutzweste zur Sprenggrube. Da sah ich, wie ein paar Kameraden einen Gefechtskopf bearbeiteten: Einer hielt ihn fest, zwei schlugen mit Schraubendreher und Hammer den Sprengstoff raus. Ich hatte so ein Gefühl im Magen: Hier stimmt was nicht. Aber ich dachte, die wissen schon, was sie tun. Heute weiß ich, auf so ein inneres Gefühl soll man hören.

Sagt sich so leicht.

Ich meinte zu meinem Kameraden: Wir hauen ab. In dem Moment, als wir uns umdrehten, kam das Ding. Ich kriegte einen Schlag in den Rücken, war in einem Feuerball, flog durch die Luft. Meine Jacke brannte, ich hörte Schreie, ganz dumpf. Ich tastete den Boden ab, plötzlich hielt ich einen abgerissenen Arm in der Hand. Ich stolperte aus der Grube und brach zusammen.

Hätten Sie sich nicht umgedreht . . .

. . . nur das hat meinen Freund und mich gerettet. Wir waren genau in der Todeszone. Zu siebt. Die anderen fünf sind tot. Heute habe ich Schuldgefühle: Warum habe ich denen nicht den Hammer aus der Hand geschlagen?

Sie erzählen das so sachlich.

Das habe ich erst lernen müssen. Ich bekomme seit 2009 psychologische Hilfe. Bei mir wurde PTBS diagnostiziert, also eine posttraumatische Belastungsstörung. Heute nehme ich Antidepressiva und Schlaftabletten.

Wann bemerkten Sie Ihr Trauma?

Das dauerte ein paar Jahr. Ich machte noch Kommando-Lehrgänge, zwei 100-Kilometer-Märsche in 13 Stunden, extreme Sachen. Ich wollte zu den Spezialkräften. In der Truppe funktionierte ich richtig gut, im Privaten nicht mehr: Ich hatte Punkte in Flensburg, eine Anzeige wegen schwerer Körperverletzung, fuhr am Wochenende nicht mehr nach Hause. Die Beziehung zu meiner Freundin zerbrach und den Kontakt zu unserer kleinen Tochter brach ich ab. Ich habe auf Gefühle geschissen. Dann ging ich noch mal nach Afghanistan.

Sie gingen trotz Trauma in den Einsatz?

Ich wusste ja nicht, woher die Störungen kamen - Albträume, Schlafprobleme, Aggressionen. Die hab' ich so hingenommen. Trotzdem wurde mir die Eignung für Auslandseinsätze attestiert. Irgendeiner machte da einfach seinen Stempel drunter.

Sie hätten widersprechen können.

Ich meldete mich freiwillig! Ich wäre auch 2006 und 2007 noch mal gegangen. Es ist typisch, dass Soldaten mit traumatischer Störung in den Einsatz wollen. Die kommen zu Hause nicht mehr klar.

Und Sie haben das nicht gemerkt?

Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich vor vier Jahren. Meine Schwester besuchte mich mit meinen kleinen Nichten in der Kaserne. Ich, stolzer Onkel, zeigte den Mädchen die Hunde. Da war so ein junger Soldat, so ein Frischling, der sagte nur einen schnippischen Satz und ich explodierte. Ich prügelte auf ihn ein, ich hätte ihn fast umgebracht. Als ich mich umdrehte, starrte mich meine zitternde vierjährige Nichte an. Das werde ich mir nie verzeihen. Und dann war da noch die Sache mit Idor, meinem Hund.

Ihr Diensthund aus Afghanistan?

Ja. Er wollte gestreichelt werden, ich schickte ihn weg. Er kam wieder. Als ich ihn packte, biss er zu. Idor und ich lebten seit Jahren in einem Zwei-Mann-Rudel. Ich war das Alphatier. Ein Bravo-Wolf würde nie den Alpha-Wolf beißen. Außer der ist alt oder krank. Ich war nicht alt. Da wurde mir bewusst, dass ich krank bin. Heute weiß ich, dass ich nach dem Unfall acht Jahre vor mich hin vegetierte. Eine verlorene Zeit. Idor war in dieser Zeit mein Ein und Alles. Er hat mir immer wieder das Leben gerettet.

Wie das?

Wir haben jahrelang zusammen trainiert und gelebt, wir waren in gefährlichen Einsätzen, haben uns fast nie getrennt. Nach dem Unfall war Idor alles, was ich noch hatte. Ein paar Mal hätte ich mich sicher umgebracht, wenn da nicht dieser Gedanke gewesen wäre: Wer kümmert sich um Idor?

Die Bundeswehr?

Ach was. 2010 lief mein Zeitvertrag nach zwölf Jahre aus. Ich kaufte der Bundeswehr Idor für einen Euro ab - offiziell war er ausgemustertes Verbrauchsmaterial. Obwohl ich kaum Geld hatte, musste ich alles selbst bezahlen: Steuern, Futter, die teure Versicherung für einen ausgebildeten Kampfhund. Ich beschwerte mich beim Wehrbeauftragten. Zwei Jahre später bekam ich Post: Ab nächsten Monat würde die Bundeswehr alle Kosten tragen. 27 Tage später starb Idor.

Wie haben Sie damals reagiert, als Sie merkten, dass Sie krank sind?

Ich erzählte meinem Truppenarzt von den Aggressionen. Der schickte mich zum autogenen Training: Da saß eine ältere Dame, alles ganz esoterisch - für einen Fallschirmjäger schon mal schlecht. Wir übten fünf Minuten anspannen, entspannen. Ich wurde immer aggressiver. Und dann sagt die mir noch: Das hat sowieso keinen Sinn mit uns beiden, ich bin Pazifistin.

Niemand half Ihnen?

Es gab immer nur neue Gutachten. Man sagte mir, du simulierst doch, oder mein Verhalten sei unsoldatisch. Die Bundeswehr wusste einfach nicht, wie sie mit der Krankheit PTBS umgehen soll.

Zahlte die Bundeswehr Ihnen eine Entschädigung nach Ihrer Entlassung?

Verletzte Veteranen bekommen heute 150 000 Euro. Ich bekam nichts. Ich gelte nur als 40 Prozent beschädigt, man braucht 50 Prozent. Dabei sind die 40 Prozent nur mein Trauma. Die körperlichen Schäden lassen die einfach außer Acht.

Was fehlt Ihnen körperlich?

Mir fehlen Zähne, ich habe dauerhaften Tinnitus und mit meinem Gehör geht's bergab. Aber ich kriege die Entschädigung sowieso nicht. Das Geld bekommen nur Soldaten, die nach dem 1. Dezember 2002 verwundet wurden. Mein Unfall war im März. Ich explodierte neun Monate zu früh.

Wovon lebten Sie nach der Entlassung?

Ich steckte in einer Reha- Maßnahme. Wegen meiner Erkrankung kann ich nicht mehr in meinem alten Beruf arbeiten. Das größte Problem war aber, dass ich keine Krankenversicherung fand. Ich wusste nicht wohin mit all den Symptomen: Ich hatte Nesselsucht, Ess- und Trinkstörungen, Auto-Aggressionen, die ich bis heute nicht loswerde. Suizidgefahr. Zum Glück erkannte ein Arzt, wie ernst die Lage war. Er behandelte mich aus Kulanz.

Fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Der Gesellschaft nehme ich das nicht übel. Viele stehen den Einsätzen kritisch gegenüber und werfen die Soldaten einfach in die gleiche Suppe. Veteranen galten in Deutschland doch bis vor Kurzem als Weltkriegsteilnehmer, als Nazis. Mich stört, dass die Bundeswehr bis heute nicht weiß, wie sie mit ihren Veteranen umgehen soll.

Sie sind nun verheiratet und haben eine zweite Tochter. Wovon leben Sie?

Seit ein paar Monaten bin ich wieder Soldat. Ich arbeite nur vier Stunden am Tag, je nach Verfassung mal mehr, mal weniger. Das ist so ein Reha-Modell. Aber für mich ist es gut, wieder eine Uniform anzuhaben. Und dann habe ich ja noch 127 Euro Kriegsopferrente im Monat ( lacht ). Es ist knapp.

Haben Sie Existenzangst?

Ja klar. Mein Arzt sagt, ich werde mein Leben lang Hilfe brauchen. Ich weiß nicht, was ist, wenn die Bundeswehr mich wieder entlässt. Aber wissen Sie was: Mein Kamerad, der damals mit mir verwundet wurde, ist noch viel ärmer dran: schwer traumatisiert und lange auf Hartz IV. Ich denke immer an das Versprechen des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping, als er uns Schwerverletzte im Rettungsflieger begrüßte: "Ich verspreche Ihnen, eine schnelle und unbürokratische Hilfe."

Erschienen in der SZ vom 1. März 2013.

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