Solarindustrie:Im Osten geht die Sonne auf

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Deutschland ist einer der wichtigsten Standorte für die Herstellung von Solarzellen - vor allem in den neuen Ländern boomt die Branche.

Christiane Kohl

Silbrig glitzernde Rohre hängen unter der Decke. Die Fabrikhalle ist mit einer Vielzahl von weißen und grauen Glaskästen möbliert, die sich in langen Korridoren wie endlose Batterien von Telefonzellen aneinander reihen. Darin werden die grauen, keksförmigen Platten auf breiten Metallflächen voran transportiert - wie die Weihnachtsplätzchen auf einem Backblech, das gerade in den Ofen geschoben wird.

Mitarbeiterin von Q-Cells mit Solarmodul: Ruß, Staub und Gestank sind aus der Region um Bitterfeld verschwunden. (Foto: Foto: ddp)

Auch die Platten, die etwa zehn mal zehn Zentimeter großen Siliziumscheiben, die sie hier Zellen nennen, werden jetzt in einem Metallkasten mit Glasbullauge erhitzt. Überdies durchwandern sie Nassbäder und Trockenkammern, sie werden von langen, elektronisch gesteuerten Spinnenarmen gedreht und gewendet - vor allem aber werden sie immer wieder photographiert.

"Qualitätskontrolle ist bei uns oberstes Gebot", sagt Stefan Dietrich. Deshalb werde jede Zelle nach jeder Station abgelichtet. Ganz am Ende der Produktionslinie werden die Scheiben schließlich von einem wahren Blitzlichtgewitter bombardiert. So lässt sich kontrollieren, wie viel Strom jede Zelle produziert. Entsprechend werden die Plättchen dann in verschiedene Kästen sortiert, je nach Stromerzeugungsgrad. "Denn der Kunde zahlt nicht die Zelle", sagt Dietrich, "er zahlt für die Wattzahl, die sie erzeugt". Mit den Zellen, die der Solarhersteller Q-Cells im vergangenen Jahr produziert hat, lassen sich etwa 370 Megawatt Strom erzeugen - genug, um 80.000 Haushalte zu versorgen.

Maßloser Raubbau

Der Betrieb liegt am Rande des Ortes Thalheim, im Westen von Bitterfeld, jenem alten Industriestandort, der einst als "dreckigste Stadt Europas" traurige Berühmtheit erlangte. Wären die alten Schlote der Salpeterproduktion und der Chlor- und Aluminiumanlagen im einstigen Chemiekombinat Bitterfeld noch in Betrieb - die Luft hier wäre dick von jener Mixtur aus Ruß, Staub und Gestank, mit der jahrzehntelang die Region verpestet wurde. Doch die Luft bei Thalheim ist schon lange rein, und statt verrosteter Gasleitungsrohre sieht man jetzt blauglänzende Solarmodule an den hochmodernen Fabrikfassaden kleben.

Einst war das Chemiekombinat ein Symbol für den maßlosen Raubbau an der Natur und die Unfähigkeit des sozialistischen DDR-Systems, sich zu modernisieren und neuen Anforderungen anzupassen. Doch jetzt mag man in dem Solarunternehmen einen Hoffnungsschimmer dafür erkennen, wie es trotz Krise im Kapitalismus weitergehen kann. Die Umsatzsteigerungen, die Q-Cells in den letzten Jahren verzeichnete, muten jedenfalls astronomisch an: Zwischen 2001, dem ersten Produktionsjahr, und 2005 steigerte sich der Umsatz des Unternehmens um sage und schreibe 33.000 Prozent. Auch in den letzten drei Jahren wuchs der Betrieb jeweils mit Riesenschritten weiter, auf einen Jahresumsatz von 860 Millionen Euro im vorigen Jahr.

Erste Gewinnwarnung

Vor einigen Wochen gab Q-Cells nun erstmals eine Gewinnwarnung heraus, statt mit der ursprünglich angestrebten Umsatzsteigerung von 70 Prozent im nächsten Jahr soll sich das Wachstum nun etwas langsamer vollziehen. Aber, meint Dietrich, der Pressesprecher von Q-Cells ist: "Wir jammern auf ziemlich hohem Niveau." Ähnlich wie Q-Cells geht es auch manch anderem Solarhersteller.

Zwar haben hier und da schon Solarkunden ihre Aufträge reduziert, weil sie keine Kreditzusagen von den Banken bekamen. Im Großen und Ganzen aber hat die Branche kaum Grund zum Klagen. "Wir sind voll auf der Spur", berichtet etwa Mario Schubert vom Solarproduktionsanlagen-Hersteller Roth & Rau, der seinen Sitz in Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz hat. Das Unternehmen konzipiert und installiert die Produktionslinien für die Herstellung von Solarzellen. Auch bei Roth & Rau hat sich der Umsatz vervielfacht - von 46 Millionen Euro 2006 auf 250 Millionen Euro in 2008. "Wir machen die Schaufeln für die Goldgräber", sagt der Vorstandsassistent Schubert selbstbewusst.

Lesen Sie im zweiten Teil: Die Anfänge von Q-Cells - und wann preisgünstige Solarzellen Realität werden können.

Und von diesen Goldgräbern, fügt er hinzu, gebe es mittlerweile "sehr, sehr viele". Tatsächlich gilt Deutschland als einer der wichtigsten Solarstandorte der Welt. Vor allem in Ostdeutschland ist die Branche stark vertreten, sie konzentriert sich vor allem in drei Gegenden. Neben der Erzgebirgsregion um Freiberg und Chemnitz sowie der Umgebung von Bitterfeld gehört dazu das thüringische Erfurt, wo die Ersol Solar Energy AG noch im Dezember mit dem Bau einer zusätzlichen Produktionslinie für kristalline Solarzellen beginnen will. Derzeit zählt das Unternehmen 1200 Mitarbeiter, künftig sollen es 2300 sein. Bis zum Jahr 2012 will Ersol 530 Millionen Euro in Thüringen investieren.

Bei Q-Cells in Thalheim arbeiten derzeit etwa 2100 Mitarbeiter, hinzu kommen zahlreiche Beschäftigte, die bei verschiedenen Joint-Venture-Betrieben tätig sind, die sich mittlerweile um das Mutterhaus gruppiert haben. Jeder Arbeitsplatz bei Q-Cells zieht nach Rechnung von Personalexperten drei bis vier weitere Jobs in der Region nach sich - bei Zulieferbetrieben, aber auch branchenfremden Unternehmen, die einfach von der Kaufkraft der Mitarbeiter profitieren.

24 Stunden am Tag arbeiten

Dabei hatte alles ganz klein angefangen: Gegen Ende der neunziger Jahre waren drei Berliner Solar-Enthusiasten mit Anton Milner zusammengetroffen, der heute als Vorstandsvorsitzender dem Unternehmen vorsteht. Die Männer um den Raumfahrttechnik-Ingenieur Reiner Lemoine hatten eine gute Geschäftsidee, aber die Banken gaben ihnen kein Geld. Milner, ein britischer Staatsbürger, der zunächst als Händler für den Ölkonzern Shell tätig war und dann als Unternehmensberater bei McKinsey arbeitete, fand das Projekt interessant - und stieg ein. Unter anderem von Erben des Kosmetikunternehmens Wella besorgte er Risikokapital, die Landesregierung in Sachsen-Anhalt bot einen Standort samt Fördermitteln an.

So begann die Umsetzung. Im Sommer 2001 stand die erste Produktionslinie mit 19 Mitarbeitern. Freilich gab es zunächst eine Enttäuschung: So brachte die erste Zelle null Stromerzeugung, auch die zweite und dritte Zelle waren Nieten - erst die siebte Siliziumplatte konnte schließlich die erhoffte Stromausbeute erzeugen. Seither ist das Unternehmen eine einzige Erfolgsstory, und so hat der Landstrich um Thalheim auch längst den Namen Solarvalley bekommen.

Mittlerweile spucken die weißen Glaskabinen in den Thalheimer Solar-Produktionshallen täglich eine halbe Million Zellen in die Sammelkästen - wobei der Arbeitstag 24 Stunden hat. In dem alten Chemiestandort Bitterfeld hat Schichtarbeit eine lange Tradition, das kommt dem Solar-Unternehmen heute zugute.

Gute Seiten der Turbulenzen

Aus den Photovoltaik-Zellen von Q-Cells und anderen Herstellern werden schließlich die Solarmodule gefertigt, was wiederum in anderen Unternehmen geschieht. Zu den Hauptkunden der fertigen Sonnenkollektoren gehörten anfangs bayerische Landwirte. "Offenbar hatten die dort genug Geld und genügend Sonne", meint Dietrich, ein gebürtiger Schwabe. Mittlerweile sind in Spanien, Italien und in Kalifornien wichtige Märkte entstanden - und Deutschland ist der bedeutendste Lieferant.

Finanziell lohnt sich die Photovoltaik bislang nur dank der indirekten Zuschüsse, die über die üppigen Vergütungen gewährt werden, welche laut Energieeinspeisegesetz möglich sind. Ziel von Q-Cells und den anderen Solarherstellern ist es jedoch, Solarzellen zu fertigen, die Strom nicht teurer produzieren, als Energie aus der Steckdose kostet. In Süditalien wie auch in Kalifornien ist man von der sogenannten Netzparität nicht mehr allzu weit entfernt.

In Deutschland dürfte es hingegen noch dauern. Weil die augenblickliche Wirtschaftsflaute zusätzlichen Druck ausübt, billiger zu werden, könnte es jedoch schneller gelingen als gedacht, preiswertere Zellen zu erzeugen, glaubt Q-Cells-Chef Milner. Weshalb er kürzlich in einem Zeitungsinterview verkündete: "Die Krise hat auch gute Seiten".

© SZ vom 16.12.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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