Silicon Valley:Wie Milliardäre spenden

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(Foto: N/A)

Die Ultrareichen im Silicon Valley geben ihr Geld nach denselben Kriterien, mit denen sie ein Unternehmen führen: streng nach Zahlen und messbarem Erfolg. Dabei gerät leicht das Wesentliche aus dem Blick. Die SZ-Kolumne aus Kalifornien.

Von Alina Fichter

Die kurze Ansprache der Moderatorin, weißes Minikleid, Glitzerpumps, ist gespickt mit dem Wort "amaazing", mit extralangem "a". Langsam zieht sie aus einem versiegelten Umschlag eine Karte hervor und verliest feierlich - nein, nicht den nächsten Oscar-Gewinner. Sondern den Namen einer von fünf gemeinnützigen Organisationen, die an dem Abend ein paar Hunderttausend Dollar von SV2 geschenkt bekommen.

SV2 steht für "Silicon Valley Social Venture Fund", übersetzt: sozialer Risikofonds des Silicon Valley. Es ist ein Klub von Menschen, die zu viel Geld in der hier ansässigen Tech-Industrie verdient haben. So viel, dass sie nicht wissen, wohin damit. Deshalb treffen sie sich alle paar Wochen, um einen Teil davon loszuwerden. Aber nicht irgendwie, sondern streng nach den Regeln von Start-up-Investoren: Hat der Anwärter ein bisher ungelöstes Problem entdeckt? Schwebt ihm eine innovative Lösung vor, die er "iterativ" entwickelt und "skaliert", also in die Welt trägt? Und: Nach welchen Parametern lässt sich der Erfolg messen? Die Millionäre, die sich an dem Abend in einem jüdischen Gemeindezentrum nahe der Google-Zentrale in Mountain View versammelt haben, wollen Zahlen und Kurven sehen, denn die kennen sie aus ihrem Alltag. "Zwölf Millionen Leben haben wir mit unserer Arbeit schon verbessert", sagt die Moderatorin: "amaazing!"

Das Tal der technologischen Innovationen in Kalifornien - es ist auch ein Tal der Superreichen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen ist mit gut 80 000 Dollar fast doppelt so hoch wie im Rest der USA. Auf dem 100 Kilometer langen Landstrich zwischen San Francisco und Santa Clara leben mehr als 50 Milliardäre, einige sind Mitglieder bei SV2. Die Menschen im Gemeindesaal treiben den Einkommensschnitt im Silicon Valley jedes Jahr weiter nach oben und weg vom Rest Amerikas.

Es war Laura Arrillaga-Andreessen, 50, die SV2 vor 18 Jahren gegründet hat, nicht in einer Garage, aber in einem Café in Palo Alto, dem 70 000-Einwohner-Städtchen, das die Hauptstadt des Silicon Valley wäre, wenn es eine gäbe. Hier wuchs Arrillaga-Andreessen als Tochter eines Immobilien-Milliardärs auf und wurde zur Frau eines Tech-Milliardärs: Marc Andreessen ist Netscape-Gründer und Chef eines Risikokapitalfonds, der seinen Namen trägt und zu den einflussreichsten der Welt gehört.

Es bringt erst mal nur Vorteile, mit unternehmerischen Methoden Probleme zu lösen und dann genau zu verfolgen, was das verschenkte Geld in der Welt bewirkt hat; und so kommt die Bewegung nun auch in Deutschland an. Im Sommer kündigte BMW-Erbin Susanne Klatten an, "soziale Rendite", "Wirkungspotenzial" und "Leistungsfähigkeit" ihrer 100 Millionen-Spende messen lassen zu wollen. Aber selbst wenn andere Länder den Ansatz nachahmen, so radikal wie im Valley wird er sich kaum durchsetzen, denn nur hier ist die Mentalität der Leute ganz auf Innovation, Disruption, Effizienz getrimmt - und nur hier gibt es so viele Ultrareiche.

Mit Philanthropie beschäftigen sich viele Menschen erst, wenn sie das Gefühl haben, so viel verdient zu haben, dass sie es in diesem Leben nicht mehr werden ausgeben können, was meist heißt: wenn sie alt sind. Im Valley ist das anders. Dort häufen Gründer in kürzester Zeit riesige Vermögen an; oft sind sie da noch keine 30.

Laura Arrillaga-Andreessen war mit dem Problem bestens vertraut, als sie ihr Studium begann; deshalb erforschte sie, weshalb zu der Zeit nur sehr wenige Gründer spendeten: "Weil ihre Lebensverhältnisse völlig neu waren hier an der Westküste und kein Spendenansatz auf ihre Bedürfnisse einging", sagt sie und zählt Dinge auf, die bis heute typisch für das Silicon Valley sind: Viele Gründer seien nicht hier aufgewachsen, ihnen fehle ein Netzwerk von Menschen mit ähnlichen Sorgen. Sie kämen nicht aus wohlhabenden Familien, die eine Tradition des Spendens hätten. Wie sollten sie also entscheiden, welche Organisation ihr Geld wert sei?

Schon 1969 kam ein Enkel Rockefellers auf die Idee, die Effizienz von Spenden zu messen

Ein Grund, weshalb die Menschen im Valley heute mehr spenden, ist SV2, Arrillaga-Andreessens Netzwerk für Neureiche. Die Vogue bezeichnete sie deshalb als "Drahtzieherin" für Menschen im Valley, die ihr Geld loswerden wollten. Sie überredete die sechs Geschäftspartner ihres Mannes, die Hälfte ihres Einkommens zu spenden, mehrere Milliarden. Und sie ist die engste Beraterin von Tech-Größen wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der zuletzt 45 Milliarden Dollar versprach, um die Welt von Krankheiten zu befreien.

Die Idee, Philanthropie mit unternehmerischen Maßstäben zu verbinden, ist nicht neu. John Rockefeller III, Enkel des Ölbarons, erfand für Effizienz beim Spenden 1969 den Begriff "Venture Philanthropy". 1997 erschien in Harvard Business Review ein Artikel mit dem Titel "Was Stiftungen von Risikokapitalgebern lernen können".

Die Moderatorin schickt die Gäste erneut auf die Terrasse, damit sie Visitenkarten austauschen können. Nach dem Gruppenfoto: ein weiterer Umschlag, diesmal für die "Silicon Valley Urban Debate League", ein Debattierklub für Schüler der Unterschicht im armen Osten Palo Altos. Auf der Website sind Zahlenreihen der sozialen Rendite aufgelistet: "100 Prozent der teilnehmenden Schüler bisher waren arm, 82 Prozent schwarz, allesamt schafften es aufs College, anders als ihre Klassenkameraden." Diese Art von Projekten unterstützt man hier gern; sie versprechen rasche, leicht messbare Erfolge. Das ist aber auch ein gefährlicher Anreiz: Strukturelle Probleme geraten so gar nicht erst ins Sichtfeld. Dabei können sich Menschen im Osten Palo Altos deshalb keine guten Schulen für ihre Kinder leisten, weil die Mieten kaum bezahlbar sind. Der Grund: Der Tech-Boom zieht Unternehmer an, die die Preise nach oben treiben. Unternehmer wie jene auf der Terrasse des Gemeindezentrums.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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