Silicon Valley:Frankenstein-Frikadelle

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(Foto: N/A)

Junge Firmen aus Kalifornien planen, die Schlachtindustrie abzuschaffen. Ihr Produkt: Fleisch aus dem Labor. Tatsächlich wären die tierlosen Burger besser für das Klima.

Von Alina Fichter

Schon bald werden entsetzte Kinder ihre Eltern beim gemeinsamen Abendbrot fragen: "Sagt mal, habt ihr Fleisch früher echt aus Tieren hergestellt, die ihr schlachten musstet? Wie eklig!" So in etwa sieht die Zukunft des Tischgesprächs aus, wenn es nach Uma Valeti geht. Der Gründer des Technologieunternehmens Memphis Meats stellt seit gut einem Jahr Fleisch im Labor her und gehört zu jenen Unternehmern im Silicon Valley, die von sich behaupten, eine Neuordnung der Nahrungsmittelindustrie vorzubereiten. Nachdem Unternehmer aus Nordkalifornien das Geschäft mit Autos, Medien und Handys durcheinandergebracht haben, sind nun also Hotdogs und Hamburger dran.

Valeti ist die 55 Kilometer von San Francisco, wo seine Firma ihren Sitz hat, in die Kleinstadt Palo Alto gefahren, um in einem vollbesetzten Saal zu erklären, wie das gehen soll: Fleisch ohne Tier. Er rechnet vor, wie lange es dauert, bis ein Hackbällchen auf dem Teller liegt, wenn es aus konventioneller Landwirtschaft stammt: Eine Kuh ist neun Monate trächtig, ihr Kalb wird mit zwei Jahren geschlachtet. Macht knapp drei Jahre. "Wir dagegen brauchen nur einen Monat, um Hackbällchen wachsen zu lassen", sagt Valeti.

Was nach der Tierversion des gezüch- teten Menschen Frankenstein klingt, funktioniert so: Den Muskelzellen eines Tieres werden Nährstoffe beigemischt, bevor sie in einen Brutschrank kommen, um bei 37 Grad zu Fleischklöpsen heranzuwachsen. Ein paar Zwiebeln, Gewürze und Ei, fertig ist die Frikadelle. "Wir bieten Touren in unserem Labor an. Es sieht aus wie in einer Brauerei. Jemand interessiert?", fragt Valeti. Vom Nicken im Saal ermutigt, schiebt die Moderatorin nach: "Wer würde das Fleisch denn probieren wollen?" Niemand in Palo Alto ist schockiert von der Frankenstein-Frikadelle. Im Gegenteil: 200 Google-Mitarbeiter, Risikokapitalgeber, Studenten und Stanford-Professoren strecken ihre Hände in die Höhe. Nur drei Vegetarier verziehen ihre Gesichter, aber Zielgruppe für Fleisch sind ohnehin: Fleischesser.

Valeti, eigentlich Kardiologe, hat seine Laborfleisch-Firma genau wie ein Dutzend Konkurrenten nicht ohne Grund im Silicon Valley angesiedelt. Hier sitzen die Risikokapitalgeber. Und hier glauben die Menschen so bedingungslos wie kaum irgendwo auf der Welt an den Fortschritt durch Wissenschaft und Technologie. Sie experimentieren gerne. Auch mit dem eigenen Körper und dem Essen, das sie ihm zuführen. Das macht sie zu willigen Kunden für Nahrungsmittelabenteuer, die anderswo (noch) keine Chance hätten. Zu im Valley beliebten Versuchen gehört etwa "Soylent", eine Art Astronautennahrung für jedermann, das der Softwareentwickler Rob Rhinehart im Selbstversuch herstellte; über den Prozess schrieb er den Artikel "Wie ich aufhörte, Speisen zu essen". Ein anderer Trend heißt "biohacking": Wer 24 Stunden lang gar nichts esse, werde produktiver, so der Glaube, der in einer Reihe von Start-ups gelebt wird. Was also soll dagegen sprechen, an den anderen Tagen eine Labor-Frikadelle in der Kantine anzubieten?

Bevor Winston Churchill Großbritannien als Premierminister durch den Zweiten Weltkrieg führte, sagte er in einem seiner berühmt gewordenen visionären Aufsätze voraus, dass die Menschheit der "Absurdität" entkommen werde, ein ganzes Huhn aufzuziehen, bloß um dessen Brust und Keule zu essen. Er wird wohl recht behalten, nur im Jahr hat er sich verschätzt: Statt 1981 wird es eher 2020 werden. Erst dann könnten genug Labor-Hamburger hergestellt werden, dass sie in Restaurants und Supermärkten zu einem mit Biofleisch vergleichbaren Preis verkauft werden können.

Der erste tierlose Burger kostete 300000 Euro. Das Preisproblem soll bald behoben sein

Der erste tierlose Burger kostete 300 000 Euro, das war vor wenigen Jahren, und Google-Gründer Sergey Brin finanzierte ihn mit. Heute wären es bloß mehr 16 000 Euro; dennoch: ein teurer Grillabend. Noch.

Einer Studie der Oxford Universität zufolge erzeugt die Produktion von Laborfleisch 90 Prozent weniger Treibhausgase als konventionelle Mast. Zudem werden weniger Wasser, Land und Energie bei dessen Herstellung verbraucht. Die Muskelzellen benötigen in ihren Brutkästen keine Antibiotika. Geschmack und Fettanteil sind genau so, wie der Labor-Chef es plant. Und Massentierhaltung würde ebenso überflüssig wie Schlachtungen. Kurzum: Sorgen ums Klima und um die Ethik in der Fleisch produzierenden Industrie würden sich größtenteils auflösen.

Auch wenn über Langzeitfolgen des Laborfleisch-Konsums noch nichts bekannt ist und manche die Frage aufwerfen, ob so ein Zellklops nicht auch irgendwie lebendig sei: Die Studie klingt vielversprechend für den Planeten. Während also der neue US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, das Pariser Klimaabkommen kündigen zu wollen, könnten ein paar Start-ups im Silicon Valley helfen, das Ziel, weniger Treibhausgase auszustoßen, langfristig doch noch zu erreichen. Allerdings nur, wenn die Fleischfirmen es schaffen, ihre Produkte nicht nur Nerds, sondern auch Normalos schmackhaft zu machen.

Wie das geht, können sie von ihren vegetarischen Kollegen lernen, von Patrick Brown etwa, dem Gründer von Impossible Foods: "Wir wollten pflanzlich etwas herstellen, das ein Fleischesser echtem Fleisch vorzieht", sagt er. Es entstand ein Pflanzenburger, der blutet, wenn man reinbeißt - und angeblich fast wie Fleisch schmeckt. Die US-Erklärseite Vox.com verglich Impossible Foods deshalb mit Tesla: Die Firma entwarf ein E-Auto, das nicht nur Moralapostel begeistern sollte, sondern jeden. Einfach, weil die Wagen cool sind, genau wie die blutigen Burger.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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