Siemens und ein dubioser Vermittler:Die Spur führt nach Gibraltar

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Der Siemens-Konzern nutzte für Projekte in Afrika offenbar einen dubiosen Personaldienstleister aus Gibraltar - die Ermittler sind alarmiert.

Markus Balser

Bis vor kurzem war der Weltkonzern Siemens noch ihr Kunde. Doch wer heute in Gibraltar nach der Firma Overseas Executive Services (OES) fragt, bekommt nicht viele Antworten. Im Telefonbuch oder dem Internet ist sie nicht zu finden. Ein Büro hinter dem Postfach PO Box 567 lässt sich auch nicht auftreiben.

Bekanntes Wahrzeichen: Der Felsen von Gibraltar. (Foto: Foto: dpa)

Wer mal mit der Firma zu tun hatte, schweigt: ,,Ich kann Sie nicht mehr hören'', sagt Carlo Mellini*, Kontaktperson für Siemens, trotz bester Telefonverbindung, und legt auf. Dabei war OES gut im Geschäft. Sie soll Siemens über einige Jahre Personal - teils hochqualifizierte Ingenieure - für Projekte in Afrika vermittelt haben.

Manch einer mag sich über die Flüchtigkeit der Firma wundern - der Siemens-Konzern tut es nicht. Bei Overseas Executive Services handele es nicht etwa um eine Briefkastenfirma, sagt ein Sprecher, sondern um einen Personaldienstleister, mit dem man seit den 90-er Jahren bis 2005 Geschäfte gemacht habe.

,,Übliches'' Vorgehen

Er habe Mitarbeiter für Projekte in Afrika vermittelt, wenn Siemens die Nachfrage nicht aus eigener Kraft stemmen konnte''. Das sei ein ,,übliches'' Vorgehen bei Infrastrukturprojekten.

Direkt Beteiligte geben sich wortkarger. Ein für die Zusammenarbeit mit OES verantwortlicher Siemens-Manager, heute für den Konzern in Nigeria tätig, legt bei Anfragen zur Firma OES sofort auf.

Und Jim Treat*, neben Carlo Mellini zweiter OES-Mittelsmann für den potenten Kunden aus Deutschland, tauchte offenbar ganz unter: ,,Wo sich mein Mann aufhält, weiß ich nicht'', sagt seine in der Nähe von London lebende Frau. ,,Irgendwo in Amerika vielleicht. Melden Sie sich, falls Sie ihn finden?''.

Deutsche Behörden schalten sich ein

Verschwundene Geschäftspartner, rätselhaftes Schweigen - inzwischen sind auch deutsche Behörden auf den bizarren Fall aufmerksam geworden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) prüfe, ob es bei den Geschäften zu Verstößen gegen Arbeitsgesetze gekommen sei, heißt es aus Ermittlungskreisen in München.

,,Es gibt einen Anfangsverdacht'', sagt ein Ermittler. FKS-Fahnder des Hauptzollamtes in München haben nach SZ-Informationen einen Zeugen befragt. Auch Siemens sei mit einer Anfrage konfrontiert worden. Siemens bestätigt, man stehe mit der Behörde über den Fall in Gesprächen.

Die britische Kronkolonie an der Südspitze Spaniens ist deutschen Ermittlern seit einigen Jahren ein Dorn im Auge, wenn es um Mittler für Beschäftigungsverhältnisse für hiesige Unternehmen geht.

Verdacht auf Steuerhinterziehung

So stieß ein hessisches Hauptzollamt bei Ermittlungen zuletzt auf eine gibraltarische Briefkastenfirma mit besonderen Aufgaben. Sie soll Speditionen Lkw-Fahrer vermittelt haben, die bei ihr beschäftigt gewesen sein sollten. Weder in Deutschland noch in Gibraltar seien dabei allerdings Steuern oder Abgaben gezahlt worden, so der Verdacht.

Es gehe um weit mehr als 100 Arbeitnehmer, heißt es in Ermittlungskreisen. Die Beschäftigten hätten sich nie in Gibraltar aufgehalten und mit der Firma bis auf die Verträge nichts zu tun gehabt. Der Schaden durch die mutmaßliche Scheinfirma liege nach Einschätzung der Ermittler mindestens im hohen sechsstelligen Euro-Bereich.

Auch Firmen, die die Mitarbeiter eingestellt hätten, drohten nun empfindliche Geldbußen. Per Haftbefehl werde der Beschuldigte wegen Steuerhinterziehung gesucht, heißt es weiter. Doch das Verfahren stocke - denn er sei untergetaucht.

Ein Schwerpunkt der gibraltarischen Firma OES, die Siemens mehrere Jahre zu Diensten war, lag nach Auskunft eines Siemens-Managers in Nigeria - neben anderen Ländern der Dritten Welt in Afrika und Asien.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll vor allem die Siemens-Telekommunikationssparte Com, die auch in den Finanzskandal um schwarze Kassen, geheime Konten und mutmaßliche Tarnfirmen verstrickt ist, die Dienste von OES genutzt haben. Siemens äußerte sich dazu nicht.

Unterschiedliche Auskünfte

Wie viele Aktivitäten liefen bei Siemens wirklich über fragwürdige Firmen? Zu OES gibt es unterschiedliche Auskünfte: Zunächst teilt Siemens mit, im vergangenen Jahr seien in Afrika ,,rund 20 Mitarbeiter über OES beschäftigt'' worden. Später korrigiert ein Sprecher, es seien im Geschäftsjahr 2004/05 in der Spitze 48 gewesen und in den Jahren davor nie mehr als 50.

Ein ehemals über die Firma OES Beschäftigter spricht dagegen von einem System größeren Ausmaßes. Allein bei einem Telekommunikationsprojekt von Siemens in Nigeria seien von Anfang 2004 bis Mitte 2005 etwa 200 Personen über OES beschäftigt worden.

Projekte in Deutschland

Auch für Projekte in Deutschland habe Siemens auf OES zurückgegriffen, sagt ein Mitarbeiter, der nach eigenen Angaben für mehrere Monate bei Siemens in München arbeitete, aber einen OES-Vertrag hatte.

Auffällig sei für die Beschäftigten gewesen, dass nicht der Personaldienstleister OES, sondern Siemens Ansprechpartner für Vertragsfragen gewesen sei. Mit Gibraltar habe er nie Kontakt gehabt, sagt ein Mitarbeiter. Das Projekt sei für einen Siemens-Kunden durchgeführt worden.

,,Ansprechpartner in Vertragsfragen war für mich Siemens''. Nur das Geld sei von OES gekommen. Der Vertrag sei ihm von Siemens vorgelegt worden. Er habe die Vermutung gehabt, dass OES eine Niederlassung von Siemens sei, sagt der Ingenieur.

Nachforschungen

Wozu brauchte Siemens die Firma OES? Erst als Löhne teils ausblieben, stellten Beschäftigte vor einem Jahr Nachforschungen an. Mehr als die private E-Mail-Adresse des Herrn Treat* habe man von Siemens bis heute jedoch nicht bekommen. ,,Bitte haben Sie Verständnis, dass wir die Namen unserer Geschäftspartner nicht öffentlich bekanntgeben'', teilt der Konzern auch auf SZ-Anfrage mit.

Noch immer sollen Zahlungen ausstehen, heißt es. Ein Mitarbeiter zog deshalb inzwischen vor Gericht. Über die Ungereimtheiten um die Firma hätten Mitarbeiter auch die zuständigen Siemens-Manager und selbst die Konzernführung informiert, sagt einer. Aber niemand habe sich für Einzelheiten interessiert.

Der Konzern äußerte sich nicht dazu, ob er Hinweisen auf fragwürdige Geschäfte intern nachgegangen ist.

Neuer Job

Während die ehemaligen Beschäftigten versuchen, das Rätsel der Firma OES nun auf eigene Faust zu lösen, hat der frühere OES-Beauftragte Mellini laut Firmeneintrag einen neuen Job gefunden - in einem anderen schillernden Gewerbe der britischen Kronkolonie: Dem gibraltarischen Pipeline-Business.

* Namen von der Redaktion geändert

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