Siemens und die schwarzen Kassen:Wie Aufsichtsrat Cromme offenbar hintergangen wurde

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Bei Siemens mehren sich die Verdachtsmomente, dass der Aufsichtsrat wichtige Hinweise auf schwarze Kassen nicht erhalten hat: Womöglich wurde mit dem früheren Thyssen-Krupp-Chef Cromme sogar einer von Deutschlands Top-Managern gezielt ausgetrickst.

Klaus Ott

Über die Rechte und Pflichten eines Aufsichtsrats weiß hierzulande vermutlich kaum jemand so gut Bescheid wie Gerhard Cromme. Der ehemalige Chef des Stahlkonzerns Thyssen-Krupp leitet seit 2001 die Regierungskommision Corporate Governance, die Regeln für die Führung und Kontrolle von Aktienunternehmen aufstellt.

Gerhard Cromme: Mit Wissen einiger Siemens-Vorstände hintergangen worden? (Foto: Foto: dpa)

In diversen Aufsichtsräten kann der hochgewachsene Manager diese Maßgaben gleich selbst praktizieren, darunter auch bei Siemens. Dort übernahm Cromme Anfang 2005 den Vorsitz des Prüfungsausschusses, der dafür sorgen soll, dass die Gesetze eingehalten und eventuelle Verstöße abgestellt werden. Inzwischen leitet der gebürtige Niedersachse den Aufsichtsrat; er soll und will dazu beitragen, den Schmiergeldskandal aufzuklären und zu bewältigen.

Schäfer schweigt

Kaum war Cromme Chef des Prüfungsausschusses geworden, da besprach er sich am 17. Februar 2005 in Düsseldorf, dem Sitz von Thyssen-Krupp, eine Stunde lang mit dem damaligen Antikorruptionsbeauftragten von Siemens, Albrecht Schäfer. Es ging, wie Schäfer tags darauf in einem Vermerk aufschrieb, um die "zukünftige Gestaltung der Compliance-Arbeit im Prüfungsausschuss".

Compliance steht für Gesetzestreue; Schäfer war seinerzeit Chief Compliance Officer (CCO) bei Siemens. Vor zwei Monaten hat ihm der Konzern gekündigt, weil er den Gesamtvorstand und den Prüfungsausschuss unzureichend über Hinweise auf Schmiergelddelikte informiert habe. Der ehemalige CCO bestreitet die Vorwürfe. Er verklagt Siemens beim Arbeitsgericht München.

Schäfers Vermerk über das Gespräch mit Cromme vom 17. Februar 2005 und weitere Notizen legen den Verdacht nahe, dass Cromme als Aufsichtsrat bei Siemens gezielt hintergangen wurde, mit Wissen einzelner Vorstände.

Wurden Hinweise auf ein System schwarzer Kassen systematisch vertuscht? Schäfer äußert sich dazu nicht. Sein Anwalt Georg R. Schulz sagt, wegen des laufenden Verfahrens beim Arbeitsgericht nehme man nicht Stellung.

Die Süddeutsche Zeitung hatte sechs detaillierte Fragen gestellt und noch einmal auf sechs frühere, ebenfalls nicht beantwortete Fragen verwiesen. Auch Siemens bittet um Verständnis, dass man wegen des Gerichtsverfahrens nicht Stellung nehme.

Der Reihe nach: Ende 2004 hatte Schäfer intern notiert, er habe mit Vorstandsmitglied Thomas Ganswindt über liechtensteinische Ermittlungen wegen Geldwäsche gegen einen ehemaligen Mitarbeiter gesprochen.

Es sei um die Konzernsparte Telekommunikation (Com) gegangen. Er, Schäfer, habe dazu geraten, eine interne Untersuchung einzuleiten und "sämtliche Beraterverträge sofort fristlos zu kündigen". Über Beraterverträge bei Com waren, wie inzwischen etliche Beschuldigte gestanden haben, häufig Schmiergeldzahlungen abgewickelt worden.

"Inoffizieller Krisenstab"

Ebenfalls Ende 2004 fertigte ein anderer Compliance-Mitarbeiter einen weiteren Vermerk zu den Ermittlungen in Liechtenstein an. Auf diesem Vermerk notierte Schäfer handschriftlich: "Herrn Radomski, z.Kts. - wir bilden da - prophylaktisch - einen inoffiziellen Krisenstab."

Radomski ist Personalvorstand von Siemens, er geht demnächst in Pension. Auf diesem Vermerk von Ende 2004 befindet sich der Eingangsstempels seines Büros.

Wenn das alles so stimmt, was Schäfer und einer seiner Kollegen Ende 2004 aufgeschrieben hatten, dann hatten die beiden damals schon intern Alarm geschlagen und mindestens zwei Vorstände gewarnt. Doch merkwürdig: In Schäfers Aufzeichnung über das Gespräch mit Prüfungsausschuss-Chef Cromme wenige Wochen später in Düsseldorf findet sich darüber kein Wort.

In dieser Notiz heißt es, Cromme habe sich zunächst über aktuelle Compliance-Fälle informieren lassen. Schäfer schrieb, sein Bericht dazu habe sich auf zwei Vorgänge in Italien und ein Kartellverfahren der Brüsseler EU-Kommission beschränkt.

In Schäfers zweiseitigen Vermerk über das Gespräch mit Cromme am 17. Februar 2005 ist keine Rede davon, dass er auch nur mit einem Wort erwähnt habe, was er laut den Unterlagen von Ende 2004 zwei Vorstandsmitgliedern wegen der Ermittlungen in Liechtenstein gesagt oder geschrieben haben will: Eine interne Untersuchung sei einzuleiten, alle Beraterverträge bei Com seien sofort fristlos zu kündigen, man habe einen inoffiziellen Krisenstab gebildet.

"Wie stellen Sie sicher, dass sich so ein Fall nicht wiederholt?"

Bei dem Gespräch in Düsseldorf hatte Cromme laut Schäfers Notiz strenge Vorgaben gemacht: Bei Verstößen gegen Strafgesetze müssten klare Konsequenzen gezogen werden. Er, Cromme, werde sein Augenmerk auf die Prävention richten und die Schlüsselfrage stellen: "Wie stellen Sie sicher, dass sich so ein Fall nicht wiederholt?"

Die SZ wollte von Schäfer wissen, ob es zutreffe, dass er Cromme nicht über die aus dem Ermittlungsverfahren in Liechtenstein gezogenen Schlussfolgerungen (alle Beraterverträge bei Com kündigen) und Konsequenzen (Krisenstab) informiert habe. Und ob dieses Verhalten mit dem Vorstand oder einzelnen Vorständen abgesprochen gewesen sei. Wegen des Verfahrens beim Arbeitsgericht nimmt Schäfer aber nicht Stellung.

Schäfer hat laut seiner beim Gericht gegen Siemens eingereichten Klage den Prüfungsausschuss bei dessen Sitzungen vom 26. Januar und 25. April 2005 über die Ermittlungen in Liechtenstein informiert. In Schäfers Bericht für den Termin im April findet sich beispielsweise die Aussage, derzeit sei nicht abzuschätzen, wie das Ermittlungsverfahren in Liechtenstein weitergehen werde.

Von Pierer im Verteiler

Frage an Schäfer: Trifft es zu, dass er den Prüfungsausschuss damals weder über die intern erhobene Forderung, alle Com-Beraterverträge zu stornieren, noch über den inoffiziellen Krisenstab unterrichtet hat? Diese Frage bleibt wegen des Gerichtsverfahrens unbeantwortet. Aus dem Aufsichtsrat verlautet, Schäfer habe im Prüfungsausschuss nicht über diese Themen berichtet.

Auch Radomski schweigt. Der Personalvorstand lässt über seinen Anwalt ausrichten, er werde in dem von Schäfer gegen Siemens angestrengten Gerichtsverfahren unter Umständen als Zeuge vernommen und müsse sich neutral verhalten.

Radomski war von Schäfer laut dessen eigener Notiz Ende 2004 wegen der Ermittlungen in Liechtenstein gewarnt worden ("wir bilden ... einen inoffiziellen Krisenstab"). Außerdem soll Radomski von Schäfer dessen Vermerk über das Gespräch mit Cromme am 17. Februar 2005 erhalten haben.

Auf diesem Vermerk ist folgender Verteiler aufgelistet: Heinrich von Pierer, damals Aufsichtsrats- und vorher Vorstandschef; der zu dem Zeitpunkt neue Konzernchef Klaus Kleinfeld, der seinerzeitige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger und Personalvorstand Radomski.

Sollte Radomski die Notiz von Ende 2004 (mit dem Hinweis auf den Krisenstab) und Schäfers Vermerk über sein Gespräch mit Cromme im Februar 2005 (ohne Hinweis auf den Krisenstab) tatsächlich erhalten haben, dann hätte er stutzig werden können.

Die SZ wollte wissen, ob Radomski den Antikorruptionsbeauftragten Schäfer damals gefragt habe, warum dieser laut seinem eigenem Vermerk den Prüfungsausschussvorsitzenden Cromme nicht über den inoffiziell gebildeten Krisenstab informiert habe. Radomskis Anwalt antwortete, kein Gericht habe Verständnis dafür, wenn sich ein möglicher Zeuge vorab öffentlich äußere.

Schäfers Anwalt Schulz schreibt in der beim Arbeitsgericht München eingereichten Klageschrift, sein Mandant habe "keine Berichtspflicht" gegenüber dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats gehabt.

Schäfer habe dort "im Namen des Vorstands" referiert, betont Schulz und nennt als Beispiele die beiden Berichte von Schäfer im Januar und April 2005 im Prüfungsausschuss über die liechtensteinischen Ermittlungen.

Sollte Schäfer brisante Informationen gegenüber dem Prüfungsausschuss und dessen Chef Cromme verschwiegen haben, hat er das dann "im Namen des Vorstands" getan? Auch diese Frage bleibt einstweilen noch unbeantwortet.

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