Siemens und die BenQ-Pleite:Kein Anschluss unter dieser Leitung

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Bei den Mitarbeitern wächst die Wut, und die Konzernchefs mühen sich um Schadensbegrenzung, doch ein Konzept ist nirgends zu erkennen. Ein oft gehörter Satz: "Irgendwo endet die Verantwortung."

Hans-Jörg Heims und Karl-Heinz Büschemann

Die Tiger sahen harmlos aus. Sie trugen blaue Kittel, stellten keine Fragen, schrieben lediglich etwas in ihre Blocks und waren wieder verschwunden. Vergangene Woche entpuppten sie sich plötzlich doch als gefräßige Raubtiere. Markus Grolms saß in einem Seminar, als ihn ein Kollege anrief und unterrichtete, dass der taiwanesische Mutterkonzern BenQ für die erst im vergangenen Jahr übernommene Siemens-Handy-Sparte Insolvenz anmelden werde. 3000 Menschen bangen nun um ihren Arbeitsplatz. Grolms, 35 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Qualitätsprüfer und Betriebsratsmitglied am Standort Kamp-Linfort, ist einer von ihnen. "Ja, ich habe Angst, arbeitslos zu werden", sagt der dunkelhaarige Mann ohne Umschweife. Es ist der Tag vor dem Festtag zur Deutschen Einheit. Die Produktion ruht, eine merkwürdige Stille herrscht zwischen den stahlgrauen Werkhallen in Kamp-Linfort, die erst vor drei Jahren eingeweiht und mit modernster Robotertechnik ausgestattet wurden. Außer Grolms altem Opel steht kein Auto auf dem weitläufigen Parkplatz. Die Leere gibt einen Vorgeschmack darauf, wie es hier vom Jahresende an aussehen könnte.

Noch wehen die Fahnen: BenQ-Zentrale in München (Foto: Foto: AP)

Grolms steht im Wind vor dem gläsernen Firmeneingang und raucht eine Zigarette. Um den Hals trägt er seinen Werksausweis an einem roten Band der IG-Metall Dinslaken. Als er vor acht Jahren bei Siemens anfing, da haben ihn seine Freunde beneidet. Siemens, das war schließlich ein Weltkonzern und eine Säule der Deutschland AG. "Das passt", dachte sich auch Grolms. Damals brummte das Geschäft mit Siemens-Handys. Die Modelle waren so gefragt, dass in Kamp-Linfort rund um die Uhr und sieben Tage die Woche produziert werden musste. Entsprechend gut war die Bezahlung. Einen solchen Job setzte man nicht so leicht aufs Spiel, zumal, wenn man wie Grolms keinen Berufsabschluss hat. Einmal hat er sich beim Zusammenbauen eines Schrankes zu Hause den Arm gebrochen. Trotz Gips setzte er sich ans Band und baute Handys, acht Wochen lang. Er hatte nur einen Zeitvertrag und wollte nicht riskieren, wegen zu vieler Fehltage rausgeworfen zu werden.

Konkurrenz wurde besser, schneller, kreativer

Aber die schöne, heile Siemens-Welt konnte solche Einsatzbereitschaft nicht vor dem Niedergang bewahren. "Für einen so hektischen Markt wie den der Mobiltelefone waren die Manager viel zu langsam", sagt Grolms heute. Die meinten, ein Konzern wie Siemens sei unantastbar. Doch die Konkurrenz wurde besser, schneller, vor allem kreativer. Als die Handydisplays von Siemens 265 Farbelemente aufwiesen, brachte Nokia Modelle mit 65 000 auf den Markt. "Aber die Manager redeten weiter alles schön", sagt Grolms. Vor einem Jahr war dann nichts mehr schön zu reden. Siemens-Handys verkauften sich so schlecht, dass der Vorstand die Verlagerung der Produktion nach Ungarn ankündigte. Die Beschäftigten in Deutschland sollten ausbaden, was hoch bezahlte Manager verschuldet hatten, Leute wie der jetzige Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser. Während der Krise im Sommer 2005 sprach Kaeser auf einer Betriebsversammlung in Kamp-Linfort. Er appellierte an die Beschäftigten, sie sollten sich mit dem Unternehmen identifizieren und Opfer bringen. Da hielt es Grolms nicht länger am Platz. Er ging aufs Podium und überreichte Kaeser sein Siemens-Handy. "Wir identifizieren uns mit der Firma, sie aber nicht", sagte er dem irritierten Manager ins Gesicht.

Am nächsten Tag schickte Kaeser eine Mail, in der er erneut um Verständnis warb und versicherte, die Belange der Mitarbeiter lägen ihm am Herzen. "Wie warmherzig der war, haben wir dann bei den Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag gesehen", sagt Grolms. Um ihre Jobs zu retten, mussten die Arbeitnehmervertreter große Zugeständnisse machen. Die wöchentliche Arbeitszeit verlängerte sich um fünf Stunden, Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden gestrichen. Etwa 400 Euro weniger hatte Grolms fortan monatlich in der Tasche. Der Traum vom Eigenheim war geplatzt. "Man dreht jeden Pfennig um", sagt der Familienvater.

"Das Ding wird fliegen"

Die Hoffnung, mit den neuen Besitzern würde sich die Lage ändern, hielt nicht lange. Ab und an seien BenQ-Manager mit Blocks unterm Arm gekommen und in blauen Besucherkitteln durch die Hallen geschwebt. "Passiert ist aber nichts", sagt Grolms, der seit März dem Betriebsrat angehört. Die Mitarbeiter hörten wieder nur Durchhalteparolen des Managements, das im Wesentlichen aus den selben Leuten bestand wie zu Siemens-Zeiten. "Das Ding wird fliegen", schwärmte ein früherer Personalvorstand, nach dem die Taiwanesen das Kommando hatten. "Man brauchte kein Insiderwissen, um zu sehen, was eines Tages mal passieren würde", sagt Grolms. "Wir ahnten, dass es nicht mehr lange gut gehen würde und mussten trotzdem weiter arbeiten."

Jetzt ist es wohl zu spät. Seit Freitag wird der Münchner Elektro- und Elektronik-Riese geprügelt wie wohl nie in seiner fast 160-jährigen Geschichte. Politiker, Gewerkschafter und Mitarbeiter fallen über den Konzern her, seitdem der vermeintliche Handy-Retter BenQ zum Insolvenzrichter musste. Eine "Riesensauerei" nennt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die Vorgänge. Die Mitarbeiter werfen ihrem ehemaligen Arbeitgeber "arglistige Täuschung" vor, die IG Metall spricht vom "eklatanten Versagen des Managements". Es sei "beschämend", dass Siemens nicht fähig gewesen sei, die Handy-Fertigung weiterzuführen. Die Kanzlerin hat sich eingeschaltet, SPD-Chef Kurt Beck redet mit. Am Montag musste Siemens-Chef Klaus Kleinfeld in der Münchner Staatskanzlei antreten.

Mit diesem politischen Druck und dieser Wut hatte die Siemens-Führung am Wittelsbacher-Platz nicht gerechnet. Der Vorstand unter dem 49-jährigen Kleinfeld hatte die Handy-Sparte den Taiwanesen geschenkt und noch mehr als 400 Millionen Euro draufgelegt, um ein Problem los zu werden. Der Konzern hatte wichtige Trends übersehen. Die Konkurrenz war besser. Bei Siemens explodierten die Verluste. Aber Kleinfeld hatte wohl kaum erwartet, dass die Entscheidung vom Sommer 2005 ihn so schnell einholen und zum Prügelknaben machen würde.

Siemens galt als zuverlässig und solide

Kleinfeld, seit Anfang 2005 Nachfolger des langjährigen Siemens-Chefs Heinrich von Pierer, ist für das Unternehmen ein neuer Manager-Typ. Traditionell hatten die Ingenieure das Sagen in dem Technikkonzern, der weltweit 460 000 Beschäftigte hat und dessen Produkte vom Gaskraftwerk über Röntgengeräte bis zum Telefon reichen. Siemens reagierte stets behäbig. Die Gewinne waren selten exorbitant, trotzdem schwamm der Riese im Geld. Nicht zuletzt, weil er viele Geschäfte mit dem Staat machte - mit Post und Bahn. Die Produkte waren in der Welt wegen ihrer Qualität geschätzt. Siemens galt als zuverlässig und solide. Typisch deutsch.

Kleinfeld ist Betriebswirt, hat viele Jahre seiner Karriere in den USA verbracht. Das hat ihn geprägt und geöffnet für die Wünsche der Finanzmärkte, denen der alte Siemens-Konzern unheimlich war. Kleinfeld empfahl sich als der Mann, der die Vorliebe der Investmentbanker für kurzfristige Strategien bedienen würde. Der neue Chef, der im kleinen Kreis seinen Charme ausspielen kann, konnte aber im Konzern nicht landen. Er schaffte es nicht, bei den weltweit verstreuten Mitarbeitern Vertrauen zu erwerben. Schon Wochen nach seinem Start präsentierte sich Kleinfeld als Macher, der mit Traditionen bricht. Obwohl das Management versprochen hatte, die Handy-Jobs in Kamp-Lintfort zu erhalten, verschenkte er die Handysparte an BenQ - und löste eine Kettenreaktion aus, ohne es zu merken: Er hatte die Glaubwürdigkeit von Siemens zerstört und so einen Teil der Unternehmenskultur. Er galt als Mann der Analysten und Manager ohne Strategie. Als Kleinfeld ein knappes Jahr später auch den Bereich mobile Telefonnetze abstieß, galt er intern nur noch als Mann fürs Kleinholz.

"Diese Gehaltserhöhungen waren fällig"

Den nächsten Image-Schaden erlitten Kleinfeld und Siemens vor anderhalb Wochen, als ruchbar wurde, dass der Siemens-Vorstand eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent erhält. Politiker schäumten, Bild titelte: "Frechste Gehaltserhöhung des Jahres". Jetzt galt die Siemensführung auch noch als gierig. Ungerührt verteidigte der Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer den Schritt in der SZ: "Diese Gehaltserhöhungen waren fällig, dabei bleibe ich."

Bis sich in die Führungsetage herumsprach, dass Siemens ein massives Image-Problem hat, vergingen weitere zwei Tage. Am Montag machte Kleinfeld einen Kniefall vor der Bild-Zeitung. Die Gehaltserhöhung werde zurückgenommen. 35 Millionen Euro würden statt dessen für die Betroffenen der BenQ-Katastophe verwendet. Brav kommentierte Bild den weisen Schritt der Siemens-Manager. Dass die Gehaltserhöhung nur für ein Jahr verschoben war, fiel unter den Tisch.

"Rechtsanwälte da dran gesetzt"

Am Montagabend suchte Kleinfeld erneut die Flucht nach vorne, in den Tagesthemen und im Heute-Journal - und handelte sich böse Fragen ein. "Wurden Sie über den Tisch gezogen?", fragte die ZDF-Moderatorin zu BenQ. Kleinfeld wich aus. "Wir haben eine Reihe von Rechtsanwälten da dran gesetzt." Er wirkte unsicher. "Wir werden helfen", ließ er die Betroffenen noch wissen.

Er wird nicht mehr viel tun können, außer Zahlungen für Härtefälle. Die Handysparte gehört dem jungen BenQ-Konzern, der weltweit knapp 19 000 Beschäftigte hat und mit Hilfe der Handys in der Welt der Elektronik von sich reden machen will. Bei Siemens ist das Kapitel dagegen erledigt. Nie werde der Konzern die Handys zurücknehmen, sagt ein Siemens-Manager der SZ. Ein dieser Tage im Konzern oft gehörter Satz heißt: "Irgendwo endet die Verantwortung." Ein Vorstandsmitglied schimpft aber über die angeblich treulosen taiwanesischen Partner, die ihre deutsche Tochter pleite gehen ließen: "Wenn sich BenQ jetzt nicht besinnt, die Verantwortung für Deutschland zu übernehmen, dann fühlen wir uns getäuscht."

Doch bei Siemens dürfte den Beteiligten klar gewesen sein, dass der Verkauf für die deutschen Mitarbeiter nicht viel Gutes bedeutet. Kuen-Yao Lee, Chef von BenQ in Taiwan, wies schon bei den Verhandlungen 2005 darauf hin, dass es in Deutschland 2006 erhebliche Veränderungen geben werde. Bis dahin werde man "die Vereinbarungen zwischen Siemens und den Beschäftigten einhalten". Dann fiel ein Satz, der aus dem Mund eines fernöstlichen Managers klingt wie eine Drohung: "Anschließend werden wir aber offen darüber sprechen müssen, was für alle Seiten am besten ist."

Bei der deutschen Tochter ist nicht mehr viel verwendbar

Siemens hat den Taiwanesen auch gleich 1750 Handy-Patente übergeben. Die meisten liegen einem BenQ-Manager zufolge bei der Muttergesellschaft in Taiwan. "Das war von Anfang an so vereinbart." Doch pleite ist die deutsche Tochter von BenQ. Der Insolvenzverwalter wird nicht mehr viel finden, das verwendbar ist. Geschieht kein Wunder, ist für die Ex-Siemens-Arbeiter bei BenQ Schluss.

Markus Grolms in Kamp-Linfort weiß, dass bis zum Jahresende hier vorerst weiter produziert wird. Er ist ein Kind des Ruhrgebiets. Sein Vater hat vor 20 Jahren in Rheinhausen gegen die Schließung der letzten Stahlwerke protestiert. Bei der täglichen Fahrt durchs Ruhrgebiet kann er sehen, wie lang es dauert, bis sich ein Standort, an dem die Lichter einmal ausgegangen sind, wieder mit Leben füllt. Grolms studiert an der Fernuniversität Hagen Politik, Recht und Psychologie. Er will Konfliktberater werden. An seinem jetzigen Arbeitsplatz kann er schon reichlich Erfahrung sammeln.

© SZ vom 5.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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