Siemens und das Schmiergeld:Was ein Vorstand so alles wusste

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Aufschlussreiche Erkenntnisse, was bei Siemens auf höchster Ebene so alles besprochen wurde, hat der frühere Vorstand Thomas Ganswindt der Münchner Staatsanwaltschaft über den Schmiergeldskandal geliefert. Wie weit reichte das System nach oben?

Klaus Ott

Thomas Ganswindt, ein studierter Maschinenbauer, gehörte bei der Siemens AG noch nicht lange zum Spitzenmanagement, als er eines Tages Besuch aus Nigeria erhielt.

Ein Herr A., Träger eines Doktortitels und Inhaber einer privaten Telefongesellschaft, wollte mit dem Technologiekonzern Geschäfte machen. Ziemlich großspurig und polternd sei Dr. A. 2002 oder 2003 in sein Büro gestürmt, erinnerte sich Ganswindt, als er Jahre später wegen des Korruptionsskandals einige Tage in Untersuchungshaft saß und von der Staatsanwaltschaft vernommen wurde.

Wenige Wochen vor der vorübergehender Festnahme hatte der gelernte Maschinenbauer übrigens den Siemens-Vorstand verlassen und war zu einem anderen Unternehmen gewechselt.

Die Firma des Doktors habe ein Mobilfunknetz in Nigeria aufbauen wollen, erzählte Ganswindt den Ermittlern. Der Manager war bei Siemens für die Sparte Telekommunikation (Com) zuständig gewesen, die solche Sendenetze errichtete und die dazu nötigen Anlagen lieferte.

Knochenhart und zäh

Wenn Siemens diesen Auftrag haben wolle, müsse man "etwas bieten", soll Dr. A. nach Angaben von Ganswindt geäußert haben. Der Mann aus Nigeria habe auf einen weltweit tätigen Konzern verwiesen, der 50.000 Handys offeriere, natürlich umsonst.

Knochenhart und zäh seien die Verhandlungen mit Dr. A. gewesen, berichtete Ganswindt der Staatsanwaltschaft. Er habe die Sache mit dem für Nigeria zuständigen Regionalvertreter bei Siemens besprochen und von diesem erfahren, dass man Geschäfte in Nigeria direkt vor Ort anschiebe, wenn das nötig sei. Ganswindt sagte aus, er habe das so verstanden, dass der Konzern in Nigeria Schmiergeld zahlen müsse, um Aufträge zu erhalten.

Er sei dem aber nicht nachgegangen. Wäre das ein Fall aus den USA gewesen, dann hätte er sicher anders reagiert, gab Ganswindt zu Protokoll.

Doch Afrika, der Nahe Osten oder die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, das waren für den Siemens-Manager "problematische Länder", bei denen er vermutete, dass die Konkurrenz ebenfalls zu solchen Mitteln greife.

Von Pierer widerspricht

Warum also groß nachfragen. Später erfuhr Ganswindt laut seiner Aussage trotzdem mehr, etwa von Schmiergeldzahlungen in den früheren Sowjetstaaten, in Afrika und anderswo. Er sei schockiert gewesen, er habe sich beschissen gefühlt und das stoppen wollen. Doch das gelang ihm nicht.

Um sauber zu sein, hatte Siemens die Antikorruptionsabteilung Compliance. Doch die habe ihre eigentliche Aufgabe, Gesetzesverstöße aufzudecken und sich solcher Vorgänge anzunehmen, gar nicht wahrgenommen, äußerte Ganswindt bei seinen Vernehmungen.

Er habe im Gegenteil festgestellt, dass bei Compliance eher der Versuch unternommen worden sei, derartige Vorgänge aktiv zu vertuschen. Ein harter Vorwurf. Der damalige Compliance-Chef hat später solche Anschuldigungen wiederholt zurückgewiesen und beteuert, er habe stets seine Aufgabe wahrgenommen, im Rahmen seiner Zuständigkeit für rechtmäßiges Verhalten im Unternehmen zu sorgen. Siemens erklärte zu Ganswindts Aussage auf Anfrage, es handele sich um laufende Untersuchungen, zu denen man sich nicht äußere.

Im Dezember 2007 hatte Siemens mitgeteilt, eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem früheren Compliance-Chef und dem Konzern sei beendet worden, man habe eine im August erfolgte Kündigung dieses Managers zurückgenommen, man spreche ihm das volle Vertrauen aus und er wirke nun freiwillig an der umfassenden Aufklärung der Vorgänge mit.

Eine Schlüsselfigur mit viel Insiderwissen hatte sich also dazu entschlossen, auszupacken. Über den Schreibtisch des früheren Compliance-Chefs liefen viele brisante Vorgänge, von ihm erhofft sich Siemens wertvolle Hinweise, ob und inwieweit Vorstände von dem Schmiergeldsystem gewusst oder es gar vertuscht hätten.

Die Compliance-Abteilung berichtete dem Vorstand und dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, was aktuell untersucht wurde.

Ganswindt hatte das bei seinen Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft so in Erinnerung, dass einige Vorstände vorab besser informiert gewesen seien als andere Mitglieder des Gremiums, darunter der damalige Konzernchef Heinrich von Pierer und Personalvorstand Jürgen Radomski.

Was der Aufsichtsrat erfahren solle, sei im Anschluss an die offiziellen Vorstandssitzungen "im kleinen Kreis" festgelegt worden, unter anderem mit Pierer und Radomski.

Dem sei nicht so gewesen, widersprechen Pierer und Radomski über ihren Anwalt. Sie hätten keine Informationen vorab besessen. Es habe auch keinen kleinen Kreis gegeben, in dem nach den Vorstandssitzungen festgelegt worden wäre, was dem Aufsichtsrat mitgeteilt werden solle.

Da die schriftlichen Unterlagen für die Aufsichtsräte schon "einige Tage zuvor über die Post zugestellt werden mussten" und der Vorstand erst einen Tag vor dem Aufsichtsrat beziehungsweise dem Prüfungsausschuss zusammengesessen habe, wäre das selbst theoretisch gar nicht möglich gewesen, so der Anwalt.

Personalie S.

In einem anderen Detail bestätigt der Anwalt von Radomski und Pierer allerdings ein von Ganswindt geschildertes Detail. Ganswindt hatte bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, der Compliance-Chef habe im Vorstand bei der Schilderung der Untersuchungsfälle auf Nachfragen auch Namen genannt. Der Name S. sei auf jeden Fall genannt worden.

Reinhard S. ist eine der Schlüsselfiguren im Korruptionsskandal. Er hatte in der Sparte Telekommunikation (Com), für die Ganswindt zuständig war, in großem Stil schwarze Kassen angelegt. Er war auch derjenige gewesen, der Ganswindt über Schmiergeldzahlungen in bestimmten Ländern beziehungsweise Regionen informiert und dabei Größenordnungen genannt hatte.

Gegen Reinhard S. wurde ab 2004 in Liechtenstein und ab 2005 in der Schweiz ermittelt, längst zählt er auch zu den Beschuldigten bei der Münchner Staatsanwaltschaft. Dass sein Name im Vorstand fiel, räumt Pierers und Radomskis Anwalt ein. "Gegen S. wurde - was bekannt war - staatsanwaltschaftlich ermittelt. Soweit erforderlich, wurden Namen ausgesprochen und (erforderliche) Aufgaben besprochen."

Der Vorstand kannte also die Personalie S. - im Gegensatz zum Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats. Bei dessen Sitzungen war laut den betreffenden Protokollen immer nur von einem ehemaligen Mitarbeiter die Rede.

Dass es sich um Reinhard S. handelte und dass dessen Name auch bei anderen Untersuchungsfällen auftauchte, erfuhr der Prüfungsausschuss nicht. Dass es sich statt um einzelne Fälle um ein System handeln könnte, blieb dem Ausschuss und somit dem Aufsichtsrat verborgen.

Der Vorstand war da in einer Hinsicht besser informiert. Den Namen S. kannte man dort zumindest. Ob der Vorstand hätte ahnen können oder gar wissen müssen, dass der Name S. für ein System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen stand, soll nach dem Willen des Aufsichtsrats noch aufgeklärt werden, wie vieles andere auch.

Pierer und Radomski beteuern, von diesem System nichts gewusst zu haben, bis im Herbst 2006 die Staatsanwaltschaft zuschlug.

Den Ermittlern berichtete Ganswindt anschließend, er habe die Wahl zwischen Pest und Cholera gehabt. Er sei in Sorge gewesen, Aufträge zu verlieren, falls man anders als die Konkurrenz nicht zu "diesen Mitteln" greife. Hätte er auf die Pauke gehauen, um die illegalen Praktiken zu unterbinden, dann wäre unter Umständen das ganze Unternehmen, sprich die Sparte Com, gefährdet worden.

Man habe sowieso schon riesige Verluste gemacht. 800 Millionen Euro im Jahr 2002, 400 bis 600 Millionen Euro im Jahr darauf. Er habe 20.000 Mitarbeiter entlassen müssen. Das sei für die Beschäftigten ein "Kulturschock" gewesen, sagte Ganswindt aus, für ihn übrigens auch. Er habe vor dem Dilemma gestanden, noch mehr Leuten kündigen zu müssen, falls noch mehr Aufträge wegfielen.

Auch andere Beschuldigte haben erklärt, ihnen sei es bei der Schmiergeldpraxis darum gegangen, mit Aufträgen Arbeitsplätze zu erhalten. Ein beliebtes Argument, das von der neuen Konzernspitze allerdings zurückgewiesen und widerlegt wird.

Der Auftragseingang war noch nie so hoch wie im vergangenen Geschäftsjahr, als das Schmiergeldsystem aufgeflog und ziemlich schnell abgestellt worden sein dürfte. Es geht offenbar also auch ohne Korruption, auch wenn das früher bei Siemens viele Leute nicht glauben wollten.

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