Siemens:Tagebuch des Frusts

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Bloggen ist heute in, aber so dürfte sich Siemens-Chef Klaus Kleinfeld das elektronische Tagebuch im Intranet des Konzerns nicht vorgestellt haben: Statt über "Kundenzufriedenheit" zu räsonieren, empören sich die Mitarbeiter über die Maßlosigkeit ihrer Chefs, deren Bezüge um 30 Prozent steigen sollen.

Markus Balser

Intel-Chef Paul Otellini tut es, SAP-Vorstand Shai Agassi, und auch Siemens-Chef Klaus Kleinfeld ist auf der Höhe der Zeit: Spitzenmanager bloggen.

Gegenüber modernen Kommunikationsformen aufgeschlossen: Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. (Foto: Foto: ddp)

Blog ist die Kurzform für Weblog, die Möglichkeit, per Online-Tagebuch der ganzen Welt die eigenen Gedanken mitzuteilen. Allein im ,,CEO-Corner'' des Firmennetzes bei Siemens schauen nach Konzernangaben täglich 7000 Mitarbeiter auf der Tagebuchseite vorbei.

Damit liegt sie regelmäßig unter den Top drei der meistbesuchten Intranetseiten in Deutschland. Zuletzt hatte der Konzernchef seinen Mitarbeitern im Blog die Kundenzufriedenheit ans Herz gelegt und sie zu eigenen Kommentaren ermuntert. Doch seit der vergangenen Woche sehen die Beschäftigten viel mehr Diskussionsbedarf zu einem ganz anderen Thema.

Noch schärfer

Die Bekanntgabe der Gehaltserhöhung für Vorstände um 30 Prozent hatte bereits bei Politikern, Gewerkschaften und Managementkollegen heftige Reaktionen ausgelöst. Doch im eigenen Unternehmen fällt die Reaktion noch schärfer aus.

Fast 70 Seiten umfasst ein Ausdruck der Diskussion im internen CEO-Forum inzwischen. Für den Gesamtbetriebsrat eine Überraschung, denn die Siemensianer können ihre Kritik nicht anonym äußern. Wer seinem Chef die Meinung sagen will, muss sich mit vollem Namen und Geschäftsgebiet identifizieren. Die Hemmschwelle sei groß, die Beiträge gerade deshalb repräsentativ, heißt es.

Offene Konfrontation

An eine derart offene Konfrontation der Beschäftigten mit der Konzernführung können sich selbst altgediente Mitarbeiter nicht erinnern.

,,Da ist eine erstaunliche Lawine losgetreten worden'', schreibt ein Teilnehmer. ,,Sie haben mit guten Ideen angefangen. Leider aber scheint die Maßlosigkeit auch in den Vorstandsetagen rasch um sich zu greifen'', liest eine Beschäftigte ihrem Chef die Leviten.

,,Mit Ihrer Gehaltserhöhung löschen Sie zielsicher auch das letzte Fünklein Motivation beim einzelnen Mitarbeiter aus'', schreibt ein anderer. Und: ,,War es das wert, dass man mit einem Paukenschlag die ganze Unternehmensphilosophie aufs Spiel setzt?''

Auswirkungen auf das Geschäft

Für die Beschäftigten ist klar, dass die Diskussion Auswirkungen auf das Geschäft hat: ,,Die Stimmung ist so schlecht wie noch nie. Und glauben Sie mir: die Kunden spüren das.'' ,,Wie sollen wir Kunden Preiserhöhungen erklären'', heißt es an einer Stelle. ,,Es wäre besser, dieses Geld in die Beseitigung von Qualitätsproblemen zu stecken'', an einer anderen.

Nicht gelten lassen wollen Beschäftigte die Begründung der Konzernführung, der Dax-Vergleich rechtfertige höhere Gehälter: ,,Ich habe von unserer eigenen Siemens-Personalabteilung stets gelernt, dass nur Verweise auf eigene Leistungen das Gehalt rechtfertigen'', heißt es im Intranet.

,,Bitte interpretieren Sie diese mehrheitlich nachdenklichen, abgewogenen Kommentare nicht als Ausdruck von Neid'', fordert ein anderer Mitarbeiter. Den meisten Kolleginnen und Kollegen gehe es um so altmodische Dinge wie Bewusstsein für Angemessenheit und Stil.

Höflich

,,Ich würde mir wünschen, dass die im Leitbild unseres Unternehmens verankerte gesellschaftliche Verantwortung dazu führt, dass unser Topmanagement mit leuchtendem Beispiel voran geht, statt dem Dax hinterherzuhecheln.'' ,,Danke für die Möglichkeit eine Reaktion mitteilen zu dürfen'', endet einer der letzten Kommentare höflich. ,,Aber wo bleiben die Antworten?''

© SZ vom 28.09.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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