Siemens-Korruptionsskandal:Stille Post aus Hongkong

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Im Korruptionsskandal bei Siemens führen Spuren nach China, interne Prüfer stoßen auf eine Vielzahl dubioser Beraterverträge.

Janis Vougioukas, Markus Balser und Henrik Bork

Wenn Siemens-Mitarbeiter in Schanghai derzeit über Zahlenkolonnen brüten, geht es in vielen Büros nicht um neue Aufträge auf dem Boommarkt.

Zahlreiche Mitarbeiter des Konzerns sind mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. Denn die Konzernspitze hat alle Bereiche aufgefordert, Listen über projektbezogene Beraterverträge der letzten Jahre zu erstellen.

In langen Exceltabellen sind mittlerweile hunderte Aufträge und Zahlungen dokumentiert. Neben Ansprechpartnern und Zahlungsdaten findet sich am Ende jeder Spalte ein Vermerk, ob dafür auch eine Gegenleistung erbracht wurde, zum Beispiel in Form einer Marktstudie.

"No Evidence"

Falls nicht, stehen sie unter Verdacht. Dutzende Projekte sind in den Listen mit "N" markiert. Und das bedeutet: No Evidence - keine belegbare Gegenleistung.

Nicht in allen Fällen muss es sich tatsächlich um Korruption handeln, heißt es aus Kreisen des Technologiekonzerns. Doch selbst hochrangige Siemens-Manager sind überrascht von der Fülle der Beraterverträge, die in den vergangenen Jahren oft mit diffusen Firmen und völlig unklarem Geschäftsgegenstand abgeschlossen wurden.

Schon in den vergangenen Tagen hatte die Landesgesellschaft "unangemessene Geschäftsaktivitäten eingeräumt".

Führungskräfte entlassen

Am Freitag wurde bekannt, dass deswegen auch hochrangige Manager den Hut nehmen mussten. Der Konzern habe auch Führungskräfte wegen "Unregelmäßigkeiten" entlassen, räumte China-Chef Richard Hausmann vor Journalisten in Peking ein.

Sie seien ein Teil der 20 Siemens-Beschäftigten in China, deren Kündigung bereits am Vortag bekannt geworden war. Interne Untersuchungen unter 46.000 Siemens-Mitarbeitern in China hätten Unregelmäßigkeiten zu Tage gefördert, die "dann auch zur Entlassung von Mitarbeitern geführt" hätten, sagte er. Details wollte der China-Chef der Firma unter Hinweis auf laufende Untersuchungen nicht nennen.

Die internen und externen Prüfer des Unternehmens verfolgen schon seit Monaten dubiose Zahlungen im Zusammenhang mit dem China-Geschäft. So prangerte ein Prüfbericht im November Geschäftsbeziehungen zu einer schwedischen Beratungsfirma mit Verbindungen nach Hongkong an.

Hohe dubiose Zahlungen

Die Wirtschaftsprüfer von KPMG fanden nach Informationen der Süddeutschen Zeitung heraus, dass sie hohe dubiose Zahlungen erhalten haben soll.

Zwischen Oktober 2005 und September 2006 habe Siemens 4.739.336 Euro und 49 Cent überwiesen, heißt es in dem Papier. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, schloss KPMG, läge ein Fall von Auslandsbestechung vor. Ein Konzernsprecher wollte den Vorgang unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren.

Auch ein Mailverkehr zwischen Siemens und der kleinen Firma aus dem Jahr 2000 wirft Fragen auf. Der Hongkonger Geschäftsanbahner Max R. stauchte den damaligen Siemens-Bereichsvorstand Lothar Pauly unverblümt zusammen: Siemens-Zahlungen seien überfällig.

Besonders negativ wirke sich aus, dass die zweite Hälfte für das diesjährige Unicom-Geschäft über 2,5 Millionen Dollar noch nicht angekommen seien. Und das nur, weil Siemens die Zahlungen an alle Agenten weltweit über "obskure Bankkonten" laufen lassen wolle.

Wichtiger Kunde

Unicom zählt zu den größten Mobilfunkanbietern in China und war lange wichtiger Siemens-Kunde. Max R. forderte unmmissverständlich das Geld an und beruhigt: "Die Zahlungen werden steuerrechtlich und rechtsgültig als Vor-Dividende verbucht." Die Mittel seien so nicht mehr nachverfolgbar. Im "unwahrscheinlichen Fall", dass jemand in Zukunft auf die Idee komme, das alles zu untersuchen, werde er nur herausfinden, "dass wir gut bezahlte Agenten sind. Nicht mehr."

Paulys Anwalt Kurt Kiethe bestätigt eine Vertragsbeziehung zwischen Siemens und der Firma des Beraters. Die sei aber völlig legal gewesen. Auch Provisionen seien gezahlt worden, etwa für die Mithilfe bei einzelnen Aufträgen oder Verkaufsförderungsmaßnahmen.

Dabei sei es jedoch nicht um Schmiergeld gegangen, sondern um angemessene Provisionen für Leistungen des Beraters, erklärt Kiethe. Siemens wollte sich zum dem Fall nicht äußern.

Harte Gangart

Offenbar besorgt um seinen Ruf schlägt der Konzern derzeit in China - seinem wichtigsten Wachstumsmarkt - eine harte Gangart im Kampf gegen die Korruption ein.

In einer bislang beispiellosen Aktion trommelte Siemens am 31. Juli 200 Siemens-Manager für drei Tage zu einer Compliance-Konferenz in der Hauptstadt Peking zusammen.

Siemens-Zentralvorstand Klaus Wucherer, China-Chef Richard Hausmann und Korruptionsbekämpfer Michael Hershman sollten die Truppe auf neue Richtlinien einschwören. Ein schlechtes Image kann sich der Konzern nicht leisten. Die Umsätze in China steigen rasant. Der Marktanteil legte in drei Jahren von 3,5 auf sechs Prozent zu und die Beschäftigtenzahl stieg allein im vergangenen Jahr um 25 Prozent auf 43000.

Doch es ist nicht einfach, in China ethische und rechtliche Grundsätze aus Europa einzuhalten. Kaum ein System ist so korrupt wie das der Volksrepublik.

Nahezu unbegrenzte Macht

Oft werden Provisionszahlungen für erfolgreich vermittelte Aufträge offen eingefordert. Besonders auf dem Land blüht das System aus Günstlings- und Vetternwirtschaft. Die Vertreter der lokalen Regierungsbehörden üben dort nahezu unbegrenzte Macht aus. Ihr Wort entscheidet über Baugenehmigungen und Großaufträge - und viele lassen sich bei ihren Entscheidungen gerne durch kleine Zuwendungen beeinflussen.

Regelmäßig geraten ausländische Firmen inzwischen ins Fadenkreuz der Anti-Korruptionsbehörden. Erst Anfang des Jahres verhaftete die Schanghaier Polizei bei einer Korruptions-Razzia 22 Manager ausländischer Firmen, darunter McDonalds, Whirlpool, McKinsey und ABB.

© SZ vom 25.08.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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