Siemens-Korruptionsaffäre:Geschockt von der Wagenburgmentalität

Lesezeit: 3 min

Die Siemens-Aufsichtsräte sind entsetzt über über das Ausmaß der Korruptionsaffäre - und die Beharrungskräfte im Konzern. Diverse Führungskräfte und Betriebsräte setzen offenbar immer noch auf Vertuschen statt auf Aufklärung.

Klaus Ott

Fix und fertig waren viele Aufsichtsräte von Siemens nach dem Sitzungsmarathon der vergangenen Tage, und die körperliche wie geistige Erschöpfung lag nicht nur an den pausenlosen Beratungen. Einige der Kontrolleure zeigten sich hinterher entsetzt über das bisherige Ausmaß der diversen Affären und über die Aussicht, dass noch längst nicht alles aufgedeckt sei. "Das schneidet tief in den Konzern hinein", sagte ein Aufsichtsrat; andere wiederum waren noch mehr schockiert über die "Wagenburgmentalität", die man teilweise vorgefunden habe.

Diverse Führungskräfte und selbst Betriebsräte setzten offenbar immer noch auf Verdrängen und Vertuschen statt auf Aufklärung. Der neue Vorstandschef müsse wohl erst einmal kräftig aufräumen, lautete die bittere Erkenntnis mancher Kontrolleure.

Inzwischen sind Details bekannt, wie es dazu kam, dass Klaus Kleinfeld sich mit Auslaufen seines Vertrags als Konzernchef Ende September 2007 zurückzieht. Nach Angaben aus Aufsichtsratskreisen hat die von Siemens mit der internen Untersuchung der Affären beauftragte US-Kanzlei Debevoise dazu geraten, die ursprünglich für diese Woche geplante Verlängerung von Kleinfelds Vertrag bis zur nächsten Sitzung des Kontrollgremiums im Juli zu vertagen.

Man habe bisher zwar keine Hinweise auf eine Verwicklung von Kleinfeld in eine der Affären gefunden. Aber das Risiko, doch noch auf solche Erkenntnisse zu stoßen, sei gegeben. Bis zum Juli mochte Kleinfeld aber nicht warten.

Nur der Anfang der Untersuchung

Münchner Staatsanwälte und die von Siemens selbst eingeschalteten Anwälte der Kanzlei Debevoise haben bislang vor allem die Sparte Telekommunikation (Com) geprüft und sind dort auf schwarze Kassen und weltweite Korruption gestoßen. Die Höhe der fragwürdigen Zahlungen bei Com beziffert Siemens auf 420 Millionen Euro seit Ende vergangenen Jahrzehnts.

Das dürfte nur der Anfang sein. Die von Siemens beauftragte US-Kanzlei Debevoise beginnt derzeit erst, die anderen Konzernbereiche zu durchleuchten. Siemens erwartet, dass der "Umfang der gesamten zu untersuchenden Zahlungen noch deutlich zunehmen" werde. Eine Größenordnung nannte der Konzern nicht.

Der Münchner Staatsanwaltschaft liegen schon seit einiger Zeit Hinweise vor, dass auch in Sparten wie Verkehr und Energie schwarze Kassen geführt und Schmiergeldzahlungen geleistet worden sein könnten. Inzwischen ermittelt auch die US-Börsenaufsicht SEC gegen Siemens. Die bisherige informelle Untersuchung sei in eine offizielle Prüfung umgewandelt worden, teilte der Konzern am Donnerstag mit.

Details der bisherigen Prüfergebnisse nannte der Vorstand nicht, doch aus den diversen Ermittlungsverfahren und aus dem Unternehmen selbst sickert einiges durch, das die vom scheidenden Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld angekündigte Aufklärung als unvollständig erscheinen lässt. Kleinfeld konnte seine harte Linie offenbar nicht überall durchsetzen, wie der Umgang in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München mit dem Skandal um die verdeckte Finanzierung der Arbeitnehmer-Organisation AUB vermuten lässt.

Prüfer Noa wusste nichts

Siemens hatte die AUB mit 50 Millionen Euro zur Kampftruppe gegen die IG Metall hochgepäppelt. Das viele Geld war dem langjährigen AUB-Chef Wilhelm Schelsky als Berater- und Dienstleistungshonorar zugeschoben worden. Die fragwürdigen Honorare für Schelsky waren der Rechtsabteilung des Konzerns bereits seit zweieinhalb Monaten bekannt gewesen, ehe die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Mitte Februar 2007 die Büros am Wittelsbacher Platz filzte und der nächste Siemens-Skandal fortan durch die Medien ging.

Kleinfeld wurde nach eigenen Angaben von der Razzia kalt erwischt. Er habe bis dahin nichts von den Zahlungen an AUB-Chef Schelsky gewusst, sagte der Siemens-Chef später. Auch der neue Chef der Anti-Korruptionsabteilung (Compliance), der vormalige Stuttgarter Oberstaatsanwalt Daniel Noa, hat nach Angaben aus Unternehmenskreisen bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung von diesen Vorgängen gehabt.

Die Rechtsabteilung von Siemens dagegen hatte nach Erkenntnissen der Ermittler bereits seit November 2006 die Honorarzahlungen an Schelsky unter die Lupe genommen. Demnach hatte der Chefjurist des Konzerns schon damals erfahren, dass die von AUB-Chef Schelsky vorgelegten Nachweise für seine offiziell vereinbarten Dienstleistungen nicht genügten und deshalb mit Schreiben vom 1. Dezember 2006 weitere Belege angefordert.

Nach einigem Hin und Her kündigte Siemens schließlich den Beratervertrag mit Schelsky dann am 29. Dezember 2006 fristlos.

Das alles wurde nach Angaben aus Unternehmenskreisen dem Anfang 2007 als neuen Compliance-Chef eingestellten Noa nicht mitgeteilt. Dabei wäre das eigentlich ein klassischer Fall für Noa gewesen, dessen Aufgabe es ist, solche Vorgänge aufzuhellen und abzustellen.

63 Millionen für externe Berater

Damit nicht genug. Nach weiteren Informationen aus dem Ermittlungsverfahren war man bei Siemens noch in diesem Jahr geneigt, die Zusammenarbeit mit Schelsky fortzusetzen, sobald der AUB-Chef genügend Nachweise für seine offizielle Beratertätigkeit hätte vorlegen können. Das schließen die Ermittler aus der Vernehmung des bisherigen Siemens-Vorstandes Johannes Feldmayer und eines weiteren Managers.

Inzwischen liegt auch der AUB-Fall bei den Anwälten der Kanzlei Debevoise, deren Arbeit sich Siemens viel kosten lässt. 63 Millionen Euro habe man bislang bei den Korruptionsermittlungen für externe Berater ausgegeben, teilte der Konzern am Donnerstag mit.

Man arbeite daran, die internen Kontrollen zu verbessern, außerdem habe man Trainingsprogramme gegen Korruption für die Geschäftsleitung und leitende Angestellte eingeführt. Es werden wohl noch viele Schulungen notwendig sein.

© SZ vom 27. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: