Siemens:"Indien wird den Weltmarkt verändern"

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Indiens Ingenieure werden zum wichtigen Wettbewerbsvorteil im 21. Jahrhundert: Siemens will den Umsatz in dem asiatischen Staat bis 2010 verdoppeln und stellt Tausende neue Mitarbeiter ein, sagt Landeschef Armin Bruck.

Markus Balser

Indiens neue Konzerne sind westlichen Konkurrenten auf den Fersen. Dennoch hofft Siemens in Asien auf Milliardengeschäfte: "Wir werden den Umsatz in Indien bis 2010 auf mehr als vier Milliarden Euro verdoppeln", kündigt Landeschef Armin Bruck im SZ-Interview an. Die Gewichte bei Siemens verschieben sich damit weiter ins Ausland. Denn während der Konzern in Deutschland vor einem erneuten Jobabbau steht, stellt er im Niedriglohnland Indien Tausende Mitarbeiter ein.

Die Metropole Mumbai mit 14 Millionen Einwohnern ist das Zentrum des Wirtschaftsbooms. (Foto: Foto: oH)

SZ: Herr Bruck, aufstrebende High-Tech-Konzerne aus Indien machen nicht nur Siemens das Leben schwer. Haben Europas Firmen die neue Konkurrenz unterschätzt?

Bruck: Es gab sicher in manchem Unternehmen ein trügerisches Gefühl der Überlegenheit. Wer allerdings die Dynamik des indischen Marktes tagtäglich miterlebt, kann sich darüber nur wundern. Indiens Unternehmen werden in den nächsten Jahren den internationalen Durchbruch schaffen und aus dem Schatten Chinas herauswachsen.

SZ: "Wir sind Parfum, die Eau de Cologne", wetterten die Franzosen als der indische Stahlriese Mittal den europäischen Konkurrenten Arcelor schlucken wollte. Gefährliche Arroganz?

"Arroganz wäre gefährlich"

Bruck: Arroganz wäre gefährlich. Hier entstehen Milliardenkonzerne mit zehntausenden Beschäftigten und international erfahrenem Management. Wer wie Tata ein Auto für 2000 Dollar auf den Markt bringt oder - wie das indische IT-Imperium Wipro - westlichen Softwareherstellern Aufträge wegschnappt, ist bereit für den globalen Wettbewerb. Die neue Elite Indiens kommt Europäern und Amerikanern greifbar nahe.

SZ: Wie meinen Sie das?

Bruck: Die indische Wirtschaft hat 2007 allein im ersten Halbjahr 55 Milliarden Dollar im Ausland investiert, um auf westlichen Märkten präsent zu sein - fünfmal mehr als noch ein Jahr zuvor. Übernahmen wie die der britischen Automarke Jaguar durch Tata machen klar: Indiens Konzerne greifen mit aller Macht nach den Märkten in Industrieländern. Die Technologie haben sie weitestgehend, jetzt kaufen sie sich Marken, Vermarktungs- und Vertriebskanäle.

SZ: Premier Manmohan Singh sieht die Welt vor einem indischen Jahrhundert. Dabei verlangt das Land Menschen wie Firmen viel ab - angesichts großer Armut und rückständiger Infrastruktur.

Bruck: Siemens geht trotzdem davon aus, dass Indien zu einem der weltweit wichtigsten Märkte wird. In Indien wächst eine neue Mittelschicht aus 200 bis 300 Millionen Menschen heran, ein Markt, ein Land, so groß wie die Europäische Union. Und es wächst rasant. Indiens Wirschaft weist in den nächsten fünf bis zehn Jahren Zuwachsraten zwischen sieben und neun Prozent aus. Das wird den Weltmarkt verändern.

SZ: Mit Folgen für den Konzern?

Bruck: Ganz klar: Siemens hat das Ziel, stärker in Schwellenländern wie Indien zu wachsen und vom Boom zu profitieren. Nur: Die Märkte sind hart umkämpft. Wir brauchen deshalb Produkte mit lokalem Design aus lokaler Entwicklung und Fertigung, zum einen, um auf Anforderungen lokaler Kunden optimal reagieren zu können, zum anderen, um bei den Kosten wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb gilt: In Ländern wie Indien muss Siemens einen möglichst hohen Anteil der Wertschöpfung vor Ort erbringen. Das hilft nicht nur, in Indien erfolgreich zu sein, sondern stärkt auch unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit.

SZ: Vorstandschef Peter Löscher hat Indien zur Chefsache erklärt. Welche Ziele hat der Konzern in Indien?

Will den Umsatz in Indien verdoppeln - Siemens-Landeschef Armin Bruck. (Foto: Foto: oH)

Bruck: Wir wollen das Geschäft bis 2010 auf mehr als vier Milliarden Euro verdoppeln. Der Energiebedarf wächst rasant, auch die Nachfrage nach Industrie- und Medizintechnik. Die Regierung will mit einem 500-Milliarden-Dollar-Programm die Infrastruktur wie etwa Flughäfen oder Verkehrswege ausbauen. Um den enormen Wachstumsmöglichkeiten, die uns der indische Markt bietet, gerecht zu werden, müssen wir im laufenden Jahr 4000 neue Mitarbeiter einstellen. Mit mehr als 20000 Beschäftigten ist Indien dann nach Deutschland, China und den USA eine der größten Regionalgesellschaften.

SZ: Mehr Personal in Niedriglohnländern heißt für die Belegschaft zu Hause meist nichts Gutes. Droht bei Siemens eine neue Verlagerungswelle?

Bruck: Nein. Es geht nicht darum, Fertigungs- oder Forschungskapazitäten irgendwo abzuziehen und in Indien wieder aufzubauen. Aber bedingt durch das überproportionale Wachstum der Niedriglohnländer werden sich die Umsatz-, Mitarbeiter- und Fertigungsanteile im Verhältnis zum Gesamtgeschäft dorthin verschieben. Entsprechend sind wir hier in enger Abstimmung mit den Sektoren, wie wir unsere Personal- und Fertigungskapazitäten in Indien erweitern.

SZ: Was soll sich ändern?

Bruck: Wir planen in Indien den verstärkten Ausbau von Forschung und Entwicklung. Jedes Jahr verlassen in Indien 350 000 Ingenieure Universitäten - fast zehnmal so viele wie in Deutschland. Und die Kostenunterschiede sind groß. In Deutschland kostet ein Ingenieur pro Stunde etwa 100 Euro, in Indien höchstens ein Viertel. Das Land ist dabei, der Kopf der Industriegesellschaft von morgen zu werden.

SZ: Müssen Hochqualifizierte bei Siemens Angst vor dem Outsourcing haben?

Bruck: Nein. Deutsche Ingenieure haben ihren Platz im Konzern, um beispielsweise High-Tech Innovationen voranzutreiben. Aber es ist nicht sinnvoll, im Hochlohnland Deutschland Produkte für Schwellenländer zu entwickeln. Dafür brauchen wir lokale Ingenieure. Ein Beispiel: Große Röntgengeräte aus deutscher Produktion haben ihren Hauptmarkt in Europa oder den USA, aber sie sind für viele indische Hospitäler überdimensioniert und zu teuer. Deshalb entwickeln und produzieren wir in Goa Röntgengeräte für Low-Cost-Märkte wie Indien. Das kostet keinen Job in Deutschland, schafft aber neue in Indien. Außerdem wird Indien zur Drehscheibe für Märkte in anderen Schwellenländern.

SZ: Die Zentrale in München bleibt künftig außen vor, wenn Siemens in Tigerstaaten Geschäfte macht?

Bruck: Es wird immer eine Zentrale geben, die die Richtung vorgibt und Sektoren, die die Weichen für das Weltgeschäft stellen. Aber dort müssen nicht zwangsläufig auch alle Ressourcen sitzen. Durch eine enge Verzahnung von Zentrale, Sektoren und Regionen werden wir die Potenziale einer weltweiten Organisation voll ausschöpfen, nach dem Motto: global auftreten, lokal agieren. Siemens kann so in den nächsten Jahren seine dezentralen Standorte als globale Wettbewerbsvorteile nutzen. Es gibt dafür schon gute Beispiele: Wir haben vor zwei Jahren einen Milliardenauftrag zum Aufbau eines Stromnetzes in Qatar gewonnen und ihn mehrheitlich aus Indien beliefert und abgewickelt. Aber es darf natürlich nicht so weit kommen, dass es einen internen internationalen Wettkampf um Aufträge gibt - das wäre schädlich.

SZ: Wird die Bedeutung des Auslandsgeschäfts bei Siemens weiter wachsen?

Bruck: Mit Sicherheit. Global agierende Konzerne müssen Talenten und Märkten folgen, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich bin mir sicher: Wer in der Welt Erfolg haben will, wird um eine starke Präsenz in Indien auf absehbare Zeit nicht herumkommen. Wir haben heute 18 Fabriken in Indien und es werden sicher mehr werden.

© SZ vom 24.05.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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