Siemens-Affäre:Viel zu verbergen, wenig zu verheimlichen

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Schwarze Kassen, volle Koffer - Millionen flossen zur Geschäftsanbahnung in alle Welt, unklar ist nur noch, wie hoch das Korruptiongeflecht reicht.

Klaus Ott

Eine hübsche Anekdote bekamen Münchner Staatsanwälte vor ein paar Tagen zu hören. Sollte die Erzählung wahr sein, dann war ein Polizeibeamter an der deutsch-österreichischen Grenze in den neunziger Jahren - ohne es zu ahnen - ganz nah dran an einer Finanzaffäre internationalen Ausmaßes, die heute einen Weltkonzern in Misskredit bringt.

Schmiergeld bei Siemens: Kopflos oder gut geplant? (Foto: Foto: dpa)

Ein kleiner Angestellter aus München, der bei seinem Arbeitgeber nebenbei geheime Botengänge erledigte und deshalb heute in Untersuchungshaft sitzt, will damals in eine Zollkontrolle geraten sein.

Er habe seinen Koffer öffnen müssen, sagte der Angestellte jetzt nach seiner Festnahme aus, und dicke Bündel mit vielen großen Banknoten seien zum Vorschein gekommen. Der Grenzbeamte sei aber nicht sehr neugierig gewesen, woher das kleine Vermögen stamme und wofür es gedacht sei. Er habe lediglich angemerkt, noch nie so viel Geld auf einem Haufen gesehen zu haben.

Ein Koffer mit zehn Millionen

Eine Million Mark hätten sich in dem Koffer befunden. Das Geld sei für Sonderkonten in Österreich bestimmt gewesen, über die jahrelang Sonderzahlungen abgewickelt worden seien, gab der Beschuldigte zu.

Die Anekdote führt mitten hinein in die Affäre um schwarze Kassen bei der Siemens AG, die das Unternehmen seit einer Woche überrollt, die bis in die Chefetagen reicht und das ohnehin angekratzte Image weiter beschädigt.

Staatsanwälte aus Liechtenstein, der Schweiz, aus Italien und Deutschland haben in akribischer Detektivarbeit herausgefunden, wie leitende Angestellte und womöglich sogar Vorstände der Sparte Telekommunikation (Com) in den vergangenen zehn Jahren mehr als 200 Millionen Euro vom Stammsitz in München auf versteckte Konten im Ausland geleitet haben, vor allem nach Österreich.

Bestechung in Nigeria gestanden

Von dort floß das Geld laut sichergestellten Kontounterlagen in alle Welt - bis nach Nigeria, das auf dem globalen Korruptionsindex unter den führenden Ländern steht.

Regierungen, Behörden und Geschäftspartner seien von Siemens-Leuten systematisch bestochen worden, vermuteten die Fahnder. Inzwischen liegt ein erstes Geständnis vor. Einer der Beschuldigten hat ausgesagt, in Nigeria sei Schmiergeld gezahlt worden, bis in die Regierung hinein.

Der Elektronik- und Technologie-Konzern, der mit seinen 461.000 Beschäftigten und Geschäften in mehr als 190 Ländern 90 Milliarden Euro im Jahr umsetzt, bei einem Gewinn von zuletzt 3,1 Milliarden Euro, ist gegenwärtig kein Musterexemplar der deutschen Wirtschaft.

Es sind schlechte Zeiten für Konzernchef Klaus Kleinfeld. Siemens ist ständig in Bewegung, aber anders, als der sportlich wirkende Vorstandsvorsitzende sich das vorstellt. Dynamisch soll das Unternehmen sein, neue Märkte erobern und sich von Sparten trennen, die nicht genug Rendite bringen, damit es so der Börse und den Aktionären gefällt.

"Unser Kurs heißt: Wachstum", verkündete Kleinfeld vor anderthalb Jahren in Lissabon, kurz nachdem er den Vorstandsvorsitz übernommen hatte. "Ich stehe persönlich dafür ein, dass alle Unternehmensteile innerhalb der nächsten 18 bis 24 Monate auf Linie sind", versprach er.

Eine Linie ist seit vielen Wochen nicht mehr sichtbar, der Konzern gerät ins Schlingern. Statt wohlklingender Arien, die der Konzernchef und Opernliebhaber bevorzugt, sind schrille Töne zu hören, intern und außerhalb.

Zu Beginn des Herbstes ist die erst vor knapp anderthalb Jahren an den taiwanesischen Konzern BenQ veräußert Mobilfunksparte pleite gegangen. Mehrere Tausend Beschäftigte in drei Werken in München, Bocholt und Kamp-Lintfort verloren ihren Job; sie fühlen sich verraten und verkauft.

Millionengagen für Manager

Zu dieser Zeit sickerte durch, dass die Millionengehälter von Konzernchef Klaus Kleinfeld und seiner Vorstandskollegen auf einen Schlag um 30 Prozent erhöht werden sollten. Die Vorstände gerieten in den Ruf, raffgierige Manager zu sein, die nur an ihr Wohl dächten und denen das Schicksal der Belegschaft egal sei.

Kleinfeld und Kollegen spendeten schnell einen Teil ihrer zusätzlichen Einkünfte für eine Beschäftigungsgesellschaft, bei denen die nun arbeitslosen Handy-Monteure vorübergehend aufgefangen werden sollen. Die Stimmung im Konzern blieb trotzdem trostlos.

Und nun auch noch die Finanz- und mutmaßliche Korruptionsaffäre, in der Siemens ein schlechtes Bild abgibt; nicht nur wegen der schweren Anschuldigungen. Seit einigen Jahren schon ermitteln Staatsanwälte aus Italien wegen des Einstiegs von Siemens in den dortigen Telekommunikationsmarkt.

Fahnder: Erfolg im zweiten Anlauf

2003 kam es, mit Amtshilfe deutscher Kollegen, zu einer ersten Durchsuchung in München, 2005 folgte die nächste. Die Fahnder filzten die Konzernzentrale; gelangten angeblich aber nur auf Umwegen in die Büros, die sie durchsuchen wollten.

Sie fühlten sich in die Irre geschickt, das Ergebnis war mager. Einige Monate später ging ein anonymer Hinweis bei den Münchner Strafverfolgern ein, in dem genau beschrieben wurde, wo man suchen müsse, um die schwarzen Kassen zu finden.

Auch sonst blockte Siemens offenbar ab, wo es nur ging. Das besagen ausländische Gerichtsakten, die aufschlussreiche Details enthalten. Darin wird beschrieben, wie deutsche Ermittler Ende August 2005 einen leitenden Angestellten wegen eines merkwürdigen Vertrages von Siemens mit einer Gesellschaft aus Puerto Rico vernahmen, die auf den italienischen Namen Tretre Inc. lautete.

Gegenstand des Vertrages, der aus den neunziger Jahren stammt, soll ein Telekommunikations-Projekt in Nigeria gewesen sein. Das sei alles nur ein Vorwand gewesen, um auf Umwegen fünf Millionen Euro nach Italien transferieren und dort als Schmiergeld einsetzen zu können, glaubten die Fahnder. Doch der leitende Angestellte, der den Vertrag unterschrieben hatte, ließ die Ermittler abblitzen.

Er könne sich an den Inhalt des Vertrags nicht erinnern. Und ein weiterer Siemens-Mitarbeiter, der den Kontrakt mit Tretre Inc. ebenfalls unterzeichnet hatte, war angeblich nicht mehr auffindbar.

Die fünf Millionen Euro waren von einem Konto bei der Raiffeisenlandesbank Tirol AG in Innsbruck über ein Finanzinstitut mit Zweigsitz auf einer Insel im Ärmelkanal an eine Gesellschaft namens Ramond Enterprises geflossen, hinter der bei den Ermittlungen ein gewisser Guiseppe Parella zum Vorschein kam. Das ist der frühere staatliche Generaldirektor für das Telefonwesen in Italien.

Ein so umtriebiger wie einflussreicher Manager, der in seinem Land Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre unter Korruptionsverdacht geraten war und laut Gerichtsakten später an den Staat ein kleines Vermögen herausrückte, das auf Schmiergeldzahlungen beruht habe. Darunter 231Gemälde diverser Künstler.

Dubioser Geschäftspartner

Bei Siemens scheint sich niemand daran gestört zu haben, einen Geschäftemacher mit solcher Vergangenheit zum Partner zu haben; doch die Staatsanwaltschaft in Bozen fand das eigenartig. Die dortigen Fahnder leiteten ein Ermittlungsverfahren gegen Parella wegen Bestechlichkeit und gegen einige seiner Helfer wegen Geldwäsche ein.

Die Fahnder vermuteten, Siemens habe beim erfolgreichen Einstieg in den italienischen Telekommunikationsmarkt mit unzulässigen Mitteln nachgeholfen. Inzwischen ist das nahezu Gewissheit. Ein Gericht in Bozen betrachtet das Fünf-Millionen-Honorar ausweislich eines Urteils gegen einen Helfer Parellas als Schmiergeldzahlung.

Durchgeplante Großrazzia

Es gibt viel zu verbergen, aber vieles lässt sich nicht mehr länger verheimlichen. Gewarnt durch die früheren Fehlschläge, hatte die Münchner Staatsanwaltschaft die Großrazzia, von der Siemens und die vielen Beschuldigten vergangene Woche überrascht worden waren, generalstabsmäßig vorbereitet - bis ins kleinste Detail.

Die Aktion war ein Erfolg. Auch deshalb, weil die Strafverfolger vier Verdächtige sogleich festgesetzt haben: einen Top-Manager und drei Mittelsleute, darunter der Geldbote, der nach eigenen Angaben wiederholt von Bayern nach Österreich unterwegs war.

Manchmal hatte der kleine Angestellte hohe Beträge in bar bei einer Münchner Bank eingezahlt und von dort an die Raiffeisenlandesbank in Innsbruck überweisen lassen. Zum Beispiel die fünf Millionen Euro, damals 9,7 Millionen Mark, die bei Parella landeten.

Nun sitzen schon sechs vormalige und aktive Siemens-Leute im Gefängnis, und einige, vor allem der Geldbote und die beiden anderen Mittelsmänner, die nach Erkenntnissen der Fahnder über Scheinrechnungen und Tarnfirmen hohe Beträge in die Schweiz verschoben haben, von wo aus das Geld weiter zirkulierte, in die halbe Welt, ähnlich wie bei den Konten in Österreich.

Bei früheren Schmiergeldermittlungen waren die Fahnder selten bis in die Chefetagen bei Siemens vorgedrungen. Ganz egal, ob es um Klärwerksbauten in Deutschland ging, eine Eisenbahn-Schnellstrecke in Spanien oder gar Geschäfte mit den UN.

Wenn überhaupt jemand für schuldig befunden wurde, dann leitende Angestellte, aber keine Spitzenmanager. Auffällig ist auch, wie sich Siemens bislang um die Aufklärung möglicher Koruptionsdelikte bemüht hat: nicht sehr konsequent.

Die Deutsche Bahn hat bereits Anfang des Jahrzehnts zwei Rechtsanwälte als Ombudsleute eingesetzt, an die sich Beschäftigte wie Geschäftspartner vertraulich wenden und Hinweise auf Unregelmäßigkeiten geben können. Den Vorgesetzten einzuschalten, trauen sich die wenigsten Untergebenen. Man weiß ja nie, wer alles verwickelt ist.

Ombudsleute sind kein Allheilmittel, aber ein wirksames Instrument zur Aufklärung, und sie schrecken auch ab. Doch beim Weltkonzern Siemens glaubte der Vorstand bislang, ohne diese Hilfe auskommen zu können. Erst jetzt haben Kleinfeld und Kollegen einen Anwalt engagiert - einen für fast eine halbe Million Mitarbeiter.

Späte Wortmeldung des Chefs

Und erst am Donnerstag, acht Tage nach der Großrazzia und dem Beginn der Affäre, meldete sich Kleinfeld öffentlich zu Wort und kündigte an, Siemens werde "Unregelmäßigkeiten schonungslos aufklären und ahnden". Mitarbeiter, bei denen sich der Verdacht erhärte, werde man umgehend suspendieren.

Markige Worte, aber an Taten hat es bei Siemens bisher gemangelt. Die Konzernspitze setzte bis zur jüngsten Affäre andere Schwerpunkte, unter Kleinfeld ebenso wie unter dessen Vorgänger Heinrich von Pierer.

Führungskräfte waren angehalten, strenge Richtlinien und die Gesetze zu befolgen und dies per Unterschrift zu versichern - während der Konzern intern die Parole ausgab, aggressiv um lukrative Aufträge und Märkte zu kämpfen.

Aufträge um jeden Preis?

Die Fahnder fanden schon vor Jahren ein bemerkenswertes Strategiepapier, dessen Inhalt in Gerichtsakten Eingang gefunden hat. Demnach sollte und wollte Siemens in den neunziger Jahren alles daran setzen, bei der Privatisierung des staatlichen Telefongeschäftes in Italien einen stattlichen Anteil zu erwerben.

Der Einstieg internationaler Konkurrenten, insbesondere von Alcatel aus Frankreich, müsse unbedingt verhindert werden. Sonst dominiere Alcatel den europäischen Markt, während Siemens ein Imageverlust drohe.

Für manche Fahnder las sich das wie eine Aufforderung, um jeden Preis zuzuschlagen. Auch um den Preis von Schmiergeldzahlungen? Und falls ja, sollte dann die Schmutzarbeit in den mittleren Etagen erledigt werden, damit die Manager gut schlafen konnten?

Einem der drei Mittelsleute, die jetzt im Gefängnis sitzen, muss das alles sehr zu denken gegeben haben. Der Beschäftigte, der mehrere Jahrzehnte bei Siemens verbrachte, soll sich frühzeitig Sorgen gemacht haben, ob er am Ende hängen gelassen werde, falls das System der schwarzen Kassen eines Tages auffliegt.

Und ob er dann womöglich als Schurke hingestellt werde, der sich das alles ausgedacht habe, um mit einigen Kumpanen den Konzern auszuplündern. So soll die Geschichte aber aus Sicht derer, die die Fahnder als "kleine Fische" bezeichnen, nicht enden.

Der Weltkonzern muss jetzt Angst haben vor einigen kleinen Angestellten, die vieles wissen und offenbar anfangen auszupacken. Das ist wohl die einzige Chance für die schon etwas älteren Herren, nicht einen Großteil des Lebensabends im Gefängnis zu verbringen.

Suche nach den Hintermännern

Warum sollten sie auch schweigen und womöglich den Kopf für jene hinhalten, die im Hintergrund die Fäden gezogen und die großen Geschäfte gemacht haben könnten. Zwei frühere Vorstände der Sparte Com gehören schon zu den Beschuldigten, dazu der Ex-Chef von Siemens Com in Griechenland. Sie müssen nicht die einzigen Manager bleiben, die ins Visier der Fahnder geraten.

Vielleicht hat Siemens aber Glück im Unglück. Alles, was mit den hohen Geldflüssen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre über die Konten in Österreich zusammenhängt, könnte in Deutschland verjährt sein.

Darunter fiele auch die mutmaßliche Schmiergeldzahlung an Giuseppe Parella in Italien. Übrig blieben dann nur die 35 bis 40 Millionen Euro, die später über die Schweiz verschoben wurden - und der Imageschaden. Im Nachhinein müsste sich der Konzern dann eigentlich bei dem Grenzpolizisten bedanken, der den Mann mit der Million im Koffer anstandslos abgefertigt haben soll.

© SZ vom 24.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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