Siemens-Affäre:Der überforderte Konzern

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Kleinfeld muss die Menschen mit auf seinen Weg nehmen, wenn er als Konzernchef bestehen will. Seine Flucht nach vorne könnte ihn sonst den Kopf kosten.

Caspar Busse

Was bei Siemens passiert, diesem einst so behäbigen Koloss der Deutschland-AG, verschlägt vielen den Atem. Staatsanwälte durchleuchten den Konzern, Tausende Jobs verschwinden, der Konzern stößt ab, was er nicht mehr braucht, und kauft Firmen hinzu, von denen er sich eine Zukunft verspricht. Siemens-Chef Klaus Kleinfeld baut radikal um.

Auch auf der Hauptversammlung, die für die Aktionäre eigentlich der Tag der Abrechnung sein sollte, verkündete er munter, dass Siemens erneut eines der großen Geschäftsfelder ausgliedern wird: den Autozulieferer VDO. Betroffen sind etwa 53.000 Mitarbeiter, ein Neuntel des Unternehmens. Gleichzeitig gibt Kleinfeld Milliarden aus, um in den USA eine Softwarefirma zu erwerben.

Mitten in der tiefsten Krise der Konzerngeschichte will der Vorstandschef beweisen, dass er noch handlungsfähig ist. Er kündigt an, die Schmiergeld-Affäre umfassend aufzuklären, und baut Siemens zugleich umfassend um. Niemand kann mich bremsen, lautet Kleinfelds Botschaft. Doch damit begibt er sich in Gefahr.

Flucht nach vorne

Er wird den Konzern möglicherweise überfordern. Die 475.000 Mitarbeiter von Siemens, die lange eine gemächliche Gangart gewohnt waren, sind verunsichert, und ihre Verunsicherung wird weiter steigen. Kleinfeld aber muss die Menschen mit auf seinen Weg nehmen, wenn er als Konzernchef bestehen will. Seine Flucht nach vorne könnte ihn sonst den Kopf kosten.

Schon die Schmiergeld-Affäre hat dazu geführt, dass Siemens wankt - und Kleinfeld auch. Die Staatsanwaltschaft München durchforscht den Konzern, im Wochenrhythmus gibt es neue Verdächtigungen. Auch gegen einstige Vorstände wird ermittelt. Der Konzern selbst hat Aufklärer angeheuert, die nun alles durchleuchten. Viele Manager und Mitarbeiter können sich kaum noch auf das Tagesgeschäft konzentrieren, weil sie die Vergangenheit aufbereiten müssen.

Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer, in dessen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender die Vorwürfe fallen, hat jetzt angekündigt, er werde sich aus dem Prüfungsausschuss zurückziehen, jenem Gremium bei Siemens, das die Vorfälle aufklären soll. Doch das ist nur ein halbherziger Schritt. Konsequenter wäre es, den Posten als Oberaufseher ganz zu räumen.

Die Korruption ist nicht das einzige Problem bei Siemens. Auch die Diskussion um die maßlose Erhöhung der Vorstandsgehälter zehrt massiv am Image, ebenso die skandalöse Insolvenz der ehemaligen Siemens-Handy-Sparte. Und nun hat die EU-Kommission auch noch eine Rekordbuße von mehr als 400 Millionen Euro wegen illegaler Preisabsprachen verhängt.

Auch die Sorge bei Kunden und vor allem Mitarbeitern nimmt deshalb zu: Wie geht es weiter? Was passiert mit mir? Kann ich mit Siemens überhaupt noch Geschäfte machen? Das fragen sich viele. Und nun will sich Siemens auch noch vom Autozulieferer VDO lösen. Dieser Schritt hat eine neue Qualität: Erstmals setzt Siemens nicht ein Sorgenkind vor die Tür, sondern eine gutgehende Sparte, die die Gewinnziele voll erreicht. Jetzt kann sich niemand mehr in dem Konzern in Sicherheit wiegen.

Dabei kann Kleinfeld auch Erfolge ausweisen. Die Geschäftszahlen sind passabel, sogar die Rekordstrafe der EU-Kommission können die Münchner einigermaßen wegstecken. Alle Geschäftsbereiche arbeiten mit Gewinn - das war bei Siemens in der Vergangenheit fast nie der Fall. Der Konzern profitiert von der Sanierungsarbeit und von der guten Weltkonjunktur.

Kleinfeld sind die Zahlen nicht gut genug

Das Unternehmen hat zudem neue, erfolgreiche Produkte entwickelt, etwa in der Medizintechnik. Wie nachhaltig die Gewinne sind, wird sich erst im nächsten Abschwung zeigen. Und auch die Verunsicherung bei den Kunden wird sich erst mit Verzögerung auswirken. Wer Kraftwerke, Züge oder Medizintechnikgeräte kauft, entscheidet dies meist mit einem langen Vorlauf.

Kleinfeld sind die guten Zahlen nicht gut genug. Er forciert noch den Wandel. Was er als Stärke sieht, könnte aber auch als Schwäche ausgelegt werden. Denn der Siemens-Chef orientiert sich vor allem an dem, was die Kapitalmärkte von ihm fordern. Er wirft - koste es, was es wolle - alles über Bord, was Verluste macht. Er saniert bedingungslos. Kurzfristige Erfolge zählen, die langfristige Strategie wird dem untergeordnet.

Das wird auch dadurch nicht besser, dass Kleinfeld sich in prominenter Gesellschaft befindet. Ob Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Michael Diekmann von der Allianz oder Dieter Zetzsche von Daimler-Chrysler - alle schauen zunächst einmal auf die Investoren und deren Wünsche, ähnlich wie ihre amerikanischen Kollegen richten sie daran fast alles aus. Alle eint die Angst vor den aggressiven Finanzinvestoren, die immer mehr Druck aufbauen.

Und so verkauft auch Kleinfeld lieber selbst Teile des Unternehmens, anstatt dies "Heuschrecken" zu überlassen, die sich bei Siemens einnisten könnten. Die Börsianer finden das gut, die Aktie des Traditionskonzerns aus München legte am Donnerstag um zeitweise sechs Prozent zu. Viele werden das zu Recht zynisch finden. Siemens und Kleinfeld machen sich damit zu atemlos Getriebenen der Investoren. Und die werden immer radikalere Schritte fordern.

© SZ vom 26. Januar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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