Sexuelle Belästigung:Der Kunde als Täter

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Am Arbeitsplatz werden nicht nur Kollegen oft übergriffig. Die Konsequenzen tragen meist die Opfer, die ihre Jobs verlieren- den Tätern droht meist gar nichts. Anlaufstellen fehlen vielerorts. Jetzt will die Politik eingreifen.

Von Benjamin Emonts, Berlin

Kunden belästigen eine Kellnerin mit anzüglichen Sprüchen. Als sie ihren Chef darüber informiert, fordert er sie nur auf, besonders kurze Röcke in der Arbeit zu tragen - andernfalls könne sie ihre Sachen packen. Der Meister eines Unternehmens forderte eine Angestellte per Textnachrichten zu privaten Treffen auf, umarmt sie ungefragt und streichelt ihr über die Haare. Seit sie sich an den Betriebsrat gewandt hat, wird sie in der Firma gemobbt. Sie sieht keine andere Wahl mehr, als den Arbeitsplatz zu verlassen.

Es sind erschütternde, und doch alltägliche Beispiele von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, die der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, am Freitag in Berlin aufzählte. Im Beisein von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) wurde die von der Stelle in Auftrag gegebene Studie "Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz - Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention" vorgestellt. Jede elfte der 1531 befragten erwerbstätigen Personen hat demnach in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, das entspricht neun Prozent. Frauen waren mit einem Anteil von 13 Prozent mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer (fünf Prozent). Als Täter wiederum wurden in 82 Prozent aller Fälle Männer genannt.

Die Übergriffe reichen von sexualisierten Kommentaren und Witzen über belästigende Blicke und Gesten bis hin zu unerwünschten Berührungen und Entblößen vor dem Opfer. Frauen in Führungsposition und in männertypischen und akademischen Berufen sind besonders häufig betroffen. Fast ein Drittel der Frauen berichtet zudem, dass sie gleich zwei oder drei solcher Situationen erleben mussten. In den meisten Fällen zeigt sich laut dem Antidiskriminierungsbeauftragten Franke ein klares Muster: Fast immer gehe es um die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Und in vielen Fällen endeten die Vorfälle damit, dass die Betroffenen versetzt werden oder ihren Job verlieren - und nicht die Täter.

Die Täter waren nach Angaben der Befragten in mehr als der Hälfte der Fälle Dritte, also Kunden, Patienten oder Klienten. Besonders stark betroffen sind das Gesundheits- und Sozialwesen sowie Dienstleistungsberufe. Bei 43 Prozent der angegeben Täter handelte es sich um Kolleginnen oder Kollegen. Trotz der fortschreitenden Gleichberechtigung und der "MeToo"-Debatte, die zu mehr Offenheit und Sensibilität geführt habe, mangele es in vielen Betrieben immer noch an Prävention und Beschwerdestrukturen, sagte Franke. Hinzu kommt, dass 56 Prozent der Befragten laut der Studie gar nicht wissen, dass es in ihrem Unternehmen eine gesetzlich verpflichtende Beschwerdestelle für Diskriminierung und Belästigung geben muss. Dementsprechend wenige Fälle werden denn auch gemeldet. Nur 23 Prozent der Belästigten haben sich offiziell beschwert; den Rechtsweg hat nur ein einziges Opfer beschritten. Laut Studienleiterin Monika Schröttle sind die Betroffenen entweder mangelhaft informiert oder sie fürchten eine unzureichende Anonymität oder negative Folgen für ihr Berufsleben.

Besonders schwer falle es Auszubildenden, Praktikanten und Freiberuflern, sexuelle Übergriffe zu melden - Personengruppen, die in Abhängigkeitsverhältnissen stehen und oft auch wenig Berufserfahrung haben. Unterdessen sind die psychischen Folgen sexueller Belästigung oft schwer. So sagten 48 Prozent der Frauen, sie hätten sich dadurch mittel bis sehr stark erniedrigt und abgewertet gefühlt. 30 Prozent der Frauen empfanden die Situationen als mittel bis stark bedrohlich.

Im Zentrum der Studie steht auch die Frage, wie man sich gegen die Belästigungen am Arbeitsplatz schützen und wie man sie präventiv bekämpfen kann. Eine Schlüsselrolle kommt Schröttle zufolge Menschen in Führungspositionen zu. Sie müssten Betroffene konsequent schützen und Verursacher zur Verantwortung ziehen. "Sie können durch die eigene Vorbildfunktion sexuelle Belästigung weitgehend verhindern und beenden." Unternehmen müssten mehr darauf achten, dass ihre Hilfsangebote möglichst anonym, qualifiziert und niedrigschwellig sind. "Wie jeder Beschäftigte weiß, wo der Feuerlöscher hängt, so sollte auch jeder wissen, was er im Falle einer sexuellen Belästigung tun kann", forderte Franke von der Antidiskriminierungsstelle.

Außerdem müssen laut Studienleiterin Schröttle externe Anlaufstellen flächendeckend ausreichend finanziell ausgestattet werden. Auch über branchenbezogene Punkte, an die sich Opfer wenden können, sollte nachgedacht werden. Familienministerin Giffey will die Ergebnisse aus der Studie zum Anlass zu nehmen, um weitere rechtliche Mittel gegen die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auszuloten. "Jeder Fall ist einer zu viel", sagte die Ministerin. "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz darf niemals als Kavaliersdelikt gelten."

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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