Serie: Werkstatt Demokratie:Klimaschutz ist eine Frage des Geldes

Auto fahren, fliegen, Fleisch essen - all das schadet dem Klima. Wird es teurer, trifft das aber nicht unbedingt die größten Klimasünder am härtesten. Vier Beispiele - und Lösungen.

Von Hannah Beitzer und Michael Hörz

Wer kann schon von sich behaupten, frei von Klimasünden zu sein? Die einen sind Vegetarier, mögen aber auf Flugreisen nicht verzichten. Die anderen fliegen nicht, sind aber leidenschaftliche Fleischesser. Und wieder andere kaufen alles bio-regional-saisonal, fahren aber mit dem Auto zum Supermarkt. Heizen müssen in hiesigen Breitengraden alle irgendwie, auch auf Strom will kaum einer verzichten. Dennoch belasten nicht alle Menschen das Klima gleichermaßen - und die Frage, wie ein sozial gerechter Wandel zu mehr Klimafreundlichkeit aussieht, ist gar nicht leicht zu beantworten. Dabei helfen können vier Beispiele fiktiver Personen: der Berufspendler, die Durchschnittsverdienerin auf dem Land, die klimabewusste Globetrotterin und die Rentnerin mit wenig Geld. Wie groß ist ihr CO₂-Fußabdruck und wie lässt sich der verringern?

Serie: Werkstatt Demokratie: Fahrrad oder U-Bahn statt Auto - in der Stadt wäre das mal ein guter Anfang.

Fahrrad oder U-Bahn statt Auto - in der Stadt wäre das mal ein guter Anfang.

(Foto: Victor Xok/unsplash)

Christian, 40, leitender Angestellter

Zum Beispiel Christian, verheiratet, Vater von drei Kindern. Christian ist leitender Angestellter und wohnt mit seiner Familie in einer Neubauwohnung in einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen. Vor Kurzem hat er den Job gewechselt, seitdem pendelt er jeden Tag zu seiner 50 Kilometer entfernten Arbeitsstelle. Weil es am schnellsten geht und volle Pendlerzüge und Verspätungen ihn nerven, fährt er mit seinem SUV. So kann er auf dem Weg auch schon berufliche Telefonate führen. Seine Frau Stefanie arbeitet Teilzeit als Grafikdesignerin und kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. In der Stadt, in der sie wohnen, kommen sie prima ohne zweites Auto klar, Einkäufe erledigt Stefanie mit dem Lastenrad, bei schlechtem Wetter nutzt die Familie den ÖPNV. Mit dem SUV machen sie häufig Wochenendausflüge, zu den Großeltern, die in einer anderen Stadt wohnen, zu Freunden oder einfach raus ins Grüne. Ihre Wohnung heizen sie mit einer Erdgas-Brennwertheizung. Sie beziehen Ökostrom. Der Familie geht es finanziell gut, sie hat ein Nettohaushaltseinkommen von 7000 Euro. Stefanie legt Wert auf gesunde Ernährung, Fleisch gibt es selten, dafür viel Biogemüse, am liebsten saisonal und regional, Obst darf allerdings auch einmal von weiter her kommen. Einmal im Jahr fliegen sie alle zusammen in den Urlaub, der letzte ging nach Thailand. Außerdem ist Christian im vergangenen Jahr einmal mit Freunden für ein Wochenende nach Barcelona geflogen. Die Familie lebt nicht sparsam, sie geben auch mal Geld für schöne Dinge aus, die sie nicht unbedingt brauchen. Wenig verwunderlich: Dieses Leben ist trotz Biokost und reduziertem Fleischkonsum sehr klimaschädlich.

Christian ist insofern typisch, als gilt: Je besser jemand verdient, desto klimaschädlicher ist sein Leben. Einzig im Bereich Heizung und Strom stößt er weniger CO₂ aus als der Durchschnitt. Das liegt daran, dass sein Haushalt mit fünf Personen recht groß ist und sich der Energieverbrauch so auf mehr Menschen verteilt. Generell lässt sich an ihm aber sehen: Gutverdiener konsumieren mehr, sie haben größere Autos, verreisen mehr, nutzen häufiger das Flugzeug. Da hilft dann auch das Bioessen nicht - rundet man auf eine Stelle hinter dem Komma, verschwindet der Unterschied zum deutschen Durchschnitt (1,66 zu 1,74 Tonnen CO₂ pro Jahr) sogar ganz. Wie aber sieht es in einer eher durchschnittlichen Familie aus? Das verrät unsere nächste Protagonistin.

Melanie, 33, Erzieherin

Melanie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem Dorf in Süddeutschland in einem Einfamilienhaus, das um die Jahrtausendwende gebaut wurde. Das Haus hat eine Heizöl-Zentralheizung mit zentraler Warmwasserbereitung. Melanie arbeitet als Erzieherin in der nahe gelegenen Kleinstadt und kümmert sich ansonsten um Familie und Haushalt. Da in ihrem Dorf nur der Schulbus hält, ist sie auf ihr Auto, einen Mittelklassewagen, angewiesen. Mit ihm fährt sie zur Arbeit - und häufig auch ihre Kinder zur Schule oder zu Freunden und Vereinen. Ihr Mann ist Facharbeiter, die Familie hat ein Haushaltsnettoeinkommen von 3900 Euro. Einmal im Jahr verreist die Familie, im vergangenen Jahr fand sie ein günstiges Angebot für einen Pauschalurlaub in Mallorca. Die Familie isst viel Fleisch, hin und wieder kauft Melanie für die Kinder Secondhand-Kleidung oder Gebrauchsgegenstände wie Fahrräder auf dem Flohmarkt. Ihr CO₂-Fußabdruck ist trotz des Fleischkonsums wesentlich kleiner als der von Christian.

Besonders umweltbewusst ist die Familie nicht, ihr geringerer CO₂-Ausstoß ergibt sich vor allem dadurch, dass sie mit dem Geld mehr haushalten müssen als Christians Familie. Das Haushalten spielt auch bei Laura, 23 Jahre, Studentin in einer Mittelstadt, eine große Rolle - sie versucht allerdings bewusst, ein klimafreundliches Leben zu führen.

Laura, 23, Studentin

Laura lebt in einer Vierer-WG in einem unsanierten Altbau. Die Wohnung hat eine Niedertemperatur-Etagenheizung mit Erdgas und elektrischer Warmwasserbereitung. Sie ist Vegetarierin, isst ausschließlich regionale und saisonale Bioware und hat mit Freunden eine Initiative gegründet, die Lebensmittel "rettet", die Supermärkte sonst wegwerfen. Sie kauft Secondhand-Kleidung, auch technische Geräte meistens gebraucht. Sie versucht außerdem, so wenig Besitz wie möglich anzuhäufen.

Sie hat kein Auto und nutzt in der Stadt ihr Fahrrad. Zu ihren Eltern oder Freunden fährt sie mit der Bahn, sie bucht lange im Voraus, damit sie Sparpreise nutzen kann. Sie reist gerne und arbeitet dafür in den Semesterferien in einer Fabrik. Während des Semesters verdient sie sich in einem Café etwas dazu, so beträgt ihr monatliches Nettoeinkommen insgesamt etwa 1053 Euro. In diesem Jahr ist sie schon zweimal geflogen. Eine Woche war sie auf Sprachkurs in Frankreich, da hat sie kein günstiges Bahnticket bekommen. Und sie war drei Wochen in Ruanda. Ihr Vater stammt aus Ruanda - und ihre Großeltern und die Tanten leben noch dort.

Renate, 70, Rentnerin

Ein ähnliches Einkommen, aber ein völlig anderes Leben hat Renate, 70 Jahre. Sie ist Rentnerin, lebt in einer 60-QuadratmeterWohnung, die in den 70er-Jahren gebaut wurde. Renate verreist nie und nutzt in der Stadt den ÖPNV. Ein Auto hat sie nicht. Sie isst Fleisch, ist aber ansonsten sehr sparsam - wenngleich sie keine Secondhand-Ware kauft, weil sie das unangenehm findet. Lieber achtet sie darauf, dass die wenigen Dinge, die sie kauft, lange halten. Renates CO₂-Fußabdruck ist in allen Bereichen unterdurchschnittlich - außer bei Heizung und Strom. Das liegt daran, dass sie alleine wohnt, in einem alten Haus.

Was könnten die fiktiven Beispielpersonen anders machen?

Ein Blick auf die Grafiken macht deutlich, dass fast alle Beispielpersonen CO₂ sparen könnten. Am meisten natürlich Christian. Er könnte zum Beispiel mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren statt mit dem Auto. Richtig viel bringen würde es, wenn er, statt mit seiner Familie nach Thailand zu fliegen, in Europa mit dem Auto verreisen würde. Den Trip mit seinen Kumpels könnte er nach Berlin machen - und die Bahn nehmen.

Melanie hat im Vergleich schon weniger Möglichkeiten, deutlich CO₂ einzusparen. Da es auf dem Land keinen öffentlichen Nahverkehr gibt, ist sie auf ihr Auto angewiesen. Sie könnte allerdings ebenfalls mit dem Auto in den Urlaub fahren, statt mit dem Flugzeug in den Süden zu fliegen. Dann würde sie zwar mehr fahren als vorher, doch eine Autofahrt nach Italien stößt weniger CO₂ aus als ein Flug nach Mallorca. Und natürlich könnte die Familie weniger Fleisch essen. Sie könnten außerdem eine Elektro-Wärmepumpenheizung mit Warmwasserbereitung in ihr Haus einbauen und die Heizung optimieren. Zwar würde der Stromverbrauch steigen, aber insgesamt würden sie immer noch CO₂ einsparen. Das kostet allerdings Geld - wenn eine Familie zum Beispiel noch den Kredit für das Haus abzahlt, ist das für sie schwierig.

Laura hat das größte Einsparpotenzial bei den Flügen. Darauf zu verzichten, würde jemanden wie Laura durchaus schmerzen, weil sie Familie im Ausland hat. Besonders bitter ist für sie, dass selbst ihre vegetarische Ernährung die Flüge nicht aufwiegt. Würde sie nicht fliegen, aber Fleisch essen, wäre ihr CO₂-Ausstoß geringer als momentan. Besonders wenige Möglichkeiten für eine Veränderung hat Renate. Sie könnte sich immerhin vorstellen, weniger Fleisch und Wurst zu essen. Laura und Renate haben außerdem einen recht hohen Energieverbrauch, weil sie in unsanierten Wohnungen leben. Eine andere Heizung würde helfen, doch als Mieterinnen sind sie dafür nicht zuständig. Sie haben also nur wenig Möglichkeiten, CO₂ zu sparen.

Was kann der Staat machen?

Eine Möglichkeit: Alles, was der Umwelt schadet, muss teurer werden. Im Fokus steht zurzeit vor allem ein Preis auf CO₂, sei es als Steuer oder über Emissionshandel. Das ist der Weg, den die Bundesregierung jetzt mit dem Klimapaket eingeschlagen hat. Er beginnt mit einem CO₂-Preis von zehn Euro pro Tonne, der bis 2025 auf 35 Euro erhöht werden soll, außerdem soll die Luftverkehrsteuer steigen. Viel zu wenig, lautet die Kritik - außerdem zu viele Ausnahmen, zu viele falsche Anreize.

Experten des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung empfehlen höhere Preise, nämlich 50 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2020 bis hin zu 130 Euro pro Tonne im Jahr 2030. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordert 35 Euro pro Tonne im Jahr 2020 bis 180 Euro pro Tonne im Jahr 2030.

Doch in der Debatte schwingt auch die Frage mit: Wen würde ein Preis auf CO₂ oder allgemeiner: die Verteuerung umweltschädlichen Verhaltens besonders treffen? Die Befürchtung lautet: Gerade für Menschen, die ohnehin wenig Geld haben, könnten die Kosten zu hoch sein - und das, obwohl sie meist klimafreundlicher leben als die Vielverdiener. In diesem Modell zeigt sich das an den Kosten für die Heizung. Den geringsten Anteil des Haushaltseinkommens machen sie bei Christian aus, der das höchste Einkommen hat. Den größten Anteil bei Renate, die das geringste Haushaltseinkommen hat.

Noch einmal anders gelagert ist der Fall bei einem Vergleich von Christian und Melanie. Beide haben ein Auto, doch während Christian leicht auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen könnte, wenn ihm das Autofahren zu teuer würde, hat Melanie diese Möglichkeit nicht. Ziemlich wahrscheinlich, dass sie das als große Ungerechtigkeit empfinden würde: In vielen ländlichen Gegenden wurde die Infrastruktur jahrelang zurückgebaut - und nun soll sie auch noch mehr fürs Autofahren zahlen?

Wie kann Klimaschutz sozial gerecht werden?

Was aber tun? Die oben zitierten Gutachter schlagen vor: Die Einnahmen aus einer CO₂-Steuer sollen den Menschen als Klimapauschale wieder zurückgezahlt werden, und zwar pro Person. Davon profitieren ihren Berechnungen zufolge Haushalte mit niedrigem Einkommen - weil sie im Schnitt weniger CO₂ ausstoßen. Außerdem profitieren Haushalte mit mehreren Personen, weil dort der Pro-Kopf-Ausstoß an CO₂ geringer ist als in Haushalten, in denen eine Person für sich heizt, ein Auto alleine benutzt. Ebenfalls Einigkeit besteht darin, dass das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut, Bahntickets günstiger und energetische Sanierungen steuerlich gefördert werden müssen. Wenn eine solche steuerliche Förderung besondere Anreize für Vermieter bietet, dann könnten davon auch Laura und Renate profitieren.

Der Soziologe Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hingegen findet es grundsätzlich falsch, beim Klimaschutz vor allem über den Preis zu gehen. Er beschäftigt sich mit dem Spannungsfeld aus ökologischer Transformation und sozialer Gerechtigkeit und sagt: "Mit einer CO₂-Steuer setzt man beim Konsumenten an." Dörre findet es wichtig, das Individuum von Entscheidungszwängen zu entlasten. "Wir brauchen Gesetze, die bestimmte Dinge regeln", sagt er, "sonst halten wir uns nicht daran." Ein Besserverdiener zahle im Zweifel auch mehr für den Langstreckenflug. Und bei denjenigen, die ihn sich nicht mehr leisten können, bliebe das Gefühl: Das ist ungerecht.

Besser mitreden

Bei der "Werkstatt Demokratie", einem Diskurs-Projekt der Süddeutschen Zeitung in Kooperation mit der Nemetschek Stiftung, setzen Leserinnen und Leser das Thema. Eine klare Mehrheit votierte bei der Online-Abstimmung im September für "Klimakrise - Wie retten wir die Zukunft?". Zu dieser Frage hat die Redaktion einen Themenschwerpunkt vorbereitet. Die Beiträge werden im Laufe dieser Woche in der SZ und auf SZ.de veröffentlicht. Leserinnen und Leser sind zudem eingeladen, über Wege aus der Klimakrise zu diskutieren: auf SZ.de und bei kostenlosen Workshops am 18. und 19. Oktober in München und Erfurt. Die Veranstaltung in München ist bereits ausgebucht, für Erfurt gibt es noch Plätze. Anmeldung und mehr Infos zum Projekt unter SZ.de/werkstattdemokratie.

Strikte Regeln seien daher ein besserer Weg. Zum einen, weil sie Reich und Arm gleichermaßen treffen. Und zum anderen, weil sie wirkungsvoller seien, sagt der Soziologe. Das Rauchen in öffentlichen Räumen habe schließlich auch nicht aufgehört, weil Zigaretten zu teuer waren. Sondern weil es verboten wurde. Als Beispiel in der Klimafrage nennt Dörre Kurzstreckenflüge: "Niemand braucht für eine Reise von Berlin nach München in den Flieger steigen." Anstatt also den Kurzstreckenflug ein bisschen teurer, das Zugticket ein bisschen günstiger zu machen, schlägt er vor, den Flug gleich zu verbieten.

Auch ein Kontingent an Flügen pro Person kann er sich vorstellen: "Das würde natürlich die ganze Art und Weise, wie wir arbeiten, infrage stellen", sagt er, der als Soziologe viel auf Konferenzen in der ganzen Welt unterwegs ist. Einen ähnlichen Vorschlag machte vor einem Jahr der Grünen-Politiker Dieter Janecek. Seine Parteifreunde haben den Vorstoß eilig eingefangen. Sie dürften dabei das "Veggie Day"-Desaster von 2013 im Hinterkopf gehabt haben. Den Ruf als Verbotsfetischisten versuchen die Grünen seitdem loszuwerden.

Wichtig sei außerdem, Maßnahmen besser auf bestimmte Gruppen zuzuschneiden, sagt Dörre. Auf dem Land zum Beispiel sei ein Leben ohne Auto schwer. "Dann sagen wir doch: Wenigstens die Städte müssen autofrei sein." Das erfordere zwar Planung - doch man würde sich dann auf Christian aus der Großstadt konzentrieren, statt Melanie aus Süddeutschland zu belasten.

Und nicht zuletzt stelle sich die Frage, welche Rolle die Unternehmen bei alldem spielten. "Besser als den SUV nicht zu fahren, wäre es, ihn nicht zu bauen", sagt Dörre. Der Klimaschutz müsse ins Grundgesetz, auch Unternehmen müssten der Nachhaltigkeit verpflichtet sein. Und da ist er, der linke Soziologe, auf einmal nahe beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der neulich ebenfalls gefordert hat, den Klimaschutz im Grundgesetz zu verankern. Als Aufgabe für alle, und nicht als Strafe für die, die wenig Geld haben.

Mitarbeit: Hans von der Hagen

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