Serie: Was bringt Europa:Brückenschlag

Lesezeit: 5 min

Seit 18 Jahren sind Kopenhagen und Malmö mit Bahngleisen und einer Autobahn verbunden. Die Brücke über den Öresund hat die Region zusammenwachsen lassen - trotz Landesgrenzen und mancher Probleme.

Von Gunnar Herrmann

Eine Fahrt von Malmö nach Kopenhagen gehört sicher zu den beeindruckendsten Routen, die Europa zu bieten hat. Fast acht Kilometer spannt sich die Öresundbrücke über das Meer, führt eine Autobahn und zwei Bahngleise von Schweden aus Richtung Süden. Mitten im Sund setzt sie auf einer künstlichen Insel auf, dort münden Gleise und Fahrbahn in eine vier Kilometer lange Röhre, die das letzte Stück Ostsee bis zum dänischen Festland untertunnelt. Das gewaltige Bauwerk hat zwei Staaten verbunden und eine Region über Landesgrenzen hinweg zusammenwachsen lassen. Es ist eine regionale Lebensader, aber auch eine europäische, die den Norden des Kontinents näher an den Süden rückt. Deutschen Fernsehzuschauern ist sie aus der dänisch-schwedischen Krimiserie "Die Brücke" bekannt, in der eine schwedische Kommissarin zusammen mit einem dänischen Kollegen Verbrecher jagt.

Der Ballungsraum Kopenhagen-Malmö ist einer der Orte, an denen sich die europäische Integration am deutlichsten sehen lässt. Mit all ihren Möglichkeiten - und den Problemen, denen sich die Menschen auf beiden Seiten des Öresunds täglich stellen müssen.

Schon das Jahr des Baubeginns war ein bisschen symbolisch: Am ersten Januar 1995 trat das Königreich Schweden der EU bei. Wenige Monate später begannen die ersten Arbeiten an der Brücke. Bald pflanzten schwimmende Kräne gewaltige Betonpfeiler in die Ostsee. In knapp fünf Jahren entstand die weltlängste Schrägseilbrücke. Die Baumeister schafften es, nicht nur den Zeitplan, sondern auch den Kostenrahmen in etwa einzuhalten, was ja bei Großprojekten dieser Art eher eine Ausnahme ist. Ein erster großer Erfolg - entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Zukunft. Die Menschen in der Gegend erhofften sich Wohlstand, Aufschwung, und das alles am besten sofort. Inzwischen allerdings ist Ernüchterung eingekehrt. Die dänisch-schwedische Integration am Öresund stagniert. "Die Erwartungen waren vielleicht einfach ein wenig zu hoch gegriffen" sagt Johan Wessman, Chef des unabhängigen Öresundinstitutes, das die sozioökonomischen Auswirkungen der Brücke seit Jahren erforscht, unter anderem um Politik und Wirtschaft zu beraten. "Und dann war die Enttäuschung groß, als mit der weltweiten Finanzkrise ein Rückschlag kam."

Wer die Wirtschaftsdaten ein wenig genauer ansieht, erkennt: Ein neuer Verkehrsweg kann Landesgrenzen überqueren. Aber sie wirklich zu überwinden, ist ein langer, komplizierter Prozess.

Pendlerströme als Erfolgsbeweis

Als die Brücke im Jahr 2000 eröffnet wurde, erwarteten die Betreiber einen enormen Anstieg des täglichen Grenzverkehrs. Die Pendlerströme galten von Anfang an als Indikator für das Zusammenwachsen der Region. Regelmäßig werden Statistiken darüber veröffentlicht. Der große Pendlerboom blieb zunächst allerdings aus. Es dauerte eine Zeit, bis sich die Menschen mit der neuen Verbindung angefreundet und ihre Möglichkeiten erschlossen hatten. Möglicherweise wirkte auch die recht hohe Gebühr bremsend, die beim Überfahren der Brücke fällig wird. Mit der Zeit haben sich die Pendlerströme dann aber etabliert, die meistens führen von Schweden in Richtung Kopenhagen, wo sich viele Arbeitsplätze befinden.

Vorbildlich: Die Öresundbrücke, die längste Schrägseilbrücke der Welt, wurde in nur fünf Jahren fertiggestellt. (Foto: Daniel Kreher/Mauritius Images)

Während in Kopenhagen schon lange ein Mangel an Arbeitskräften herrschte, gab es in Malmö zu Beginn des Jahrtausends hohe Arbeitslosigkeit. Die Brücke verband somit Angebot und Nachfrage. Schwedische Jugendliche arbeiten heute oft in Kopenhagener Restaurants und Cafés, und auch Fachkräfte pendeln über den Sund. In Schweden zu wohnen und in Dänemark zu arbeiten ist auch wegen der Währungsschwankungen günstig: Die dänische Krone ist fest an den Euro gekoppelt, der Kurs der schwedischen schwankt dagegen innerhalb eines Korridors. In den vergangenen Jahren hat sie gegenüber dem Euro an Wert eingebüßt. Wer sein Gehalt in dänischer Währung erhält, profitiert also.

Einen Knick bekam die Pendlerkurve im Jahr 2016, als wegen der Flüchtlingskrise Grenzkontrollen auch an den Öresundzügen eingeführt wurden. Die Reisezeit von Malmö nach Kopenhagen erhöhte sich von 35 auf zeitweise bis zu 75 Minuten. Der Verkauf der Monatstickets ging deutlich zurück. "Die Grenzkontrollen haben die Integration sehr negativ beeinflusst", sagt Wessman. "Das Pendeln ist schwieriger geworden. Und das hat viele Leute abgeschreckt." Für Wessman belegt das vor allem eines: "Der reibungslose Verlauf des Alltags, das ist die wichtige Voraussetzung für grenzüberschreitende Integration."

Die Brücke über den Öresund verband nicht nur Menschen und Länder miteinander, sondern auch zwei Immobilienmärkte. Auf der einen Seite das schicke, dicht besiedelte Kopenhagen. Auf der anderen Seite das vom Strukturwandel der Schwerindustrie gebeutelte Malmö, in dem es zum Teil in der Innenstadt große Industriebrachen und vergleichsweise günstigen Wohnraum gab. Seit die Städte mit Zug und Autobahn verbunden sind, ist es für viele Dänen eine Option geworden, sich bei der Wohnungssuche auch jenseits der Ostsee umzusehen. Zu Beginn des Jahrtausends setzten die Immobilienpreise in Kopenhagen zu einem Höhenflug an. Der Preis für ein Einfamilienhaus in der dänischen Hauptstadt verdoppelte sich in nur fünf Jahren. In Malmö stiegen die Preise eher moderat. Das Öresundinstitut hat 2014 einmal ausgerechnet, dass eine vierköpfige Familie durch einen Umzug von Kopenhagen nach Malmö bis zu 1000 Euro sparen kann - jeden Monat. Eingerechnet ist, dass die Erwachsenen ihren Job in Kopenhagen behalten.

Die Folge des Preisgefälles war eine regelrechte Wanderungsbewegung. In den Jahren 2006 und 2007 zogen jeweils mehr als 4000 Menschen von Sjælland nach Schonen. Dann flachte das Preisgefälle ab. In Kopenhagen hatte sich eine Immobilienblase gebildet, die im Zuge der Finanzkrise platzte. Der Trend kehrte sich um. Seit 2010 ziehen wieder mehr Menschen von Schweden nach Dänemark als umgekehrt - vermutlich sind einige dänische Rückkehrer dabei, die das Pendeln satthaben. In Malmö hat die Entwicklung einen Bauboom ausgelöst. Alte Werften nahe dem Hauptbahnhof sind Bürovierteln gewichen. Wegen der vielen Baustellen in der Innenstadt nennen die Malmöer ihre Heimatstadt manchmal scherzhaft "Berlin des Nordens".

Mehr Einwohner und Zuwanderer

Wie viel Geld dank der Brücke erwirtschaftet werden konnte, lässt sich nicht genau messen, sagt Wessman. Aber es gebe ein paar Zahlen, die zeigen, wie insbesondere der schwedische Teil profitiert: 60 Unternehmen verlegten seit Eröffnung der Brücke Firmenzentralen oder Außenstellen nach Malmö. Die Arbeitslosenquote ist gesunken, auch wenn sie im landesweiten Vergleich noch überdurchschnittlich ist. "In den Neunzigerjahren war Malmö eine Stadt mit stagnierender Bevölkerung und einem stagnierenden Arbeitsmarkt", sagt Wessmann. Heute steige die Zahl der Beschäftigen ebenso wie die Einwohnerzahl - auch durch viele Zuwanderer. Malmö ist die schwedische Stadt, die wohl am meisten mit problematischen Einwanderervierteln, Parallelgesellschaften und Integration von Flüchtlingen zu kämpfen hat. Wessman sagt: "Der große Unterschied zu früher ist: Damals war man arbeitslos in einer armen Stadt. Heute ist man es in einer vergleichsweise reichen Stadt. Das merkt man deutlich an den wohlfahrtsstaatlichen Angeboten."

Ein neuer Tunnel

Daran, so Wessman, zeige sich, dass der Trend letztlich in die richtige Richtung zeige. Es zeigt aber auch, dass europäische Integration nicht einfach von selbst passiert. Man muss ständig daran arbeiten. Am Öresund werden die nächsten Schritte für die Entwicklung der Region schon geplant: Der Kopenhagener Flughafen, der inzwischen auch der internationale Flughafen für ganz Südschweden ist, soll ausgebaut werden. Und die Menschen in Kopenhagen und Malmö blicken gespannt nach Deutschland: Die Fehmarnquerung, ein Tunnel von Schleswig-Holstein nach Dänemark, würde Nordeuropa noch näher an den Süden rücken.

Im Juni veranstaltete man darum in Malmö die "Fehmarnbelt Tage", um für das neue Projekt zu werben. Mit dabei war auch Sofia Hélin, die in der Serie "Die Brücke" die schwedische Kommissarin Saga Norén spielt. "Wegen der Öresundbrücke fühlen sich die Menschen aus Südschweden mehr als ein Teil Europas", sagte sie. Eine weitere Verbindung könnte die Beziehung noch verbessern.

© SZ vom 05.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: