Serie Nordrhein-Westfalen:Ach, Schimanski

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Von wegen "Tatort"-Romantik: Duisburg setzt nach der Abkehr von Kohle und Stahl auf Logistik. Der Hafen sichert Tausende Jobs - und doch liegt die Arbeitslosenquote in der Stadt noch bei 13 Prozent.

Von Thomas Fromm, Duisburg

Man kann die Geschichte dieses Hafens mit einer beigen Jacke beginnen. Es ist eine blutbefleckte M-65-Feldjacke mit einem Einschussloch am linken Ärmel, und sie gehörte mal einem Fernsehkommissar, der zum Frühstück rohes Eigelb schlürfte und oft "Scheiße" schrie.

Der Tag, an dem diese Jacke zurück in ihre Kneipe kommt, ist ein sonniger April-Tag. Draußen vor der Gaststätte "Zum Anker" sitzen schon die Ersten und essen Waffeln mit Erdbeeren und Eis, als die Jacke des Horst Schimanski feierlich in die Kneipe getragen wird.

Jetzt ist sie also da, und nun? "Schimanski hätte die nie auf einen Bügel gehängt", sagt der Wirt. Der "Tatort"-Kommissar Schimanski hätte sie aber auch nicht in einer Glasvitrine ausgestellt. Aber weil der selige Götz George diese Jacke bei seinem letzten Schimanski-Film trug, so wie er ja immer eine dieser beigen Jacken getragen hatte, jahrzehntelang, soll dieses Exemplar hier inzwischen ein paar Tausend Euro wert sein. Das kann man natürlich nicht einfach neben den Tresen hängen.

Neben den Logport-Hallen beginnt und endet eine Zugstrecke nach China

Die Geschichte dieser Jacke, die zuletzt im Eingangsbereich einer Duisburger Klinik ausgestellt wurde, ist eine Art Coming home-Geschichte: Der erste Schimanski-"Tatort" hieß "Duisburg-Ruhrort", so wie dieser alte Stadtteil direkt am Hafen. Eine Gegend, in der Typen, die "Zottel" heißen, ausrasten und ihre Fernseher aus dem Fenster werfen, andere mit Messern um sich hauen. In dieser Welt der Binnenschiffer, Frauenverführer und Waffenverschieber also musste Schimanski, der ja selbst ganz gut zulangen konnte, für Ordnung sorgen. Im "Anker" prügelte sich Schimanski vor 36 Jahren durch seinen ersten "Tatort", schlürfte mit dem stets pflichtbewussten Kollegen Christian Thanner tellerweise Muscheln weg, suchte nach dem Mörder des Binnenschiffers Heinz Petschek und schleppte die Wirtin ab. Wo also bitte sollte so eine Jacke denn heute hängen, wenn nicht hier?

"Für den Schimanski-Kult war der Hafen eigentlich die ideale Location", sagt Dagmar Dahmen, "ein guter Ort, um Leichen zu versenken und nach Mördern zu suchen." Dahmen ist, wenn man so will, Schimanski-Expertin, Tatortologin und Erzählerin, eine Reiseführerin, die nicht für Burgen und Schlösser zuständig ist, sondern: für Ruhrort. Ihre kleine Firma heißt "DU Tours", und man kann sich von ihr Schimanskis Ruhrort zeigen lassen. Mit Currywurst, Pommes und Mayo.

Man kann sich diesen Hafen aber auch von Erich Staake zeigen lassen. Staake hat früher mal für Konzerne wie Bertelsmann gearbeitet, betätigt sich nebenbei als belgischer Honorarkonsul und sitzt in diversen Ausschüssen und Beiräten, vor allem aber ist er seit 18 Jahren Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG. Er selbst nennt sich gerne altmodisch "Hafenmeister", was man durchaus kokett finden kann, weil Staake nicht nur mit Menschen wie dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder gut kann, sondern auch schon mal den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in seinen Hafen einlädt.

Duisburg ist ein bisschen anders als andere Städte. Der Eisbecher in der Kneipe "Zum Anker" heißt zum Beispiel "Kohlenpott bei Tag und Nacht". (Foto: imago)

Der Hafenmeister empfängt gerne auf seinem Boot im Hafenbecken, raucht dabei eine große Zigarre und sagt Sätze wie: "Das gesamte Unternehmen ist eigentlich nur auf die Zukunft ausgerichtet." Oder: "Ich bin Unternehmer, kein Sozialromantiker." Womit er sich gleich schon mal, wahrscheinlich ohne es zu wissen, von Schimanski, dem anderen bekannten Mann aus Ruhrort, abgesetzt hat.

Staakes Ruhrort ist ja auch eine ziemlich andere Welt als die des Horst Schimanski. Staake ist ein Manager, und deshalb geht es ihm vor allem darum, dass seine Firma Geschäft und Gewinne macht und dabei wächst. Dass ausgerechnet diese Stadt hier neue Jobs ganz gut gebrauchen kann, kommt noch dazu.

Früher lebte man in dieser Gegend von Kohle und Stahl, und das sogar sehr gut. Duisburg gehörte in den Boomjahren der Republik zu den reichen Städten der Republik. Dann ging es schwer bergab, und heute zeigt man im Hafen, dass man auch vom Transportieren, Verpacken, Umladen und vom Aufbewahren leben kann. Rund 45 000 Jobs sichert der Hafen heute, 300 Transport- und Logistikunternehmen gibt es hier. Das ist nicht unwichtig, denn die Arbeitslosenquote in Duisburg liegt auch so schon bei 13 Prozent. Ohne den Hafen wäre sie um einiges höher.

"Früher", sagt die Ruhrort-Fremdenführerin Dagmar Dahmen, "waren die Menschen hier sogar ziemlich reich." Damals, als die Schiffe von überall herkamen, Kapitäne und Matrosen sowie auch ihre Frauen hier eingekauft haben und die Männer nach Kneipen und Abenteuern im Rotlichtbezirk suchten. "Das war wirklich mal das St. Pauli des Ruhrpotts", sagt sie.

Seit mehr als 300 Jahren gibt es diesen Hafen schon, der vom nächsten Meer weit weg ist und der laut Hafengesellschaft heute der größte Containerbinnenhafen der Welt ist.

Nach St. Pauli sieht es hier nicht mehr aus, heute spricht das Hafenmanagement dafür von der "trimodalen Drehscheibe" - und meint damit eigentlich nur: Transport über Wasser, Schiene oder auf der Straße. Kein Rotlicht-Abenteuer, aber ein Geschäft, das boomt. Umsatz und Gewinne steigen seit Jahren immer weiter, 2016 machte Staake 230 Millionen Euro Umsatz und 19 Millionen Euro Gewinn; 133 Millionen Tonnen an Gütern wurden hier umgeschlagen.

Duisburg ist nicht Stuttgart und Ruhrort ist nicht Sindelfingen, es ist aber eben alles eine Frage der Möglichkeiten. Und wenn man hier schon keine Luxusautos baut, dann will man eben Teil der großen Daimler-Kette sein und siedelt für den Hersteller und seine Autoteile ein Logistikzentrum an. Man muss halt nur wissen, an welcher Stelle man mit den Firmen ins Geschäft kommt. Oder, wie es Staake sagt: Es geht um Logistik, um die "Neuvermessung der Welt".

Wenn der Hafenmeister durch sein Reich schippert, dann gerne zu seinem Vorzeigeobjekt Logport I, das auf den Ruinen des früheren Krupp-Stahlwerks im benachbarten Duisburger Stadtteil Rheinhausen gebaut wurde: ein globales Verteil- und Verpackungszentrum auf einer Fläche von Hunderten Fußballfeldern, ein Umschlagplatz für Maschinen, Lebensmittel, Kleidung. Die Kunden heißen Kühne + Nagel, Danone und Audi. Staake sagt zu seinen ersten Jahren im Hafen: "Ich glaube, ich habe damals jede Kneipe in Rheinhausen kennengelernt." Und: "Wir haben fast 100 Unternehmen für den Hafen gewinnen können, und ich habe bei fast der Hälfte von ihnen Handschlagdeals gemacht."

Kneipen, Handschlag - das klingt dann doch so, als gäbe es noch ein bisschen von dieser alten Schimmi-Kultur in Ruhrort.

Neben den Logport-Hallen beginnt und endet eine mehr als 10 000 Kilometer lange Zugstrecke, die bis ins chinesische Chongqing reicht. 24 Züge verkehren wöchentlich zwischen dem Duisburger Hafen und China - man nennt sie hier die "eiserne Seidenstraße". Auf Staakes Power-Point-Präsentation sieht die so aus: Links liegt Duisburg, von da aus geht eine Linie über Minsk, Moskau und die Uigurenstadt Urumqi bis nach Chongqing am Jangtse-Fluss. Duisburg versorgt die Welt, die Welt versorgt Duisburg, und ausgerechnet der Duisburger Hafen, der zu zwei Dritteln dem Land Nordrhein-Westfalen und zu einem Drittel der Stadt gehört, macht auf Speerspitze der Globalisierung. Das ist zumindest ungewöhnlich in einer Region, die sich einst als Opfer der Globalisierung sah.

Hier, wo die Ruhr in den Rhein fließt, hat man also schon vor langem einen Weg gefunden, mitzumischen im Spiel der globalen Wirtschaft. Dagmar Dahmen meint, dass man mehr machen könnte. "Viele alte Häuser in Ruhrort stehen unter Denkmalschutz, verbreiten immer noch diese besondere Hafenatmosphäre", sagt sie. Aber die Unterstützung der Stadt fehle. "Stattdessen wächst die Zahl der Container, und so manches Fleckchen Erde, das touristisch genutzt werden könnte, fällt dem zum Opfer. Horst Schimanski würde dazu wohl nur sagen: 'Scheiße'."

Noch aber stehen altes Hafenviertel und trimodale Drehscheibe nebeneinander. In der Schankwirtschaft "Alt-Ruhrort", genannt "Zum Itze", gibt es Pils und Doppelkorn für 1,40 Euro. Und vor der "Gaststätte Endstation" hinterm Friedrichplatz in Ruhrort stehen zwei Männer, reden und rauchen. Und schauen. Und rauchen. Und reden.

Und Schimmis Jacke ist auch wieder zu Hause. Im "Anker".

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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