Serie:Es ist die perfekte Welle

Lesezeit: 2 min

SZ-Illustration (Foto: sz-grafik)

Was steckt dahinter, wenn die Aktienkurse in kurzer Zeit schnell steigen?

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Professionelle Aktienanleger muss man sich zuweilen wie Surfer vorstellen: Nicht immer analysieren sie ausschließlich die langfristigen Chancen an den Finanzmärkten, zuweilen geht es einfach nur darum, die perfekte Welle zu erwischen - man will dabei sein, wenn die Aktienkurse steigen, selbst wenn man zweifelt, dass die Wirtschaft dauerhaft floriert und die Kurse immer weiter klettern. Solange man rechtzeitig verkauft, ist ja auch alles gut. Folgen nun gleichzeitig viele Anleger diesem Drang, dann steigen die Aktienkurse in kurzer Zeit besonders stark. Es kommt zu einer Art Wettrennen an den Aktienmärkten, einer Börsenrally.

Börsianer wären nicht Börsianer, hätten sie in puncto "Rally" nicht interessante Muster ausgemacht. Schließlich analysieren sie nichts so gerne wie historische Kursverläufe, um daraus zukünftige Gewinnchancen abzuleiten - so wie einst Sterndeuter den Himmel absuchten, um mehr über ihr Schicksal zu erfahren. Zahlreiche Studien belegen angeblich, dass die Monate November und Dezember global die besten Börsenerträge bringen. Man spricht von einer Jahresendrally, oder liebevoll Weihnachts-Rally, wenn die Aktienkurse zum Jahresende noch einmal richtig Schwung bekommen. Tatsächlich mischen viele Fondsmanager zum Jahresende ihr Aktienportfolio neu, damit es zum Stichtag am Jahresende gut aussieht. Ähnlich wie Behörden im Dezember gern noch den Rest ihres Budgets ausgeben, damit es im nächsten Jahr nicht gekürzt wird, gibt es auch bei Geldanlegern offenbar saisonale Investitionsphasen. Das Phänomen der Jahresendrally wird aber auch dadurch befeuert, dass sich Banken immer wieder neue Geschichten ausdenken müssen, um Anleger zu Aktiengeschäften anzuregen. Zum Standardrepertoire gehört es dabei, im Sommer und Herbst häufig von der bevorstehenden Jahresendrally zu raunen, die es nicht zu verpassen gilt. Folgen viele Anleger diesem Rat, dann nährt sich diese Rally sogar ganz von selbst.

2019 ging das Spiel nur teilweise auf. Der deutsche Leitindex Dax tastete sich bis Mitte Dezember bis auf etwa 150 Punkte an sein Rekordhoch von Januar 2018 heran, fiel dann aber wieder zurück. Der EuroStoxx50 notierte am Freitag auf dem höchsten Stand seit fast fünf Jahren. "Wohl kaum ein Anleger will sich vorwerfen lassen, die komplette Jahresendrally verpasst zu haben", sagte ein Aktienhändler der Nachrichtenagentur Reuters. "Auch wenn diese bereits für beendet erklärt worden ist, bleibt die Hoffnung, dass diese erneut auflebt und bis in das neue Jahr anhält". Die perfekte Welle - keiner will sie verpassen.

Am Freitag, 3. Januar, erscheint der nächste Teil, Thema: Hexensabbat.

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: