Serie: Die stillen Stars der Börse:Sei schlau, geh zum Bau

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Nemetschek ist mit Software rund um das Planen, Bauen und Verwalten von Immobilien zu einem Weltunternehmen aufgestiegen. Dabei geriet die Münchner Firma einst in den Strudel des Neuen Markts.

Von Harald Freiberger, München

Das Jahr 1955 an der Technischen Universität in München: Ein 21-jähriger Bauingenieur-Student schaut immer wieder fasziniert in einem Nebenraum seines Hörsaals vorbei. Dort basteln der Mathematikprofessor Robert Sauer und der Elektrotechnikprofessor Robert Piloty an einem neuartigen, sehr klobigen Gerät. Es basiert auf Röhren und heißt PERM, was für Programmgesteuerte Elektronische Rechenanlage München steht. Es ist einer der ersten Computer der Welt.

Der junge Student heißt Georg Nemetschek, er wurde 1934 in Mähren im heutigen Tschechien geboren. Seine Mutter war während des Krieges mit drei Kindern in den Westen geflüchtet, der Vater kam 1948 aus der Kriegsgefangenschaft.

Georg Nemetschek erkannte schon als Student, welche Möglichkeiten das elektronische Rechnen für sein Fach bietet. Es ist die Geschichte einer frühen Digitalisierung. Ein Wort, das heute jeder im Munde führt und das jede Branche umwälzt. Nemetschek hatte schon 1963 die Idee, seine Branche zu digitalisieren. Da gründete er sein Unternehmen Nemetschek-Allplan. Die Geschäftsidee war die Verbindung von moderner Technik, dem Computer, mit einer alten Branche, dem Bauwesen.

Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die seit 50 Jahren andauert und seit 2014 noch einmal extrem an Fahrt aufgenommen hat. Abzulesen ist das am Aktienkurs, der im Jahr 2002, auf dem Tiefpunkt der geplatzten Internet-Blase, einmal bei neun Cent lag. Heute steht der Kurs bei 46 Euro, 500-mal so hoch.

München-Riem im Sommer 2019: Patrik Heider, 46, der Vorstandssprecher von Nemetschek, sitzt in seinem modern eingerichteten Büroraum. Der Blick aus dem Fenster geht direkt auf das alte Flughafenterminal. Hier hat Nemetschek seinen Sitz. Der Firmengründer ist inzwischen 85 Jahre alt, sehr fit, er führt den Aufsichtsrat, alle paar Wochen bekommt Heider ihn zu Gesicht. "Man spürt es, wenn er den Raum betritt", sagt er über den Gründer.

Mit Software der Nemetschek-Tochter Vectorworks geplant: das spektakuläre "Villanova Icône" in Paris. (Foto: oh)

Heider kam 2014 zu dem Unternehmen. Gemeinsam mit dem Gründer arbeitete er eine Wachstumsstrategie aus. Zum einen sollte das eigene Geschäft jedes Jahr um rund ein Fünftel zulegen, zum anderen wollte man andere Firmen übernehmen. Der Plan ist aufgegangen: Heute ist Nemetschek hinter SAP mit einem erwarteten Umsatz von rund 550 Millionen Euro das zweitgrößte deutsche Software-Unternehmen.

Begonnen hatte Nemetschek mit Software für Bauingenieure. Inzwischen bietet es Lösungen für alle Berufsgruppen, die an einem Gebäude beteiligt sind: Architekten, Statiker, Bauunternehmen, Installateure, Gebäudemanager. Es ist der einzige Software-Anbieter entlang der gesamten Wertschöpfungskette: dem Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien. Vor allem wollte man auch außerhalb Europas wachsen: Ein Drittel des Umsatzes macht Nemetschek bereits in den USA, ein Zehntel in Asien.

Die Branche hat Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Das zeigen gerade Großprojekte in Deutschland. "Wir kommen außerhalb der Vorgaben für Qualität, Zeit und Kosten heraus", sagt Heider. "Das zentrale Problem ist, dass die einzelnen Berufsgruppen gar nicht oder nicht optimal zusammenarbeiten, es gibt viele Medienbrüche und Informationsverluste." Wenn, wie beim Berliner Flughafen, kurz vor der Einweihung eine Vielzahl von Baumängeln festgestellt werden, sei das eine Katastrophe - aber auch nicht ganz überraschend.

Das Problem ist oft, dass jeder Beteiligte am Bau seine eigene Software verwendet, die mit anderen Programmen nicht zusammenpasst. "Es braucht eine offene Struktur, bei der alle Berufsgruppen andocken können", sagt Heider. So wie Nemetschek sie anbiete. Das sei die Chance, weiter zu wachsen.

Heider nennt ein Beispiel dafür, welche Vorteile Software bietet: Wenn ein Gebäude renoviert wird, müssen oft neue Pläne angefertigt werden. Früher dauerte es Stunden, einen Raum neu zu zeichnen. "Heute können Architekten bei der Vermessung von Innenräumen mit Geräten arbeiten, die Millionen von Laserpunkten aussenden, aus dieser ,Punktewolke' kann der Computer binnen kurzer Zeit den Raum in 3D zeichnen", sagt der Nemetschek-Chef.

(Foto: N/A)

Gerade 3D ist eine wichtige Technik in der Branche. Wer ein Haus baute, hatte früher nur einen Plan aus Papier, um sich vorzustellen, wie es einmal ausschauen wird. Heute bekommt er mit einer 3D-Brille ein genaues Bild davon, wie jedes Zimmer aussieht - und wie es sich anfühlt, wenn über den Garten ein Gewitter zieht.

Die Holding von Nemetschek besteht nur aus 50 Mitarbeitern, insgesamt aber arbeiten 2600 Beschäftigte an 82 Standorten auf der ganzen Welt für das Unternehmen. 16 Marken gehören zu dem Imperium, sie heißen Allplan, Bluebeam, Graphisoft oder Vectorworks. Weitere sollen dazukommen. "Wir wollen dynamische, innovative Firmen, die in ihrem Bereich Marktführer sind", sagt Heider. Wenn man eine Firma übernehme, lasse man ihr die unternehmerische Verantwortung, "wir stülpen nicht unsere Kultur über sie, auch die Marke bleibt". Zusammengeführt würden nur Funktionen wie Gehaltsabrechnung, Personalwesen oder Finanzabschlüsse. Alles, was Produkte und Kunden betrifft, bleibe in der Kompetenz der Marke.

Der Umsatz von Nemetschek hat sich durch die Wachstumsstrategie in den vergangenen fünf Jahren fast verdreifacht. Das schlug sich auch im Aktienkurs nieder. Er ist heute zehnmal so hoch wie 2014. "Wir gelten bei Investoren als sehr verlässlich, weil wir unsere Versprechen einhalten", sagt Heider. Man sei nicht marktschreierisch unterwegs. Wenn man ein Ziel ausgebe, wüssten die Investoren, dass man sich sehr sicher sei, es auch zu erfüllen. Wenn man überrasche, dann positiv. "So haben wir in den vergangenen Jahren am Kapitalmarkt großes Vertrauen aufgebaut", sagt der Chef.

Das war nicht immer so. Nemetschek ging 1999 an die Börse, kurz darauf platzte die Internet-Blase und riss viele Unternehmen des Börsensegments Neuer Markt mit sich. Auch die Nemetschek-Aktie geriet in den Strudel, obwohl das Unternehmen, anders als viele Schaumschläger zu dieser Zeit, ein solides Geschäftsmodell hatte und immer profitabel war. Auf der Hauptversammlung gingen die Aktionäre mit Gründer Georg Nemetschek damals hart ins Gericht. "Es war eine herausfordernde Zeit für ihn, er wurde sozusagen in den Sog des Neuen Marktes gezogen", sagt Heider. Heute ist Nemetschek eines der wenigen Unternehmen, das aus diesem Marktsegment noch existiert. Es trat danach erst seinen Siegeszug an.

Kleinere Unternehmen werden am Aktienmarkt oft weniger beachtet. Die SZ stellt die stillen Stars der Börse in einer Serie vor.

© SZ vom 16.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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