Selbständigkeit:Die Finanzierung ist oft der Knackpunkt

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Ein Flüchtling schraubt an einem Wasserrohr. Im Dezember waren mehr als 11 300 Menschen aus den acht Asylländern als Leiharbeiter beschäftigt. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Spezielle Beratungsstellen helfen Migranten, ihre Ideen umzusetzen und ein Unternehmen zu gründen.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Die Selbständigkeit bietet Zuwanderern eine gute Chance, am deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Eine Firmengründung ist sowohl für hoch Qualifizierte als auch für Personen ohne formelle Bildungsabschlüsse attraktiv. Die Zahl der Unternehmen mit Migrationshintergrund nimmt laut Studie der Bertelsmann Stiftung stark zu: Mit 709 000 Selbständigen waren 2014 rund ein Viertel mehr Betriebe am Markt als 2005. Dabei übernehmen Migranten häufiger als einheimische Existenzgründer bestehende Betriebe mit Belegschaft.

Für Personen, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind, ist professionelle Beratung und Förderung durch Experten besonders wichtig. Denn die Abbruchquote liegt bei Zuwanderern aufgrund von Risikofaktoren wie Sprache, Finanzierung und Marktunkenntnis höher als bei deutschen Unternehmern. Häufig wird damit schon zu Beginn die Chance auf nachhaltiges Wachstum hin zu einem kleinen Mittelstandsbetrieb vertan. Zahlreiche Beratungsstellen, die in den vergangenen Jahrzehnten auch unter Mithilfe von privaten Stiftungen und Migrantenverbänden gegründet wurden, kennen die besonderen Bedürfnisse der Neuankömmlinge und leisten Aufklärungsarbeit zu staatlichen Fördermöglichkeiten. "Nach unserer Erfahrung haben Menschen mit Migrationshintergrund Barrieren, öffentliche Beratungsangebote zu nutzen. Sie misstrauen staatlichen Stellen und suchen eher Unterstützung in ihren Communitys und bei privaten Initiativen", sagt Norbert Kunz, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Social Impact.

Angesichts der großen Zahl von Gründungswilligen mit ausländischen Wurzeln sehen Experten dringenden Bedarf, die Beratungsinfrastruktur bundesweit auszubauen. "Ich bin viel unterwegs, aber bei Standortfragen fern ab von Bayern, beispielsweise in Aachen, bin ich kein Experte. Ein paar Kollegen mehr würden in der bundesweiten Gründungsberatung gut tun", sagt Rainer Aliochin, Geschäftsführer des Ausbildungsrings Ausländischer Unternehmer (AAU). Größten Nachholbedarf gebe es bei geförderten Leistungen in der Nachgründungsphase. Diese ist für eine nachhaltige Festigung der Marktstellung eines Betriebes entscheidend.

Doch es gibt bereits Organisationen, die gezielt Menschen mit Migrationshintergrund Beratung bieten. Der Hessische Verein "Jumpp, Ihr Sprungbrett in die Selbständigkeit, Frauenbetriebe e. V." führt das bundesweite Pilotprojekt "Migrantinnen gründen" des Bundesministeriums für Familie durch. Das Projekt stellt Gründerinnen mit Migrationshintergrund ehrenamtliche Mentoren zur Seite, die selbst den Weg in die Selbständigkeit gegangen sind. Im Fokus des Coachings steht nicht der reine betriebswirtschaftliche Blick. "Zur Gründung eines eigenen Unternehmens gehören für uns weit mehr Faktoren, die zum Gelingen beitragen können. Häufig spielen kulturelle Prägungen eine wichtige Rolle, und da braucht es Sensibilität, um gemeinsam mit den Frauen ihre Gründungsidee zu entwickeln", sagt Ramona Lange, Projektleiterin bei Jumpp. In der laufenden Staffel werden 14 Frauen aus 13 verschiedenen Ländern betreut, die sich um die Teilnahme bewerben mussten. Ihre Geschäftsideen sind vor allem im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Mit dabei sind ein orientalisches Restaurant, eine digitale Werbeagentur sowie ein Übersetzungsbüro. Trotz professioneller Begleitung ist die Finanzierung der Vorhaben der Knackpunkt. "Die finanziellen Ressourcen sind für die Gründerinnen häufig die größte Herausforderung. Mittlerweile verstehen die Frauen, dass ein guter und schneller Markteintritt auch entsprechende Investitionen verlangt", sagt Lange. Verlässliche Partner für die Kapitalausstattung sind Förder- und Bürgschaftsbanken sowie Mikrofinanzierer.

Die Beratungsstelle Ausbildungsring Ausländischer Unternehmer in Nürnberg ist die einzige Bayerische Existenzgründungsstelle des bundesweiten IQ-Netzwerkes. Das Förderprogramm Integration durch Qualifizierung (IQ) hat die Zielsetzung, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Hier gibt es kostenfreie persönliche Beratung für Gründungswillige in 20 Sprachen, darunter Arabisch, Dari, Pashtu und Urdu. "Wir betreuen im Moment 20 Existenzgründer mit Fluchtgeschichte. Die Vorhaben reichen von Geschäftseröffnungen im Gastro- und Lebensmittelbereich über einfache Dienstleistungen bis zum Produktionsbetrieb mit Patentanmeldung in Deutschland", sagt AAU-Geschäftsführer Rainer Aliochin.

Ein Schwerpunkt der Beratungsstelle liegt bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Kontaktanfragen zum beruflichen Neustart kommen häufig schon per Mail aus dem Ausland. "Viele Flüchtlinge kommen deutlich zu früh und sind nur schwer zu bremsen. Großteils fehlt ihnen noch das Wissen, wie Geschäftsleben in Deutschland funktioniert", sagt Aliochin. Er und sein Team passen die Angebote laufend an die Bedürfnisse der Kunden an. Derzeit wird ein neues Unterrichtsprogramm erarbeitet, das Systemwissen zum Gründungsprozess vermitteln soll.

Förderhilfen, Stipendien und kostenlose Beratung können nützlich sein

Die Experten für Unternehmensgründungen, Social Impact in Berlin, Hamburg, Leipzig und München bieten Menschen mit Migrationshintergrund an mehreren Standorten in Deutschland Coaching, Workshops und Co-Working-Büros sowie Zugang zu Mikrofinanzierungen. In den vergangenen Monaten suchten verstärkt Flüchtlinge mit Gründungsinteresse Rat bei dem Sozialunternehmen.

"Die gesetzlichen und finanziellen Hürden sind aber häufig noch zu hoch. Es braucht für diese Zielgruppe spezielle Angebote für Teamgründungen, Kleinkredite oder kostenfreie Arbeitsplätze", sagt Social-Impact-Geschäftsführer Norbert Kunz. Im Rahmen des Programms "Chancen Nutzer" unterstützen seine Mitarbeiter speziell Personen bis zum Alter von 30 Jahren bei der Verwirklichung ihrer Start-up-Pläne. Nach erfolgreicher Bewerbung ist die Teilnahme kostenfrei. Individuelle Beratung zur Unternehmensgründung in der jeweiligen Muttersprache bis zu einem Jahr nach Firmenstart bietet der Lotsendienst in Brandenburg im Zentrum Potsdam. Der Termin für das nächste sogenannte Development Center ist vom 28. bis 30. November 2016.

Die Spezialisten von Social Impact helfen darüber hinaus im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums bei der Entwicklung von Start-ups für Flüchtlinge. Durch das Stipendienprogramm "Ankommen" der Förderbank KfW werden Initiativen und Start-ups, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe von geflüchteten Menschen verbessern möchten, umfassend qualifiziert und begleitet.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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