Seiteneinsteiger:Vorrang für Parteisoldaten

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Das politische System in Deutschland schreckt viele Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft ab.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

Die wenigsten schaffen es, und zur Wahrheit gehört auch, dass es immer weniger schaffen wollen. In Deutschland sind Unternehmer oder Manager, die in die Politik gehen, sehr selten geworden. Das mag erklären, warum Politiker und Vertreter der Wirtschaft einander kaum verstehen. Der Graben zwischen beiden Welten ist tief.

Früher gab es einen Otto Graf Lambsdorff (FDP), der von 1977 bis 1984 Bundeswirtschaftsminister war. Der Adelige war aus dem Vorstand der Düsseldorfer Viktoria Versicherung ins Bundeskabinett gegangen. Alex Möller, ein knorriger Sozialdemokrat, war 20 Jahre Vorstandschef der Karlsruher Lebensversicherung, ehe er 1969 im ersten Kabinett von Willy Brandt das Finanzressort übernahm. Aber Möller bliebt nur zwei Jahre im Amt. Er trat zurück, weil er sich daran störte, dass in der Politik der Umgang mit dem Geld der Bürger wesentlich lockerer ist, als er es in der Assekuranzbranche gelernt hatte. Der langjährige Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht (CDU) diente vor seiner Zeit in der Politik als Manager dem Kekshersteller Bahlsen. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker saß in der Geschäftsführung von Böhringer Ingelheim, ehe er 1969 in den Bundestag ging.

Der Unternehmer Heinrich Weiss meint: "Menschlich hätte ich da nicht reingepasst."

Heute wäre ein solcher Seitenwechsel kaum noch vorstellbar. Politik und Wirtschaft liegen zu weit auseinander. Von den 631 Abgeordneten des Bundestags sind nur 49 selbständige Unternehmer oder Handwerker. Der letzte, der es schaffte, von einem Manager-Posten zum Bundesminister zu werden war Werner Müller, der von 1998 bis 2002 Wirtschaftsminister unter Kanzler Gerhard Schröder war. Der Parteilose war vorher bei den Energiekonzernen RWE und Veba, nach seiner Amtszeit war er Chef der Kohlegesellschaft RAG. Ursprünglich hatte Schröder damals für den Posten den erfolgreichen Düsseldorfer Unternehmer Jost Stollmann vorgesehen. Doch der Politik-Neuling lernte schnell seine Grenzen im politischen Biotop der Republik kennen. Er geriet schon vor dem Amtsantritt mit Oskar Lafontaine, dem Kandidaten für das Finanzministerium aneinander und beschloss, die Politik zu meiden. Er ging lieber auf Weltreise.

Das politische System stößt hierzulande Seiteneinsteiger ab. Das bekam schon Heinrich Weiss zu spüren, ein Düsseldorfer Familienunternehmer, der im Geschäft mit Stahlwerken ist. Kanzler Helmut Kohl hatte in den Achtzigerjahren Gefallen an Weiss gefunden und wollte ihn für die CDU in den Bundestag holen. Der war bereit zum Sprung, doch es wurde nichts draus. Die Hinterzimmerstrategen des NRW-Landesverbandes schanzten lieber einem altgedienten Parteisoldaten den notwendigen Listenplatz zu. Inzwischen sagt Weiss: "Ich bin froh, dass es nicht geklappt hat. Menschlich hätte ich da nicht reingepasst." Das dürfte zutreffen. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das traditionelle Misstrauen zwischen beiden Welten noch verstärkt.

Tom Enders, der Chef des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus, war einmal Beamter im Verteidigungsministerium und kennt das politische Geschäft aus eigener Anschauung. Warum Manager es vorziehen in der Wirtschaft zu bleiben, erklärt er so.: "In der Wirtschaft ist das Leben meist einfacher und wird besser bezahlt".

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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