Schwere Vorwürfe gegen Lebensversicherer:Abwimmeln statt zahlen

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Der Bundesgerichtshof hatte entschieden, dass Versicherungskunden bei vorzeitiger Kündigung mehr Geld zurück erhalten müssten. Allein - die meisten Kunden haben noch kein Geld bekommen.

Thomas Öchsner

Zwei Verbraucherverbände wollen im Streit mit den deutschen Lebensversicherern die Finanzaufsicht einschalten.

Sie werfen den Unternehmen eine "Abwimmeltaktik" gegenüber Millionen Kunden vor, denen nach drei Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Oktober 2005 unter Umständen Milliarden Euro zustehen.

Die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Oktober 2005 könnte für die deutsche Versicherungswirtschaft eine der teuersten juristischen Niederlagen in ihrer Geschichte werden.

Der BGH hatte entschieden, dass Kunden, die eine private Lebensversicherung oder eine Rentenversicherung abgeschlossen und vorzeitig gekündigt haben, höhere Rückzahlungen verlangen können als bisher üblich ( Aktenz: 162/03, 177/03, 245/03).

Die Urteile gelten zwar bisher nur für Verträge, die zwischen Juli 1994 und Mitte 2001 abgeschlossen und seither vorzeitig aufgelöst wurden. Trotzdem treffen sie nach Schätzungen der Verbraucherzentrale Hamburg sieben Millionen Kunden.

Neue Klagewelle

Es geht um viel Geld: Die ehemaligen Versicherten haben nach dem Karlsruher Richterspruch nicht nur Anspruch auf einen Mindest-Rückkaufswert ihres Vertrages, der knapp die Hälfte der eingezahlten Beiträge beträgt. Die Versicherungsgesellschaften durften sie auch nicht mit einem Stornoabzug belasten.

Ein Beispiel: Ein Kunde hat 100 Euro Beitrag pro Monat gezahlt. Bei Kündigung seines Vertrages nach 18 Monaten zahlte die Versicherung bisher nichts zurück. Seit der BGH diese Praxis verboten hat, kann der Kunde knapp die Hälfte der eingezahlten Beiträge verlangen, also etwa 850 Euro.

Edda Castelló, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg, ist deshalb überzeugt, "dass es bei diesem Urteil für die Versicherungsbranche um Milliardenbeträge geht". Und genau deshalb, glaubt Castello, schreiben die Versicherer auch ihre Kunden nicht selbst an.

Wie bei einem Rückruf

"An sich müssten die Versicherungen von sich aus alle Ex-Kunden informieren und ohne Aufforderung Nachzahlungen leisten - wie bei einem kaputten Auto, das zurückgerufen wird", sagt die Finanzexpertin.

Doch geschehen ist bislang nichts, obwohl auch der Ombudsmann der Branche, der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Römer, die Gesellschaften dazu aufgerufen hat, zumindest bei den juristisch unumstrittenen Ansprüchen.

Noch im Oktober hatte der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) erklärt, er rechne damit, dass sich die Unternehmen selbst melden würden. Zugleich riet er Kunden, "zwei, drei Zeilen zu schreiben, um auf der sicheren Seite zu sein". Jetzt heißt es dort: "Wir können den Unternehmen nicht vorschreiben, wie sie mit dem Problem umgehen."

Die Verbraucherschützer wollen sich damit nicht zufrieden geben. Der Bund der Versicherten (BdV), der die Klagen beim BGH initiierte, und der Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) kündigten an, sich an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu wenden.

"Wir sehen das Gleichbehandlungsgebot der Versicherten verletzt", sagt Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte des Vzbv. Es könne nicht sein, dass nur die entschädigt werden, die Ansprüche anmelden, und die anderen nicht, argumentiert er. Genauso sieht es die BdV-Chefin Lilo Blunck: "Wer sich so verhält, schürt Misstrauen."

Die Verbraucherschützer werfen den meisten Unternehmen eine Mauertaktik vor. Nach Angaben der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz haben Firmen wie Debeka oder Allianz Leben bereits Geld erstattet. "Ein Großteil handelt aber nach der Devise: abwimmeln, hinhalten, vertrösten", sagt Castelló von der VZ Hamburg, die neue Massenklagen organisiert. So liegen sowohl der Verbraucherzentrale wie auch dem BdV inzwischen zahlreiche Briefe vor, in denen eine Nachzahlung abgelehnt wird.

Zwei ehemalige Versicherte haben in Zusammenarbeit mit der VZ Hamburg deshalb zwei neue Klagen gegen Axa und BHW eingereicht, weil die auf Briefe von Ex-Kunden ausweichend geantwortet hätten.

Castelló warnt davor, sich mit den Auskünften der Versicherer zufrieden zu geben. In manchen Antwortschreiben würde behauptet, dass der Rückkaufswert gemessen an der Formel des BGH hoch genug gewesen sei. Andere erklären, ihre Klauseln fielen nicht unter die neue Rechtsprechung.

Damit werde nicht nur der BGH unterlaufen. "Es wird auch wohlweislich verschwiegen, dass alle Kunden einen Anspruch auf Erstattung des Stornoabzugs haben", sagt die Finanzexpertin. Dieser könne ein paar hundert Euro ausmachen.

Scholl rechnet damit, dass es zu einer neuen Klagewelle kommen wird. Die Unternehmen würden jedoch wie in der Vergangenheit auf Vergleiche eingehen, um Grundsatzurteile zu vermeiden. "Denn wenn die erst einmal auf dem Tisch liegen, wird es noch teurer", sagt der Jurist.

© SZ vom 24.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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