Schwarzgeld in Indien:Sie werfen das Geld auf den Müll

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Indien bekämpft die Schattenwirtschaft und löst Chaos aus: Banken sind überfordert, Ärzte nehmen große Scheine nicht an, Menschen ohne Konto sind hilflos.

Von Arne Perras, Singapur

Es ist ein seltsames Gefühl, das sich nun unter Indern breitmacht. Über dieses Gefühl redet ein Unternehmensberater aus Delhi gerne, solange sein Name nicht in der Zeitung erscheint. "Viele von uns spüren diese schräge Mischung aus Freude und Qual", sagt er. "Es ist herrlich zu sehen, dass die Korrupten in unserem Land nun Berge von Geld verlieren und auf die Nase fallen. Geschieht ihnen ganz recht". Aber er sagt auch: "Natürlich nervt es alle, dass sie jetzt so schwer an Bargeld kommen, der Alltag in diesen Tagen ist hart."

Die Regierung hat angeordnet, Banknoten im Wert von mehr als 220 Milliarden Dollar abrupt und innerhalb weniger Wochen durch neue Scheine zu ersetzten. Seit einer Woche geht es in ganz Indien drunter und drüber, weil Bargeld rar geworden ist. Kaum zu glauben in einem Land, dessen Wirtschaftskreislauf noch weit stärker als anderswo an Geldscheinen hängt. Bank- und Kreditkarten gibt es natürlich auch, aber am häufigsten nutzen Inder immer noch: Cash. Das ist nun aber zu einem nervenaufreibenden Abenteuer geworden.

Die Schlangen vor den Banken wie hier in der Stadt Siliguri sind so lang, dass viele Menschen stundenlang warten müssen. (Foto: Diptendu Dutta/Afp)

Ältere erlitten Herzinfarkte - offenbar wegen des Schocks, ihr ganzes Vermögen sei wertlos

Seit Tagen berichten die Medien über chaotische Szenen vor den indischen Banken, am Montag waren dann noch düstere Meldungen zu lesen: Womöglich hat der überraschende Geldwechsel schon einige Todesopfer gefordert. Der Indian Express berichtete von elf unbestätigten Fällen, in denen Angehörige schwere Vorwürfe erhoben. Demnach sollen sich Ärzte geweigert haben, alte Scheine als Bezahlung anzunehmen, weshalb mehrere kranke Kinder nicht rechtzeitig behandelt wurden. In anderen Fällen starben ältere Menschen offenbar am Schock oder am Herzinfarkt, weil sie vor der Bank zu lange in der Schlange standen oder dachten, ihr ganzes Geld sei mit einem Schlag verloren. Erst die kommenden Tage dürften Aufklärung bringen. Sicher ist aber, dass Indien das Chaos noch nicht bewältigt hat, das am 9. November ausgebrochen war.

Premier Narendra Modi hatte den Geldwechsel am Abend zuvor verkündet, wenige Stunden später trat die Ankündigung in Kraft. Delhi zieht die größeren Scheine, Fünfhunderter und Tausender, aus dem Verkehr. Übergangsweise sollten sie nur noch für ganz wenige Zwecke nutzbar sein, etwa um Rechnungen im Krankenhaus zu bezahlen, was den Tod einiger Kinder womöglich aber nicht verhinderte.

Die Regierung hat eine Großoffensive gegen die Schattenwirtschaft eröffnet. Der Wechsel kam für alle überraschend, was natürlich Methode hatte, um all die Trickser kalt zu erwischen. Finanzminister Arun Jaitley spricht von einer "riesigen Operation, die gerade erst angefangen hat". Gelingt es der Regierung in Delhi, das Problem mit dem Schwarzgeld einzudämmen, wäre dies ihr größter Erfolg seit der Wahl 2014. Bisherige Schritte gegen Steuersünder, Geldwäscher, korrupte Unternehmer und Beamte brachten nur kleine Erfolge.

Trotz der langen Warterei können die Menschen ihre Fünfhundert- und Tausend-Rupien oft nicht in kleinere Geldscheine tauschen. (Foto: Anindito Mukherjee/Bloomberg)

Manche verbrennen das Geld oder werfen es säckeweise auf den Müll

Indiens Steuerfahnder vermuten, dass nicht nur Hunderte Milliarden Dollar im Ausland versteckt liegen, sondern dass viele Inder riesige Beträge in bar bunkern, um Steuerflucht und Korruption zu verschleiern. "Sie müssen sich vorstellen: Hier gibt es Leute, die haben ganze Lagerhallen voller Cash," sagt der Ökonom Rajiv Kumar vom Centre for Policy Research in Delhi.

Die indische Schattenwirtschaft hat einen Umfang von mindestens 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie schon etwas ältere Untersuchungen nahelegen. Die Regierung hat das Ergebnis mehrerer neuerer Studien noch nicht veröffentlicht, doch Experten in Indien setzten einen Umfang von etwa 500 Milliarden Dollar für das illegale Paralleluniversum als realistische Größe an. Diese Schattenwelt zu bekämpfen, gilt als kompliziert, weil sie mit der regulären Wirtschaft stark verwoben ist, wie der Ökonom Arun Kumar anmerkt. Der Professor hat ein Buch über die indische Schattenwirtschaft verfasst und ist skeptisch, dass der Schritt Modis weit führen wird, solange die Mechanismen intakt bleiben, um Schwarzgeld anzuhäufen. Modis Regierung allerdings hat angekündigt, dass der Kampf weitergehe. Bis zum 30. Dezember können Bürger die Banknoten auf der Bank einzahlen, bis zu maximal 3500 Euro. Im Gegenzug können sie dann neue Scheine abheben.

Wer mehr einzahlt, wird der Steuerbehörde gemeldet. Das soll entweder dazu führen, dass weiteres Schwarzgeld entdeckt wird oder einfach verloren geht, weil es niemand mehr nutzen kann.

Seither macht sich in manchen Kreisen Panik breit. Im Bundesstaat Uttar Pradesh wurden Säcke mit verbrannten Banknoten gefunden, andernorts haben Besitzer ihre Bestände einfach tütenweise neben dem Müll deponiert. Das sorgt für eine gewisse Genugtuung bei all jenen, die ihr Geld ehrlich verdienen und versteuern. Doch spürt die Mehrheit der Inder nun auch den "Kollateralschaden" der Bargeldreform, wie das eine indische Zeitung nennt. Die Banken scheinen überfordert. Sie geben zwar neue Banknoten aus, aber viele Kunden stehen acht, neun Stunden in der Schlange und bekommen am Ende immer noch nichts ab. Am härtesten trifft es Menschen ganz unten: Zum Beispiel Uma Kumari, eine Köchin aus Westbengalen. Sie lebt in Delhi und hat drei Arbeitgeber, um sich und ihre beiden Töchter zu ernähren. Die Köchin besitzt einen kleinen Schatz, doch der bereitet ihr nun Sorgen. 11 000 Rupien hat sie im Laufe der Jahre angespart, 150 Euro. Aber leider alles in Fünfhunderter-Scheinen, erzählt sie, die sie nun nicht mehr nutzen kann. Dieses Geld ist das einzige Netz, das Kumari besitzt. Jeden Tag kann etwas geschehen, was sie aus der Bahn wirft. Vielleicht wird sie krank, verliert ihren Job. Dann braucht sie Geld, aber wie tauscht sie es jetzt in neue Scheine? Sie müsste das Ersparte auf der Bank einzahlen, doch hat sie kein Konto. Sie bekomme keines, sagt sie, weil ihr Dokumente fehlten.

Das wertlose Papiergeld stapelt sich eimerweise bei den Banken. (Foto: Adnan Abidi/Reuters)

Kumari ist kein Einzelfall. Zwar hat Modi viel dafür getan, dass arme Inder Bankdienste nutzen können. Schon zu Beginn seiner Amtszeit wurden mehr als 100 Millionen neue Konten eröffnet. Allerdings sind Lücken geblieben. Kumari müsste also jemanden finden, der ihr Geld aufs eigene Konto einzahlt und später, in Form neuer Scheine, wieder abhebt. Das ist riskant und kaum umsonst zu haben. Denn viele, die ein Konto besitzen, lassen sich nun solche Dienste bezahlen, vor allem von jenen, die schmutziges Geld gebunkert haben und reinwaschen wollen. Große Summen auf diese Weise zu verstecken, dürfte mühsam werden, weil man das Geld auf viele Konten verteilen müsste. Aber es gibt die Schlupflöcher und sie werden genutzt. Dennoch findet Ökonom Rajiv Kumar, dass Modi das Richtige tut: "Die Schattenwirtschaft frisst sich wie ein Krebs durch die Wirtschaft. Schwarzgeld schafft eine unmoralische Gesellschaft".

"Schwarzgeld schafft eine unmoralische Gesellschaft", sagt ein Ökonom

Anfangs wurde Modi für seine Aktion von vielen gepriesen. Doch nach der ersten Woche der Blitz-Reform und mutmaßlichen Toten mischen sich kritische Töne in die Diskussion, es wird immer deutlicher, welchen Preis die Mehrheit der Inder für den Überraschungsangriff auf mutmaßliche Schwarzgeldsünder bezahlen. Dem Premier ist das nicht entgangen, er bat am Wochenende um Geduld: "Diese Not dauert nur 50 Tage", sagte er. "Bitte gebt mir 50 Tage." Nach dem 30. Dezember werde er jenes Indien vorzeigen, das sich die Bürger immer gewünscht hätten. Ein nebulöses Versprechen ist das. Sicher ist, dass für den Premier viel auf dem Spiel steht. Die Banknoten, die ausgewechselt werden, machen vier Fünftel der im Umlauf befindlichen Geldmenge aus, etwa 22 Milliarden Scheine. Entscheidend wird sein, ob das Chaos bald abflaut. Ansonsten könnte die Stimmung schnell umschlagen.

Mancherorts hat es schon gewalttätige Szenen gegeben, aus einem Ort im Süden wurde berichtet, dass Kunden die Scheiben einer Bank zerschmetterten, weil der Chef keine neuen Banknoten hatte. Die Köchin Kumari in Delhi weiß jetzt nicht mal, wie sie den Gemüsehändler zahlen soll: "Der hat mir Kredit gegeben und gesagt, ich kann später zahlen". Man hilft sich aus in schweren Zeiten, aber auch nicht überall. Die Mittelklasse hat es etwas leichter, obgleich sie lauter schreit, immerhin haben sie in diesen Kreisen ein Konto und Bankkarten. Schlecht kommt allerdings an, dass Bankautomaten vielerorts kein neues Geld ausspucken. Die Geräte müssten erst umprogrammiert werden, das könnte drei Wochen dauern, hieß es. Eine peinliche Panne, die den Unmut steigert. Rajiv Kumar rechnet damit, dass der Geldwechsel vor allem die Konsumbranche in den kommenden Monaten treffen wird. "Man wird zum Beispiel nicht mehr so viele aufwendige Hochzeiten erleben." Auch der Immobilienmarkt komme unter Druck, in den viel Schwarzgeld fließt. Letztlich müsse Indien das aber alles aushalten, wenn es gesunden wolle.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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