Schwanhäußer:Farborgie für die Augen

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Die Firma Schwanhäußer ist für ihre Schreiber der Marke Schwan-Stabilo bekannt. Fast unbemerkt ist sie auch zum weltweit größten Hersteller von Schminkstiften geworden.

Von Uwe Ritzer, Heroldsberg

Das Treffen bedurfte besonderer Vorbereitungen. Das Essen beispielsweise kam nicht aus der Firmenkantine, sondern wurde von einem Spezial-Caterer geliefert. "Halal" mussten die Speisen sein, also ausdrücklich erlaubt nach islamischem Recht. "Halal" war überhaupt das Thema bei dem Seminar in Heroldsberg bei Nürnberg, bei dem es um Kosmetikstifte ging. Arabische Experten erklärten den Entwicklern der Firma Schwan-Cosmetics, welche Inhaltsstoffe eine Wimperntusche, ein Eyeliner oder ein Lipgloss haben dürfen, damit auch eine gläubige Muslima sie verwenden darf. "In Indonesien gibt es Pläne, dass alle Kosmetikprodukte künftig Halal-zertifiziert sein müssen", sagt Jörg Karas, 46. Andere islamische Länder könnten folgen.

"Wir schauen uns ständig nach Geschäftsfeldern um, die heute noch nicht relevant sind, in Zukunft aber Wachstum erwarten lassen", sagt Karas. Der promovierte Chemiker teilt sich mit Sebastian Schwanhäußer, 52, die Geschäftsführung der Firma Schwanhäußer Industrie und ist zugleich Chef ihrer Kosmetiksparte. 160 Jahre wird das fränkische Familienunternehmen in diesen Tagen alt. Bekannt ist vor allem die Schreibgerätesparte Schwan-Stabilo. Auch ein Outdoor-Segment mit dem Rucksackhersteller Deuter und dem Bergsport-Ausrüster Ortovox gehört zum Familienkonzern. Dessen größte Sparte ist jedoch Schwan-Cosmetics.

Schwanhäußer liefert nicht nur Kosmetikstifte in vielen Farben. (Foto: Schwanhäußer)

Produkte von Schwan-Cosmetics stehen in nahezu jeder Parfümerie und Drogerie. Binnen 20 Jahren ist das Unternehmen zum größten Hersteller von dekorativen Kosmetikstiften aufgestiegen. Fast jeder zweite Stift, der weltweit verkauft wird, stammt von Schwan-Cosmetics. Nur dass außen L'Oréal, Yves Saint Laurent, Chanel oder ein anderes Label draufsteht. Auch für kleine Hersteller, Drogerie- und Discountermarken fertigen die Franken. Mit zuletzt etwa 300 Millionen Euro erwirtschaftete die Kosmetiksparte mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes von knapp 560 Millionen Euro.

"Wir sind aus der Sicht des Verbrauchers kein Markenhersteller, aber innerhalb der Branche sind wir es", sagt Jörg Karas. Und zwar einer, der nicht wartet, bis die Bestellungen der Kunden eingehen. "Wir suchen von uns aus gezielt nach den künftigen Trends und entwickeln dann die entsprechenden Produkte", schildert Karas. "95 Prozent unserer Produkte gehen auf unsere Ideen und Entwicklungen zurück, die wir den Kosmetikmarken anbieten."

Um herauszufinden, was an Gesichtsfarben in absehbarer Zeit gefragt sein wird, durchforsten Schwan-Mitarbeiter soziale Medien und Internet-Blogs. Sie werten aus, was die vorwiegend weibliche Kundschaft dort über ihre Schminkerfahrungen und die Erwartungen an die entsprechenden Produkte austauscht. Marktforscher und Trendscouts halten obendrein Ausschau nach künftigen Modefarben. Halal etwa ist einer der absehbaren Trends in islamischen Ländern, in Europa und anderen westlichen Staaten werden zunehmend vegane Kosmetikstifte nachgefragt. "Regional können die Anforderungen an unsere Produkte sehr unterschiedlich sein", sagt Karas. Da sich etwa lateinamerikanische Hauttypen von solchen in Nordeuropa unterscheiden. Oder weil die Augengeometrie asiatischer Frauen andere Farben und Materialien verlangt als jene von Afrikanerinnen.

Das Unternehmen spendiert seinem neuen Gebäude "Cube" nördlich von Nürnberg bunte Büros und Besprechungsräume. (Foto: Schwanhäußer)

Der Vorläufer von Eyelinern oder Mascara-Stiften diente ganz anderen Zwecken. Mit dem "Schwan-Dermatographen rund und kernfarbig poliert", wie es auf den Packungen hieß, markierten während des Ersten Weltkrieges Chirurgen, wo sie auf der Haut verwundeter Soldaten ihre Schnitte ansetzen wollten. Daraus entwickelte sich ein Augenbrauenstift, der 1927 auf den Markt kam. Doch erst gut ein halbes Jahrhundert später forcierte das Unternehmen sein Kosmetikgeschäft. Heute werden die Stifte außer am Stammsitz Heroldsberg auch in Tschechien, Brasilien, Kolumbien, Mexiko und in den USA gefertigt, dem übrigens größten Absatzmarkt. Von 4400 Schwanhäußer-Mitarbeitern sind 2800 bei Schwan-Cosmetics beschäftigt.

Jahrzehntelang in erster Linie Schreibgerätehersteller, verfolgt das Familienunternehmen inzwischen eine andere Strategie. "Ein Hocker steht auf drei Beinen besser als auf einem oder zwei", sagt Konzernchef Sebastian Schwanhäußer, der obendrein die Interessen seiner 42 Mitgesellschafter aus der Familie berücksichtigen und in eine Richtung kanalisieren muss. Also wurde neben den Schreibgeräten das Geschäft mit Kosmetik forciert, und vor wenigen Jahren stieg Schwanhäußer mit dem Kauf von Deuter und Ortovox auch in die Outdoor-Branche ein. Demnächst soll in dieser Sparte eine weitere Übernahme perfekt gemacht werden. Die ökonomische Vorgabe für alle drei Sparten? "Schneller wachsen als der jeweilige Markt", sagt Schwanhäußer.

4400 Mitarbeiter sind bei Schwanhäußer beschäftigt, davon arbeiten 2800 bei Schwan-Cosmetics - in farbenfrohen Räumlichkeiten. (Foto: Schwanhäußer)

Einerseits fränkisches Traditionsunternehmen, ist Schwanhäußer so international wie nie. Gerade wird ein Kosmetikwerk im US-Bundesstaat Tennessee in Betrieb genommen. Völlig fernab von fränkischer Fachwerkromantik, hat Schwanhäußer in Heroldsberg ein architektonisches Ausrufezeichen gesetzt. "Cube" heißt der schwarze Würfel mit den vielen kleinen Fenstern, der sich von den benachbarten Funktionsgebäuden der Firmenzentrale unterscheidet - und sie doch ergänzt. Mutige Architektur für 15 Millionen Euro, entworfen von den Kölner Büros mvmarchitekt und starkearchitektur. Die neuen Büros und Besprechungsräume sind eingebettet in eine faszinierende Orgie kräftiger Farben.

© SZ vom 07.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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