Schmiergelder, Tarnfirmen, Lustreisen bei Volkswagen:Götterdämmerung in Wolfsburg

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Das System von Geben und Nehmen funktionierte in der VW-Stadt jahrelang reibungslos. Jetzt gerät die enge Verbindung der mächtigen Arbeitnehmer mit dem Management und der Politik ins Wanken. Eine Reportage vom Niedergang der Marke VW.

K. -H. Büschemann, C. Busse, J. Viering, M. Thiede

Südstraße, Sektor 16, dritter Stock. An diesem Ort auf dem VW-Werksgelände in Wolfsburg kommt niemand vorbei. Als Christian Holstein, 33, hierher bestellt wurde, ist er guten Mutes.

VW-Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder, Personalvorstand Peter Hartz und Gesamtbetriebsrats-Mitglied Bernd Osterloh (v.l.). (Foto: Foto: ddp)

Einstellungstests und ärztliche Untersuchung hatte der Automechaniker schon hinter sich. Jetzt soll er den Vertrag für einen Job in der Montage unterschreiben. "Aber dann wurden wir in diesen Raum von der Gewerkschaft geführt", erzählt Holstein.

Das Zimmer der Vertrauensleute liegt auf demselben Stockwerk wie das Einstellbüro des Unternehmens, was wohl kein Zufall ist. "Die Aufnahmeanträge für die IG Metall wurden verteilt, und einer hielt eine Rede", erzählt Holstein. "Da hieß es, wer nicht eintritt, der wird es nicht leicht haben bei VW."

"Da wurde das Klima gleich frostig"

Holstein unterschrieb nicht - als einziger von 60 Bewerbern. "Da wurde das Klima gleich frostig", erinnert er sich an die offenbare Macht der IG Metall bei Volkswagen. Und er wird den Verdacht nicht los, dass seine Weigerung der Grund war, warum er den Job am Ende nicht bekam.

Auch Menschen, die schon lange bei VW arbeiten, berichten vom Druck zum Gewerkschaftsbeitritt. "Wer was dagegen sagt, der wird schnell mal auf einen unangenehmen Arbeitsplatz versetzt", schimpft ein Betroffener.

Doch das "System VW", die enge Verbindung der mächtigen Arbeitnehmer mit dem Management und der Politik, gerät ins Wanken. Am Freitag reichte Personalvorstand Peter Hartz sein Rücktrittsgesuch ein - ein schwerer Schlag für den Konzern und für den Chef Bernd Pischetsrieder.

Der 63-jährige Hartz, Manager und Gewerkschaftsmitglied, ist eine der Schlüsselfiguren für das System VW, der wohl bekannteste Mann im Auto-Konzern. Und er gehört zu den engen Beratern von Regierungschef Gerhard Schröder. Seinen Namen tragen die Arbeitsmarktreformen des SPD-Kanzlers.

Die dunkle Seite der Macht

Seit Jahrzehnten ist die IG Metall stolz darauf, dass sie im Werk Wolfsburg den ungewöhnlich hohen Organisationsgrad von 97 Prozent hat.

Bei der Konkurrenz ist der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder viel geringer. Doch im Lichte der derzeitigen Affäre um Schmiergelder, Tarnfirmen und Lustreisen erscheint die Macht der IG Metall bei VW in einem anderen Licht.

Auch Hartz soll in die Affäre verwickelt sein. Klaus Volkert, der langjährige Gesamtbetriebsratsvorsitzende, ist schon vor einer Woche zurückgetreten, und gegen zwei Mitarbeiter des Personalwesens hat der Konzern Anzeige erstattet - wegen Untreue oder Betrugs. Management, Betriebsrat und Gewerkschaften sind durch eine Affäre desavouiert, in der es neben Scheinfirmen auch um brasilianische Freundinnen und Luxusnutten geht.

Jetzt wächst in Wolfsburg das Misstrauen über die Nähe von Management und Belegschaftsvertretern, das so genannte VW-System. "Die duzen sich alle", sagt ein Insider. Und ein hoher Gewerkschafter bestätigt: "Natürlich gibt es ein System VW - und ich fürchte, manchmal verschwimmen da die Grenzen zwischen Kooperation und Kumpanei."

Der größte Autokonzern Europas dominiert die Stadt Wolfsburg. Er ist Gebieter über Tausende von Autohändlern und Auftraggeber für Hunderte von Zulieferern. Gleichzeitig haben Politiker auf das Unternehmen direkten Einfluss.

Niedersachsen ist noch mit 18,2 Prozent an dem ehemaligen Staatsbetrieb beteiligt und hat zwei Sitze im Aufsichtsrat. Die Politik hat meist dasselbe Interesse wie die Gewerkschaften: Die Zahl der Arbeitsplätze muss möglichst groß bleiben.

Gegründet von den Nazis

Gemeinsam bringen Politiker und Gewerkschafter im Aufsichtsrat eine Mehrheit gegen das Management zusammen. Das schafft Nähe und ein Klima, in dem die jetzige Schmiergeld- und Korruptionsaffäre gedeihen konnte.

VW, das war eine Idee des Nazi-Staates. Adolf Hitler wollte die Deutschen mit einem Volksauto mobilisieren und gründete dazu 1937 etwa 75 Kilometer westlich von Hannover ein Autowerk. Die daneben angesiedelte neue Stadt, das heutige Wolfsburg, bekam den Namen "Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens".

Doch so richtig begann die Autoproduktion erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Wiederaufstieg Deutschlands ist ohne den "Käfer" aus Wolfsburg nicht denkbar. Der Staat, dem das Werk bis in die sechziger Jahre gehörte, und die IG Metall, der die Arbeiter folgten, waren Paten für diesen Aufstieg.

Heute ist Volkswagen ein Moloch. Das Wolfsburger Werk ist fast so groß wie der Stadtstaat Monaco. Das Unternehmen hat 340.000 Beschäftigte, davon mehr als die Hälfte im Inland und 50.000 in Wolfsburg.

Volkswagen baut in Mexiko und Brasilien genauso Autos wie in China, Kassel oder Emden. Der Konzern, zu dem auch die Marken Audi, Seat, Skoda, Bugatti, Lamborghini und Bentley gehören, stieg in den neunziger Jahren zum größten Autokonzern Europas auf.

Kein Cent Gewerbesteuer

Doch das Zentrum bleibt die Provinzstadt mit ihren nur 123.000 Einwohnern. Kein zweiter Ort in Deutschland ist so mit einem Unternehmen verbunden wie die Retortenstadt am Mittellandkanal. Wolfsburg ist vom Werk abhängig. Solange es mit dem Automobilbau aufwärts ging, war diese Bindung für die Stadt mehr Segen als Last.

Aber es geht nicht mehr aufwärts; es geht bergab. Oberbürgermeister Rolf Schnellecke (CDU) bekommt schon seit zwei Jahren keinen Cent Gewerbesteuer mehr von VW.

Noch heute steckt der Stadt die letzte Krise in den Knochen. Vor zwölf Jahren schrieb VW Milliardenverluste. Die Sanierungsarbeit von Konzernchef Ferdinand Piëch beförderte die Arbeitslosenquote binnen kurzer Zeit auf 19 Prozent. Damals machte Personalvorstand Hartz der Stadt ein "Geschenk": Er versprach, die Arbeitslosigkeit bis 2003 zu halbieren.

Operation Hartz-IV: Peter Hartz und Gerhard Schröder. (Foto: Foto: AP)

Als Werkzeug erfand er das Konzept der Auto-Vision, ein Arbeitsbeschaffungsmodell, das die Abhängigkeit vom Automobilbau mildern sollte. VW und die Stadt gründeten die Wolfsburg AG, ein Symbol für die enge Schicksalsgemeinschaft.

Freizeitparks und Erlebniswelten

Stadt und Unternehmen sind zu jeweils 50 Prozent beteiligt; der Aufsichtsrat wird von Hartz und Schnellecke gestellt.

Die Wolfsburg AG lockt Zulieferer an den Kanal und hilft Existenzgründern, aber vor allem baut sie Freizeitparks und "Erlebniswelten", um der Stadt ein zweites Standbein im Tourismus zu verpassen.

Denn die "Autostadt", das Vertriebszentrum von VW mit den beiden Glastürmen, zieht jedes Jahr zwei Millionen Besucher an und ist nach dem Freizeitpark Rust die zweitgrößte touristische Attraktion Deutschlands.

Hartz hat Wort gehalten: 7941 neue Jobs hat das Unternehmen geschaffen, und zwischenzeitlich war die Arbeitslosigkeit bis auf gut acht Prozent gesunken. Und zum Glück für diese Idylle gibt es das VW-Gesetz, das den Autokonzern praktisch zur uneinnehmbaren Festung macht.

Kein VW-Aktionär darf jemals das Land Niedersachsen überstimmen, egal wie hoch sein Aktienanteil ist. VW steht unter politischem Artenschutz - Übernahme ausgeschlossen. Der Konzern ist eine besondere Macht in Deutschland.

Viel teurer als die Konkurrenz

So ist es auch kein Wunder, dass Klaus Volkert, bis vor einer Woche noch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von VW, als der stärkste Betriebsratsvertreter Deutschlands galt. Bei VW wird kein Chef berufen, der nicht den Segen der Arbeitnehmer hat.

Da geht es dem Konzernchef genauso wie dem kleinen Lehrling oder womöglich auch Christian Holstein. Wer die Belegschaftsvertreter gegen sich hat, wird scheitern. Die Folge war, bei VW wurde nicht in dem Maße rationalisiert wie bei der Konkurrenz.

Das Ergebnis ist fatal: Bei VW sind die Kosten heute 40 Prozent höher als bei den Wettbewerbern. Das Zentralwerk in Wolfsburg ist nur zu 60 Prozent ausgelastet. Die Marke VW macht Verlust. "Die nächsten drei Jahre werden sehr schwierig", sagte der neue VW-Markenchef Wolfgang Bernhard.

Den früheren Daimler-Manager hat Pischetsrieder mit einer Aufgabe betreut, die bei VW noch nie ein Mitglied des Vorstands hatte: Er soll den Konzern rigoros sanieren.

Gern mal auf dem Fußballplatz

Früher kümmerten sich die hohen Herren gern um Nebensächliches. Zum Beispiel um Fußball. Der Sport wurde mit dem Aufstieg des VfL Wolfsburg in die Fußball-Bundesliga zur Chefsache.

Damals erkannten die Bosse, dass es sich auf der Ehrentribüne eines Stadions gut sonnen lässt und dass der Konzern profitieren könnte, wenn große Mannschaften in die Provinz kommen. Selbst der langjährige Vorstandschef Piëch, eigentlich kein Freund des Fußballs, ließ sich plötzlich mit VfL-Käppi auf der Tribüne ablichten.

Heute hält VW 90 Prozent der Anteile an der Fußball-Filiale, die restlichen 10 Prozent verblieben beim Verein. Den Vorsitz des Aufsichtsrats haben drei VW-Manager inne. Der frühere Betriebsrats-Vize Bernd Sudholt ist einer der drei VfL-Geschäftsführer. Das neue Stadion heißt natürlich Volkswagen-Arena, die Kosten für den Club belaufen sich auf 25 Millionen Euro.

Doch die alten Zeiten sind vorbei, spätestens seit dem Rücktrittsangebot von Hartz. Bisher galt bei VW: Man kennt sich, man kann sich aufeinander verlassen - auch über Parteigrenzen hinweg. So fällt auf, dass Oberbürgermeister Schnellecke der größte Speditionsunternehmer im Dienste von VW ist.

Er hat seine ausländischen Gesellschaften genau dort, wo VW Fabriken besitzt. Immer wieder tauchen Geschäfte im Umfeld des Konzerns auf, die zumindest auf den ersten Blick seltsam scheinen.

Bestens verdient

Walter Leisler Kiep (CDU), der lange niedersächsischer Finanzminister und 20 Jahre im VW-Aufsichtsrat war, verdiente bestens an dem Wolfsburger Unternehmen.

Kiep ist an dem Versicherungsmakler Gradmann&Holler beteiligt, der VW zu seinen Kunden zählt. Mal leiht sich ein Mitarbeiter, der keinen Anspruch auf Firmenwagen hat, bei einem Kollegen mit Zugang zum Fuhrpark einen Achtzylinder-Passat, mal werden private Vergnügen dem Unternehmen aufgedrückt. Wolfsburg ist für viele eine Versorgungseinrichtung, die über die Lohn- und Gehaltszahlung weit hinausgeht.

So brachte es schon Schlagzeilen, dass Piëch, von 1993 bis 2002 Vorstandschef von VW und heute der Aufsichtsratsvorsitzende, als Privatunternehmer erfolgreich am Handel mit Autos aus dem VW-Konzern beteiligt ist.

Der gebürtige Österreicher ist neben vielen Mitgliedern seiner Familie Gesellschafter der österreichischen Porsche Holding, die inzwischen in der Alpenrepublik beim Verkauf der Marken aus dem VW-Konzern einen Marktanteil von 60 Prozent hat und stramm daran arbeitet, die Zahl der unabhängigen Händler zu reduzieren. Auch in Osteuropa ist die Holding dick im Geschäft.

Paragraph 27

Auch Konzernaufseher bekamen gelegentlich freundliche Unterstützung. Anstandslos übernommen wurde etwa der Mitgliedsbeitrag des Aufsichtsrats Ekkehardt Wesner für den Harvard Club Rhein-Main. Die Vereinigung ehemaliger Harvard-Studenten aus Deutschland hatte im Februar um Bezahlung der Jahresbeiträge 2000 und 2001, jeweils 100 DM gebeten.

Wie eng die Verflechtung von VW nicht nur in die Topetagen der Politik ist, bewies vor einigen Monaten die so genannte Gehälteraffäre. Im April 1990 verabschiedete der VW-Konzern die "Grundsätze über die Freistellung von Mitarbeitern zur Ausübung politischer Mandate".

Die brisante Richtlinie wurde damals auf dem kurzen Dienstweg ohne Vorstandsbeschluss auf den Weg gebracht - übrigens unter Mitwirkung von Betriebsratschef Walter Hiller, der später Sozialminister im niedersächsischen Kabinett wurde. Damals hieß es, ohnehin würde mit der Richtlinie nur eine schon lange geltende gängige Praxis festgeschrieben.

Und doch sorgten die Grundsätze 15 Jahre später für einen handfesten Skandal. Insgesamt sechs Landtags- und Bundestagsabgeordnete standen weiter auf der Gehaltsliste der Wolfsburger - erhielten weiter ihr volles Gehalt und Privilegien wie Dienstwagen, und das wohl zusätzlich zu den Diäten und ohne Gegenleistung.

343.519 Euro

Denn die Abgeordneten waren nicht mehr aktiv für den Konzern tätig. Daher geriet VW-Chef Pischetsrieder Anfang dieses Jahres unter Druck, veröffentlichte eine Liste der Geldempfänger und ruderte zurück. Die umstrittenen Grundsätze wurden aufgehoben.

Jetzt sind Gerichte mit der Affäre beschäftigt. Der niedersächsische Landtagspräsident, der CDU-Politiker Jürgen Gensäuer, will von den beiden SPD-Abgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen das Geld zurück.

Denn nach Paragraph 27 des niedersächsischen Abgeordnetengesetzes sind Nebeneinkünfte nur dann zulässig, wenn dafür tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wird. Verbotene Zuwendungen müssen an das Land abgeführt werden.

Es geht um viel Geld. Viereck soll 343.519 Euro an die Staatskasse zurück erstatten, Wendhausen 422.954 Euro. Beide sind Teil des Systems VW: Der 44-jährige Viereck ist seit 1978 in der SPD, seit 1985 Mitglied der IG Metall, seit 1991 kaufmännischer Angestellter bei VW.

"Unser bester Mann" ist am Ende

Und auch in Wolfsburg engagiert er sich: Er ist Vorsitzender des Beirats des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Der 58-jährige Wendhausen arbeitet seit 1977 als Angestellter bei VW. Der gelernte Werkzeugmacher ist 1983 SPD-Mann und Mitglied des Aufsichtsrates der Flughafengesellschaft Braunschweig.

Doch das System VW ist am Ende. Mit dem Rücktrittsangebot von Hartz (Piëch: "unser bester Mann") bricht ein wichtiger Stein aus dem Abhängigkeitssystem des Autokonzerns.

"Es geht um die Reputation von Volkswagen, der ich mich besonders verpflichtet fühle," begründete Hartz am Freitag seine Entscheidung. Und er wolle "Schaden vom Unternehmen abwenden".

Dafür dürfte es zu spät sein.

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