Schleichwerbung im Fernsehen:Die Tessin-Connection

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Erst die ARD, nun auch Sat.1: Pharma- und Finanzfirmen zahlen über die Schweiz für redaktionelle Beiträge im Frühstücksfernsehen und am Vorabend. Der Konzern erklärte, der Fall werde geprüft.

Klaus Ott

Man nehme: zwei große Zwiebeln, je eine Dose Möhren und Erbsen, einen Esslöffel Salz, Gemüsebrühe, Kräuter, Hähnchenfleisch, Apfelessig, Sauerrahm. Richtig zubereitet ergibt das wohlschmeckende Hähnchenbrüste - aufgetischt an diesem Mittwoch im Frühstücksfernsehen von Sat 1. Gut gelaunte Moderatoren servieren dort unter der Woche ein leicht bekömmliches Programm, mit verlockenden Speisen und praktischen Tipps fürs Leben. Für die Rezepte leistet sich Sat 1 sogar einen TV-Koch.

Manche Gerichte indes, die der Privatsender im Frühstücks-TV sowie im Vorabendmagazin Live aus Berlin vorsetzt, basieren auf seltsamen Zutaten: Ein freier TV-Produzent aus der Hauptstadt verschickt Drehbücher für Sat-1-Beiträge an interessierte Firmen; Pharma-, Versicherungs- oder Finanzkonzerne zahlen für solche als Journalismus getarnte Stücke; eine Schweizer Agentur mit österreichischer Inhaberin kassiert für die geleistete PR; eine Sat-1-Tochterfirma stellt hinterher Rechnungen über "Austauschleisten" und lässt sich so einen Großteil der heiklen Sondererlöse aus der Schweiz überweisen. Der Gesamtumsatz dürfte die Millionengrenze längst weit überschritten haben.

Was wird da zusammengerührt? Angeblich gut gemeinte Tipps erweisen sich als teuer bezahlte PR-Botschaften, die das Publikum dazu verleiten sollen, Medikamente zu schlucken, Versicherungen abzuschließen oder sich umstrittenen Finanz-Dienstleistern anzuvertrauen.

Es geht um Schleichwerbung, die verboten ist. Das Gesetz regelt klar, dass Werbung und redaktionell gestaltetes Programm strikt voneinander zu trennen sind. Und doch ist mit solchem Product Placement und Themen-Placement, wie das in der Branche genannt wird, erst kürzlich die ARD aufgefallen - in Serien wie Marienhof wurde jahrelang heimlich geworben.

Systematische Schleichwerbung

Nun zeigt sich, dass es auch der Kommerzkanal Sat 1 mit systematischer Schleichwerbung hält - im Informationsprogramm, dem journalistischen Teil. Gesponsorte redaktionelle Beiträge hat es auch im ein oder anderen Magazin bei ARD und ZDF gegeben - doch mit dem aktuellen Fall erreicht die Irreführung der Zuschauer eine neue Dimension. Schließlich suggeriert der Sender (Slogan: "Sat 1 zeigts allen") in den Journalen Lebenshilfe aus der eigenen Redaktion - ein trügerisches Bild. Was kann das Publikum überhaupt noch glauben?

Seit gut fünf Jahren kaufen sich Firmen regelmäßig in das Frühstücks- und Vorabendprogramm von Sat 1 ein. Mit dem Finanz-Institut AWD und der Auto-Firma Pit Stop aus der Ford-Gruppe fing es an, es folgten die WWK Versicherungsgruppe sowie die Arzneimittel-Hersteller Klosterfrau, Spitzner und Lichtwer. Etwa 20.000 Euro kostet es im Schnitt, eigene Experten oder wohlwollende Berichte mit Hilfe der Agentur Connect-TV aus dem schönen Tessin bei Sat 1 zu platzieren.

Connect nennt sich "Gesellschaft für Medien- und Kommunikationsmanagement"; Leiterin ist Michaela Wölfler, 34, die aus der Steiermark stammt und das PR-Handwerk in München lernte. Um die Jahrtausendwende machte sie sich selbstständig. Ihr zur Seite steht der Berliner TV-Produzent A., der sich - als Auftragnehmer von Connect - meist um die Dreharbeiten kümmert. Connect ist bei Sat 1 bestens im Geschäft. In der Regel machen beide halbe-halbe. In internen Listen, Briefen, Abrechnungen und Notizen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, sind 130 Beiträge und Interviews von Mitte 2000 bis Mitte 2005 dokumentiert; die Dunkelziffer dürfte größer und die Millionengrenze bei den Erlösen längst weit überschritten sein.

Ein Ende des grenzüberschreitenden Handels ist bislang nicht absehbar. Die jüngsten Pläne, was noch alles gedreht und bei Sat 1 gesendet werden soll, stammen vom September 2005. Fünf Vorhaben sind bei Connect-TV notiert, darunter die "WWK-Beiträge" Nummer fünf und sechs in diesem Jahr. "Briefing" und Produktion seien für Ende September/Anfang Oktober vorgesehen. So sei das mit Ursula Schwarz von der WWK besprochen, erfuhr Connect-Chefin Wölfler kürzlich vom TV-Produzenten A. aus Berlin. Schwarz leitet die Öffentlichkeitsarbeit der WWK, bei ihr gehen auch die Rechnungen der Connect-TV ein.

Man rede über einen weiteren Beitrag, entschieden sei noch nichts, sagt die Pressechefin der Versicherungsgruppe auf Anfrage der SZ. Seit Frühjahr 2003 zahlt die WWK für Sat 1-Berichte, in denen die Zuschauer erfahren, worauf es ankommt: auf eine "Risiko-Lebensversicherung" beispielsweise, damit die eigene Familie ruhig schlafen könne, so Schwarz. "Steter Tropfen höhlt den Stein", sagt die WWK-Frau über diese Form der Bewusstseinsbildung.

In einer internen Übersicht aus diesem Jahr listet Connect-TV 17 Beiträge auf, die man seit Ende 2001 gemeinsam mit Klosterfrau gestaltet habe. Ein Auszug: Nasenspray (Nasic), Schlaflosigkeit (Klosterfrau Melissengeist), Sodbrennen (Maaloxan), Rheuma (Klosterfrau Vitamin E), Schwermut (Taxofit Folsäure), Grippale Infekte (Contramutan). 23 000 Euro kostete das erste PR-Stück, gesendet am 11. und 13. Dezember 2001; das weist Rechnung 0158 von Connect-TV an die Klosterfrau Vertriebs GmbH aus.

"Redaktionelle Integration"

Offiziell zahlt die Pharmafirma nach eigenen Angaben für den Erwerb der Nutzungsrechte an diesem Beitrag, zum Beispiel für die spätere Vorführung bei Messen oder die "Motivation des Außendienstes". Das Versteckspiel hat offenbar Methode. "Kosten für Rechteerwerb", steht auf Connect-Rechnungen an die Auftraggeber. Doch die Zeilen direkt über diesen drei Worten sagen alles: "Rechnung: über Leistung TV-Projekt Sat 1, Thema: Erkältung/Nasik", steht da. Oder "Rentenmarkt". Oder was auch immer

Alle paar Monate meldet Connect-TV die aktuellen Umsätze nach Deutschland, an den Sat-1-Mutterkonzern Pro Sieben Sat 1 Media AG, Abteilung Finanz- und Rechnungswesen. Man bittet um eine Rechnung, um den Sat 1 zustehenden Anteil in Höhe von 50 Prozent überweisen zu können. Welcher Auftraggeber für welche Beiträge was gezahlt hat, ist konkret aufgelistet: Der Rentenmarkt/AWD, Johanniskraut/Lichtwer, Herzinfarktrisiko/Spitzner. Kurze Zeit später schickt die Sat 1 Berlin Regional GmbH & Co. KG eine offizielle Rechnung - für "Austauschleisten". Das hört sich eher nach einem harmlosen Heimwerkermarkt an. Der eigentliche Geschäftszweck taucht in den Sat-1-Büchern nicht auf.

Manchmal war sich die Marketingabteilung des Privatsenders ihrer Sache aber offenbar so sicher, dass sie den Gesetzesverstoß intern sogar selbst dokumentierte. Als Pit Stop Anfang 2002 nach einer größeren Autotest-Reihe im Frühstücksfernsehen um einen nachträglichen Preisnachlass bat, lehnte Sat 1 das Ansinnen mit einer bemerkenswerten Begründung ab: Da es sich um eine "Sonderwerbeform mit redaktioneller Integration" gehandelte habe, könnten die bei Werbespots sonst üblichen Rabatte nicht gewährt werden. Schließlich sei Pit Stop "in redaktionelle Beiträge im Programm" eingebunden worden.

Eine Anfrage der SZ zur Schweizer Schleichwerbung an die Sat-1-Zentrale in Berlin gelangte von dort schnell zur Mutterfirma Pro Sieben Sat 1 Media AG in München. Der Konzernvorstand will selbst wissen, was da lief. "Wir prüfen den Fall, wir nehmen das Thema sehr ernst", sagt die Konzernsprecherin. Dem Vorstand könnte der Appetit auf das Frühstücksfernsehen vergehen.

© SZ vom 29.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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