Schienenverkehr:100 Millionen Euro für eine Minute

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Bund und Bahn haben kürzere Reisezeiten wie zwischen München und Nürnberg teuer erkauft. Der Nutzen ist begrenzt - für weitere ICE-Strecken fehlt jetzt das Geld.

Von Klaus Ott und Uwe Ritzer

Es gibt nette Geschichten über die Eisenbahn-Großbaustelle zwischen Nürnberg und München, deren weitgehende Vollendung Bahnchef Hartmut Mehdorn, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber an diesem Samstag zelebrieren wollen.

Die kürzere Reisezeit auf der ICE-Strecke Nürnberg-München ist teuer erkauft. (Foto: Foto: ddp)

Zum Beispiel die wahre Episode mit dem vergessenen Toiletten-Häuschen, das gerade noch aus einem Tunnel geräumt werden konnte, ehe der erste Testzug mit annähernd 330 Stundenkilometern heranraste. Oder die Anekdote mit dem angeblich versunkenen Bagger.

Der soll beim Tunnelbau in einem Höhenzug am Altmühltal plötzlich und unerwartet in den karstigen Untergrund eingebrochen sein. Der Baggerführer sei mit dem Schrecken davongekommen, das schwere Gefährt habe aber nicht mehr herausgezogen werden können. Es soll im Berg vergraben sein, unter unzähligen Tonnen Beton.

Doch nun ist die Strecke frei; der ICE kann starten, rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft. Und ab Dezember 2006, dann kommt der neue Fahrplan, sollen drei Schnellzüge pro Stunde in jede Richtung sausen, nach Norden und nach Süden.

Teuer erkauft

Berlin, Frankfurt am Main, das Ruhrgebiet und Hamburg rücken näher an München heran, beziehungsweise umgekehrt. Der Fahrgast spart eine halbe Stunde und mehr.

Jede einzelne Minute ist freilich teuer erkauft, mit jeweils 100 Millionen Euro, wie die Gewerkschaft Deutscher Lokführer am Freitag kritisierte. Knapp zwei Milliarden Euro sollte das Vorhaben kosten, 3,6 Milliarden Euro sind es am Ende geworden. Und der Nutzen ist noch begrenzt.

In Nürnberg wird der ICE auf dem Weg nach Berlin gleich wieder abgebremst, für die dort begonnene Hochgeschwindigkeitsstrecke durch den Thüringer Wald ist bislang kaum Geld da. Für den Ausbau der Linien von München in die Schweiz und nach Österreich fehlen ebenfalls die Mittel.

Nicht einmal die 150 Millionen Euro für die Elektrifizierung der Trasse München - Lindau sind da. Der Plan der Deutschen Bahn für ein geschlossenes ICE-Netz bleibt unvollendet.

Schienenpolitik der 90er rächt sich

Jetzt rächt sich die Schienenpolitik der neunziger Jahre, als die damalige Bundesregierung von Helmut Kohl und Ex-Bahnchef Heinz Dürr Gefallen an drei Großprojekten fanden: dem Bau eines gigantischen Hauptbahnhofs in Berlin mit einem Tunnel quer durch die Stadt, einer neuen ICE-Strecke von Frankfurt am Main über den Flughafen nach Köln und der neuen Trasse in Bayern.

Mit acht Milliarden Euro war das alles beziffert, Ausgaben in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro sind es geworden.

Wirtschaftsprüfer, die der heutige Bahnchef Mehdorn nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 eingeschaltet hatte, lieferten bestürzende Berichte ab. Vor allem Missmanagement, Schlampereien und Fehleinschätzungen hatten zu den Kostenexplosionen geführt.

Geschönte Zahlen

Ein Prüfreport legte sogar den Verdacht nahe, dass die Zahlen gezielt geschönt worden waren, um Einwände des Bundesrechnungshofes und anderer Kritiker beiseite zu wischen. Für das finanzielle Desaster zahlte - und zahlt - die Bahn einen hohen Preis.

Teile des insgesamt rund 35 000 Kilometer langen Schienennetzes verfielen, bevor die rot-grüne Regierung Mehdorn an die Spitze des Staatsunternehmens berief und die Sanierung der Bahn begann. Viele Gleise, Brücken, Tunnel, Bahnhöfe und Züge waren veraltet. Die Lokführer-Gewerkschaft klagt, es gebe noch heute zu viele Langsam-Fahrstellen, "La" genannt.

Das sind jene Abschnitte, in denen die Züge nur im Bummeltempo vorankommen, weil über Jahrzehnte vernachlässigte Trassen nicht mehr zulassen oder weil gerade gebaut wird.

Von der Ostsee bis ans Mittelmeer

Das Hochgeschwindigkeitsnetz wird wohl noch lange Zeit große Lücken aufweisen. Die Ausbaupläne sind längst fertig, etwa für München - Stuttgart, Mannheim - Frankfurt, Frankfurt - Fulda (zur ICE-Strecke nach Hamburg und Berlin), oder Nürnberg - Erfurt als Mittelstück einer Trasse quer durch Deutschland (Berlin - München) und durch Europa, von der Ostsee bis ans Mittelmeer.

Gäben Bund und Bahn für die Linie durch den Thüringer Wald weiterhin das aus, was derzeit pro Jahr verfügbar ist, dann wäre man wohl erst in dreißig Jahren fertig. Das soll korrigiert werden. Bundesverkehrsminister Tiefensee hat erkennen lassen, dass er zusätzliche Mittel bereitstellen will. Das ginge zu Lasten anderer Projekte, sofern der Bund seinen Schienen-Etat nicht aufstockt.

3,5 Milliarden Euro im Jahr sind einstweilen verfügbar, der größte Teil wird benötigt, um das bestehende Netz zu sichern. Für Aus- und Neubau ist gerade mal eine Milliarde Euro übrig. Doch allein die Trasse durch den Thüringer Wald kostet ein Vielfaches.

Hier sind zahlreiche Tunnel notwendig, wie zuvor schon auf den Strecken Frankfurt - Köln und München - Nürnberg. Wenigstens will die Bahn aus den Erfahrungen dort lernen. So blauäugig werde man nicht mehr bauen, sagt Mehdorn.

Um zusätzliches Kapital zu akquirieren, will der Vorstandschef die Bahn rasch an die Börse bringen, inklusive des Netzes. Doch ob private Aktionäre in die Strecken investieren, ist zweifelhaft. Ohne die Hilfe des Staates lässt sich das Netz kaum erhalten und erweitern, auch bei einer börsennotierten AG.

Ein langfristiges Abkommen zwischen Bund und Bahn soll Mittel garantieren; Mehdorn und Tiefensee verhandeln hart um die Milliarden. Doch erst einmal wird gefeiert. Als nächstes wird Ende Mai und damit auch rechtzeitig zur WM der neue Bahnknoten in der Hauptstadt fertig.

© SZ vom 13.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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