Schalterspezialist Marquardt:Dann macht es klick

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Kaum einer kennt Marquardt, aber viele drücken täglich einen Schalter des Zulieferers. Jetzt präsentieren die schwäbischen Tüftler eine neue Autodiebstahlsicherung - doch ob die Hersteller sie auch einsetzen, ist fraglich.

Von Stefan Mayr, Rietheim-Weilheim

Harald Marquardt ist einer dieser typischen Hidden Champions aus Schwaben. Den Namen seiner Firma kennen zwar nur wenige, aber nahezu jeder hatte schon mal eines ihrer Produkte in der Hand. Die Marquardt GmbH stellt Autoschlüssel für Daimler, Audi und Porsche her; oder Schalter für die Bohrmaschinen von Bosch wie auch von Black & Decker; und die Steuerelektronik für Nespresso-Kaffeemaschinen. Zur DNA eines versteckten Marktführers gehört auch seine Bescheidenheit. Auf die Frage nach dem Gewinn der Firma sagt Chef Marquardt laut lachend: "Sie wissen ja, wir Zulieferer sind alle mehr oder weniger notleidend."

Das ist ein starkes Understatement angesichts eines Jahresumsatzes von 1,1 Milliarden Euro und eines 30-Millionen-Projekts für ein neues Entwicklungszentrum im Zentrum von Rietheim-Weilheim. Das Örtchen liegt gut versteckt auf der Schwäbischen Alb, hat aber keinerlei strukturelle Probleme: Dank Marquardt gibt es mehr Arbeitsplätze (2800) als Einwohner (2700). Allein Marquardt beschäftigt hier 2300 Menschen. Weltweit sind es 9300 in 14 Ländern.

"Die E-Mobilität bringt uns zusätzliche Chancen."

Angst vor der Elektrisierung der Autos hat Harald Marquardt nicht - im Gegenteil: "Die E-Mobilität bringt uns zusätzliche Chancen." Er stellt neue Batterie-Steuerungen vor und steigt zudem ins Geschäft mit E-Bike-Antriebssystemen ein. "Und vor allem in China geben wir jetzt richtig Gas", sagt er. Plötzlich klingt der 56-Jährige nicht mehr bescheiden, sondern selbstbewusst: "In China wollen wir Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppeln." Derzeit macht er dort mit 800 Mitarbeitern 50 Millionen Euro Umsatz.

Harald Marquardt führt das Familien-Unternehmen seit 2008 in dritter Generation. Sein Großvater Johannes gründete es anno 1925 zusammen mit einem Kompagnon, der ebenfalls Johannes Marquardt hieß. Die beiden waren "nur weitläufig" miteinander verwandt, wie das Unternehmen mitteilt. Aber sie ergänzten einander prächtig: Der eine war talentierter Feinmechaniker und Tüftler, der andere Wirtssohn und begnadeter Kaufmann. Eines Tages kam ein Bekannter in die Werkstatt mit einem Staubsauger aus den USA. Der Nachbar war zwar mit der Saugkraft des Geräts zufrieden, aber nicht mit dem störanfälligen Ein-Aus-Schalter. "Kannsch du des net besser?", fragte er. Marquardt konnte. Wenig später bestellte der Kunde 100 Schalter, um aufgerüstete Sauger weiterzuverkaufen. Der erste Großauftrag.

Die Firma überlebte Wirtschaftskrise und Weltkrieg mehr schlecht als recht, wurde in der Wirtschaftswunderzeit groß. 1993 entwickelte Marquardt dann mit Daimler das elektrische Zündschloss. "Das war der Ritterschlag", sagt Harald Marquardt. Heute stellt er sechs Millionen Autoschlüssel pro Jahr her - die meisten für Premium-Autohersteller. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen im Werk. Sie passen nicht zu dem gemütlichen "Mahlzeit", mit dem jeder Mitarbeiter den Chef grüßt. Die Produktion bei Marquardt wird von seinen Auftraggebern ständig überprüft, um etwa auszuschließen, dass ein "Zwillings-Schlüssel" die Produktionshalle verlässt, mit dem man später ein Auto stehlen könnte.

Harald Marquardt selbst ist kein Tüftler, sondern promovierter Betriebswirt. "Ich versuche immer noch, die Technik zu verstehen", sagt er. Tatsächlich hat sich sein Unternehmen auf das komplizierte Zusammenspiel von Feinmechanik, Elektronik und Software spezialisiert. "Für die primitiven Schalter brauchen Sie uns nicht", sagt er. Aber "im High-End-Bereich", da habe Marquardt "einen vorzeigenswerten Marktanteil". Die Hochpräzisionsarbeit steht in der Tradition der Schwarzwälder Uhrenmacher-Industrie. Auf sie setzt auch der US-amerikanische Autobauer Tesla: Für ihn stellt Marquardt Warnblinkschalter und elektrische Handschuhfach-Öffner her.

Die neueste Innovation aus Rietheim-Weilheim ist eine Diebstahlsicherung für das sogenannte Keyless-Go-Schließsystem, das in vielen Premium-Fahrzeugen eingebaut ist. Mit Keyless Go kann man Autos noch komfortabler öffnen als mit dem Funkschlüssel. Denn der Besitzer muss keine Taste mehr drücken. Er wird bereits erkannt, wenn er sich mit dem Schlüssel in der Tasche dem Fahrzeug nähert. Allerdings können diese Fahrzeuge auch viel einfacher gestohlen werden, wie der ADAC in einer aktuellen Studie berichtet. Alle von ihm getesteten Keyless-Go-Wagen können mit einer selbstgebauten Funk-Verlängerung "sekundenschnell geöffnet und weggefahren werden", berichtet der ADAC. Und das ohne sichtbare Spuren.

Marquardt bietet hiergegen nun eine Lösung an: Midas heißt das hochkomplizierte System. "Bei Midas müsste der Dieb schneller sein als das Licht, was aber physikalisch unmöglich ist", sagt Marquardt. Sensoren an verschiedenen Stellen des Fahrzeugs prüfen die Funkwellen des Schlüssels. Dabei wird erstmals gemessen, wie lange das Funksignal in der Luft unterwegs ist. So erkennt das System jeden Angriff per Funk-Verlängerung - und blockiert das Zugangssystem.

Nun ist die Diebstahlsicherung in der Branche seit Jahren ein heißes Thema. So mancher Hersteller hat da viel Luft nach oben. Denn jeder geklaute Wagen bedeutet letztlich ja einen neu gekauften Wagen. Der Käufer respektive dessen Versicherung hat den Schaden, der Hersteller hat den zusätzlichen Umsatz.

Harald Marquardt sagt zu dem Thema wenig. Nur eines: Wenn ein Funkschloss geknackt wird, könne das Auto zwar weggefahren werden. "Aber sobald der Motor ausgeht, kann er nicht nochmals gestartet werden." Dies habe zur Folge, dass die meisten gestohlenen Autos nicht weiterverkauft werden, sondern ausgeschlachtet. Es sei denn, der Dieb treibt irgendwoher einen Schlüssel-Dummy auf. Zum Beispiel, wenn ein Händler - in welchem Land auch immer - mit dem Dieb unter einer Decke steckt.

Man darf gespannt sein, welcher Autohersteller das Midas-System von Marquardt in seine Fahrzeuge einbauen wird. Eine andere spannende Frage ist: Warum sind die Autoschlüssel nicht längst von einer Smartphone-App abgelöst worden? "Technisch wäre das schon seit Langem möglich", sagt Marquardt. "Aber keiner macht's." Warum? Er schmunzelt, nimmt die vor ihm liegenden Prototypen mit dem Stern, den vier Ringen und der Stuttgarter Stute in die Hand: "Weil niemand auf das Statussymbol verzichten will", sagt Marquardt. "Der Porsche-Fahrer will auch in Zukunft seinen Porsche-Schlüssel auf den Tisch legen können."

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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