40 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs warten viele der Opfer noch immer auf eine Entschädigung. Die negativen Folgen des massiven Einsatzes des Entlaubungsmittels Agent Orange sind bis heute in dem südostasiatischen Land spürbar. "Das ist ein aktuelles Problem, keines der Vergangenheit", betont Charles Bailey vom amerikanischen Aspen Institute, das die Kriegsfolgen analysiert. "4,5 Millionen Vietnamesen waren dem Gift ausgesetzt, es wirkt noch jahrzehntelang", sagte er am Montag bei einer Fachtagung zum Thema Agent Orange in der Evangelischen Akademie im bayerischen Tutzing.
Agent Orange ist zum Synonym für einen erbarmungslosen Krieg geworden, der sich nicht nur gegen die Bevölkerung sondern auch bewusst gegen die Umwelt richtete. "Amerika hat hier Krieg gegen die Natur geführt", meint Bailey. Entlaubungsmittel wurden bis dahin nur in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt. Doch die US-Regierung unter John F. Kennedy gab Anfang der Sechziger Jahre ein Mittel in Auftrag, das als höchst wirksame Kriegswaffe dienen sollte. Ziel war es, undurchdringlichen Dschungel zu entlauben und die Ernte auf den Feldern zu vernichten. Das Ergebnis war Agent Orange.
Das Problem war im Weißen Haus durchaus bekannt: ein ungewolltes Nebenprodukt bei der Herstellung von Agent Orange ist Dioxin, eine der giftigsten Chemikalien, stark krebserregend und Auslöser vieler Krankheiten und Missbildungen bei Neugeborenen. Wie toxisch das Mittel war, wussten auch die amerikanischen Soldaten nicht, die mit Agent Orange während des Vietnamkriegs in Berührung kamen. Hunderttausende Vietnamesen und Tausende von ehemaliger US-Soldaten leiden bis heute unter den Folgen. Das Perfide dabei ist, dass es technisch durchaus möglich gewesen wäre, Dioxin aus Agent Orange zu entfernen. Doch daran schien die US-Regierung nicht interessiert zu sein.
Als der Krieg 1975 beendet war, hatten die Amerikaner nach Angaben des Aspen Instituts gut 21 000 Quadratkilometer mit Hilfe von Agent Orange in verödete Landstriche verwandelt und mit Dioxin verseucht. Die US-Luftwaffe versprühte 80 Millionen Liter dioxinhaltige Herbizide. Die darin enthaltene Menge Dioxin wird auf 600 Kilogramm beziffert, bereits ein Milliardstel Gramm gilt als krebserregend.
Dennoch: Für die meisten Opfer ist es bis heute so gut wie unmöglich, Agent Orange als Krankheitsauslöser nachzuweisen. "Das geht nur, wenn sich das in jedem einzelnen Fall explizit beweisen lässt, das ist jedoch fast unmöglich", erklärte Kenneth Feinberg, in den USA einer der bekanntesten Anwälte für Schadensersatzfälle. Eindeutige wissenschaftliche Beweise seien schwer oder gar nicht zu bekommen. Feinberg stritt erfolgreich für amerikanische Veteranen im Agent-Orange-Fall und verwaltet unter anderem den Fonds für die Opfer der Anschläge vom 11. September und der Deepwater-Horizon-Katastrophe.
Die Chancen, dass die US-Regierung je bereit sein wird, Schadenersatz an Vietnam zu zahlen, schätzt Feinberg als sehr gering ein. "Das ist eine politische und keine juristische Frage, ich kann mir das aber kaum vorstellen. Die amerikanische Regierung will ja noch nicht einmal ihren eigenen Soldaten eine Entschädigung zahlen."
Die Hersteller zahlten den Opfern Schadenersatz - doch Vietnam ging bisher leer aus
In jüngster Zeit rang sich die USA zumindest zu einer anderen Form von Wiedergutmachung durch. Sie stellte nach Angaben des Aspen Instituts Hilfsmittel in Höhe von 136 Millionen Dollar bereit. Davon sind 105,5 Millionen Dollar für die Sanierung verseuchter Böden vorgesehen. Weitere 30,5 Millionen sollen in Gesundheitsprojekt fließen, 31 Millionen Dollar kämen von privaten Stiftern aus den USA.
Die juristische Aufarbeitung des Vietnamkriegs und die Frage der Entschädigung ist längst nicht abgeschlossen und höchst kompliziert. Weil die Regierung der USA grundsätzlich nicht verklagt werden kann, wenn es um Entscheidungen im Kriegsfall geht - also auch um den Einsatz von Agent Orange - müssen sich die Opfer an die Hersteller halten. Dass allein die zur Verantwortung gezogen werden, stößt bei Juristen jedoch auf Kritik. "Obwohl eigentlich klar ist, dass aus juristischer Sicht die amerikanische Regierung die Verantwortung für den Einsatz von Agent Orange trägt und nicht die Hersteller", meinte der Jurist Harald Koch von der Berliner Humboldt Universität. Vor Gericht gelte aber nach wie vor oft die Doktrin, dass der König nichts falsch machen könne.
Während die US-Regierung bis heute keinen Schadenersatz gezahlt hat, haben die Hersteller inzwischen etwa 215 Millionen Dollar an die Opfer und ihre Verbände überwiesen. Das meiste davon kam von den größten Herstellern, den US-Konzernen Dow Chemical und Monsanto, der Rest von einer Reihe kleinerer Chemiefirmen. Das Geld bekamen Kriegsveteranen aus den USA, Australien und Neuseeland. Vietnamesische Kläger gingen dagegen leer aus. US-Gerichte wiesen deren Verfahrens-Anträge zurück.