Saab in großer Not:Ein unmöglicher Auftrag

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In der schwedischen Saab-Stadt Trollhättan will man den Kampf um die Autofabrik noch nicht aufgeben. Doch viele wissen, dass sie auf ein Wunder hoffen.

Gunnar Herrmann

Im Saab-Museum schieben sie Sonderschichten. Obwohl es früh ist und ein normaler Arbeitstag, kommen ständig Besucher durch die Glastür. Viele tragen Blaumann mit dem Schriftzug "Saab" und sie gehen zielstrebig auf den Rennwagen zu, der nahe am Eingang steht. Ein umgebauter 9-3, tiefergelegt, mit Spoiler. Der Wagen wird nur ein paar Tage gezeigt. Er gehört einem rallyebegeisterten Autohändler und soll nun bei der schwedischen Touring Car Meisterschaft mitfahren. In Trollhättan ist das Interesse an dem roten Flitzer so groß, dass sie im Museum die Öffnungszeiten verlängert haben.

Mit dem Ur-Saab hat vor mehr als 60 Jahren alles begonnen: Der Prototyp, den die Ingenieure des damaligen Flugzeugkonzerns 1947 entwarfen, steht heute im Saab-Museum in Trollhättan. "Flügel auf Rädern" wurde das Auto genannt. 1949 begann die Serienproduktion. (Foto: Foto: dpa)

"Schauen Sie die Bremsen an. Ein Kunstwerk!", sagt einer der Blaumänner und streicht lächelnd über blankes Metall. Für einen Moment sieht er zufrieden aus. Die Frage zur Saab-Krise dagegen mag er gar nicht, auch seine Kollegen winken ab. Schnell gehen sie rüber zu dem weißen Schrein im Zentrum des Museums, wo der Ur-Saab steht. Das ist der Prototyp, den die Flugzeug-Ingenieure der Svenska Aerospace AB im Jahr 1947 bauten. So fing es an.

Wie ein schwarzer Tropfen

Der Ur-Saab sieht aus wie ein schwarzer Tropfen, seine windschnittigen Formen wirken noch immer elegant. Der Prototyp sei "Flügel auf Rädern" genannt worden und der "genetische Code des Ur-Saabs" stecke bis heute in allen Modellen, säuselt die Stimme Autoverkäufer-Lyrik durch den Lautsprecher des Audio-Guides. "Darum sehen unsere Autos nicht aus wie andere Autos." Worte, die für die Arbeiter aus der Fabrik sicher eine Seelenmassage sind, auch wenn sie darüber nicht reden wollen. In den Medien hören sie zur Zeit ständig, dass ihre Autos eben doch aussehen wie alle anderen, dass sie technisch veraltet und unverkäuflich sind. Auch für die Fabrik sucht der Eigentümer General Motors (GM) seit Monaten vergeblich einen Käufer.

Die Amerikaner werden im Saab-Museum nicht erwähnt, obwohl GM seit den frühen 90er Jahren in Trollhättan das Sagen hat. Bis zum Jahresende wollen sie sich von der Tochterfirma trennen. Saab musste beim Gericht Gläubigerschutz beantragen und hat damit eine Gnadenfrist erwirkt: Das Unternehmen muss binnen weniger Monate profitabel werden oder einen neuen Eigentümer finden. Sonst droht der Konkurs. Kaum ein Experte glaubt, dass die Traditionsfirma es schafft. Aber in Trollhättan will das niemand hören.

Die Stadt liegt am Ufer des Göta Älv und ehe die Menschen den Fluss zähmten, stürzte er sich dort einen 30 Meter tiefen Wasserfall hinab. Einer alten Sage nach wurde einmal ein Schneider, den man zum Tode verurteilt hatte, bei Trollhättan auf einer Klippe über den brausenden Fluten ausgesetzt. Wenn es ihm gelänge, über dem Abgrund ein Kleid zu schneidern, dann sollte er frei sein. Aber der Schneider blickte in die Tiefe, verlor das Gleichgewicht und ertrank. Es scheint, als hätten die Einwohner von Trollhättan aus der Sage gelernt. Es gilt: Bloß nicht nach unten sehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Menschen sauer sind.

Saab-Chef Jan-Åke Jonsson etwa versprüht seit Tagen angestrengt Optimismus. Er blickt nach vorn, verspricht die Wende mit neuen Modellen. Was man jetzt brauche, sei bloß etwas Geld von der Europäischen Investitionsbank zur Überbrückung - etwa eine halbe Milliarde Euro. Für den Kredit müsste die Regierung bürgen. Doch die Politiker haben bisher abgewunken. Jonssons Plan sei "zu optimistisch", teilte die Wirtschaftsministerin mit. Auch sei nicht klar, für wen man überhaupt bürgen solle, denn GM wolle Trollhättan ja verlassen. Konkurrent Volvo dagegen, der zum Ford-Konzern gehört, bekam einen Kredit.

"Die Leute hier sind sauer, die verstehen das nicht mehr", sagt Paul Åkerlund, der Saab-Betriebsratsvorsitzende. Er arbeitet seit 31 Jahren in der Fabrik. Hoffnungslos sei die Lage nicht, meint er. Die Loslösung von den Amerikanern könnte eine Chance sein. Man werde ihnen nicht nachtrauern. GM hat in den vergangenen Jahren viele Mitarbeiter in Trollhättan gefeuert und wollte die Produktion des neuen Flagschiffs "9-5" nach Deutschland zu Opel verlegen. "Wir haben verdammt harte Jahre hinter uns", sagt Åkerlund. Die Manager und Ingenieure von GM - und von Opel - hätten die Wünsche der Schweden oft nicht verstanden. "Da gibt es große Unterschiede, zum Beispiel beim Sicherheitsdenken", sagt Åkerlund. "Wenn ein Saab ein Saab sein soll, stellen sich gewisse Anforderungen." Jetzt, so hoffen viele in Trollhättan, könnte ein Saab bald wieder ein Saab sein. Man könnte sich auf den "genetischen Code" zurückbesinnen. Åkerlunds Handy klingelt, es spielt die Titelmelodie des Films "Mission Impossible".

Alles, nur keinen Zusammenschluss

Ein Zusammengehen mit der Konzernschwester Opel lehnen die Menschen in Trollhättan ab. Auch darum, weil das schwedische Werk in einem Saab-Opel-Unternehmen wohl schnell zugunsten von Standorten wie Rüsselsheim oder Bochum geopfert würde. Mitarbeiter können in Schweden viel leichter entlassen werden als in Deutschland. Die Abfindungen, wenn es welche gibt, sind geringer. Die Kündigungsfrist beträgt selten mehr als ein halbes Jahr.

Die Leute sind mit diesem System aber zufrieden. Sogar Åkerlund sagt: "Es muss für ein Unternehmen doch möglich sein, Leute zu entlassen." Wichtig sei ein staatliches Netz, dass die Arbeitslosen auffange. Allerdings ist das Netz löchriger geworden. "Die Regierung hat das Arbeitslosengeld gekürzt und das Netz geschwächt. Das werfe ich denen vor."

Paul Åkerlund ist Sozialdemokrat. Seine Partei ist in der Arbeiterstadt Trollhättan die mit Abstand stärkste. Im Stockholmer Reichstag jedoch ist sie in der Opposition. Trotzdem ist seine Kritik an der Regierung relativ gemäßigt. Es geht vor allem um Details, kaum um Grundsätzliches. Eine direkte Beteiligung des Staates an Saab fordert auch Åkerlund nicht - er findet nur, man könnte großzügiger mit den Kreditgarantien sein. Ähnlich argumentiert auch Bürgermeister Gert-Inge Andersson. Saab sei der Nabel für die Region, ein wichtiges Unternehmen für die gesamte schwedische Fahrzeugindustrie. Das solle die Regierung nicht vergessen, sagt Andersson. Und Saab verstaatlichen? "Nein", sagt der Bürgermeister, "da gibt es für mich eine Grenze." Und wenn Saab dann die Werkstore schließen muss? "Wir rechnen damit, dass alles gut geht." Auch im Rathaus vermeidet man den Blick nach unten.

Aber nicht alle in der Region können sich das erlauben. Entlang des Göta Älv hat die große Kündigungswelle längst eingesetzt und sie wird anschwellen, egal ob Saab es schafft oder nicht. Der Göta Älv fließt vom Vättern-See nach Süden. Er ist Energiequelle und Verkehrsweg, die Schlagader der Region Westschwedens, wo das industrielle Herz des Landes schlägt. Entlang des Flusses reiht sich ein Gewerbegebiet ans nächste, es gibt Fahrzeugtechnik-Zulieferer, Maschinenbaubetriebe, Papier-, Zellstoff- und Textilindustrie. Am Ende wächst der Göta Älv zu einem mächtigen Strom, der sich mitten durch Göteborg wälzt und in die Nordsee mündet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Massiver Jobabbau - wie viele Arbeitsplätze schon verschwunden sind.

Am Nordufer des von Eisschollen bedeckten Stroms, auf dem Gelände einer stillgelegten Werft, sitzt Sven-Åke Berglie. Er ist Chef des Verbandes der schwedischen Automobilzulieferer (FKG). Die Branche ist mit etwa 85.000 Beschäftigten für schwedische Verhältnisse riesig und drei von vier FKG-Mitgliedern haben ihren Sitz in Westschweden. "Es gibt eine große Angst, dass Arbeitsplätze nun ins Ausland verschwinden", sagt Berglie. Allein in den letzten Monaten haben 11.600 Mitarbeiter von Zulieferfirmen ihr Entlassungsschreiben bekommen.

Bei den Auto- und Lkw-Herstellern selbst müssen noch mehr Leute gehen. Eine Pleite von Saab wäre ein weiterer schwerer Schlag. Berglie redet viel von Deutschland und er klingt ein bisschen neidisch, wenn er die Abwrackprämie lobt und die Kurzarbeit - diese Form der Arbeitsplatzsicherung wurde in Schweden 1995 von der Regierung eingespart. Der Lobbyist meint, die in Stockholm sollten mal hinsehen, was anderswo für die Industrie getan werde. "In so einer Krise ist es doch so, dass auch die EU-Mitgliedsländer in Konkurrenz zueinander stehen." Er seufzt. "In Schweden scheint man das Gefühl zu haben: Wir schaffen das auch so."

Das trifft nicht ganz zu. Auch in Schweden war die Regierung nicht ganz untätig. Die Hilfen des Staates richten sich aber in erster Linie an die Menschen, nicht so sehr an die Firmen. Auf der Südseite des Göta Älv residiert in einer palastartigen Behörde Lars Bäckström, Westschwedens Gouverneur, der höchste Beamte der Region. Im Oktober ernannte ihn das Wirtschaftsministerium zum Krisenmanager. Er soll den staatlichen Schutzschirm aufspannen über jenen, die ihren Job verlieren.

Große Probleme, noch größere Chancen

Der 55-Jährige geht seine Aufgabe zuversichtlich an, immer wieder betont er: "Die Probleme unserer Region sind groß, aber die Chancen sind größer." Um die Folge der Krise zu mildern, hat er schon einiges in die Wege geleitet: Die Arbeitsvermittlung hat Personal eingestellt. Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen bekommen Geld, weil viele die Arbeitslosigkeit zur Fortbildung nutzen werden. Es wird verstärkt in Forschung investiert.

Bevor Bäckström Beamter wurde, saß er viele Jahre für die Linkspartei im Parlament, war unter anderem Vorsitzender und wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er bezeichnet sich auch heute noch als "Linkssozialist". Aber, erläutert er, die schwedische Linke unterscheide sich stark von jener in anderen Ländern, sie sei eben typisch schwedisch. Um zu verdeutlichen was er meint, erzählt er eine Anekdote: Vor mehr als zehn Jahren habe er einmal den damaligen Saab-Chef getroffen, einen US-Manager. "Ich verstehe nicht, warum die Leute immer sagen, Schweden sei unternehmerfeindlich", habe der Amerikaner ihm gesagt. "Ich habe in einem Jahr die Hälfte meiner Belegschaft entlassen - und die Gewerkschaften haben mir dabei geholfen. Ein besseres Land kann sich ein Unternehmer kaum wünschen." Und was hat er, der "Linkssozialist" Bäckström, darauf erwidert? "Ich war völlig seiner Meinung", sagt er. "Das System hat Schweden stets gut gedient."

© SZ vom 28.02.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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