Robert Shiller im Interview:"Kapitalismus ist nicht für die Reichen da"

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Yale-Ökonom Robert Shiller spricht über die Lehren aus der Wirtschaftskrise - und den Untergang der Titanic.

Nikolaus Piper

Robert Shiller, Professor an der Universität Yale, warnte schon früh vor der Spekulationsblase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt, aus der sich die große Finanzkrise entwickelte. Im SZ-Interview erläutert er, was die Krise mit dem Untergang der "Titanic" gemein hat.

SZ: Herr Professor Shiller, vor fast einem Jahr ist die Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen. Was ist die wichtigste Lehre aus der globalen Finanzkrise?

Robert Shiller: Die Krise gehört zu jenen historischen Ereignissen, die uns die Chance geben, nach vorne zu schreiten und unsere Institutionen zu reparieren und zu verbessern. Kapitalismus ist keine einfache Sache, er muss organisiert werden und braucht Regeln. Unsere Finanzinstitutionen sind unvollkommen.

SZ: Das ist vornehm formuliert. Sind die Institutionen nicht einfach gescheitert?

Shiller: Viele Politiker äußern sich so, die deutsche Regierungschefin Angela Merkel ebenso wie der Wahlsieger von Japan, Yukio Hatoyama. Es kommt aber darauf an, den Kapitalismus zu verbessern, und nicht ihn zu verlassen. Eine Lehre ist zum Beispiel, dass es in der Marktwirtschaft schlechte Gleichgewichte geben kann: Die Zeiten sind schlecht, alle stellen sich darauf ein, und so wird daraus eine Erwartung, die sich selbst erfüllt. Das wussten wir auch schon früher. Aber die Krise hat uns daran erinnert, dass wir das Problem durch Regulierung anpacken müssen.

SZ: Angela Merkel sagte: Keine Bank darf so groß werden, dass sie die Regierung erpressen kann. Stimmen Sie ihr zu?

Shiller: Das ist in der Tat ein zentrales Problem. Wenn Unternehmen nicht mehr pleite gehen können, setzen sie nicht nur die Regierung unter Druck, sie behindern auch kleinere, innovative Unternehmen. Wie wollen Sie mit jemandem konkurrieren, der eine Staatsgarantie hat? In der Finanzkrise wurde das Problem noch verschärft. Die amerikanische Regierung hat nicht nur große Banken belohnt, sie hat sogar das Entstehen noch größerer Banken gefördert. Das Umgekehrte wäre richtig: Wir müssen über die Aufspaltung großer Banken nachdenken.

SZ: War es ein Fehler, dass die amerikanische Regierung die Bank of America gedrängt hat, Merrill Lynch zu übernehmen?

Shiller: Das Ergebnis ist jedenfalls eine Institution, die noch weniger pleite gehen darf. Ich habe keinen Plan, aber wir müssen das Problem lösen. Kartellpolitik ist ein integraler Bestandteil des Kapitalismus und sollte auf Finanzinstitute angewandt werden.

SZ: Kartellpolitik war in den vergangenen zwanzig Jahren nicht sehr populär in den USA.

Shiller: Wir haben dem Kapitalismus zu viel zugetraut. Deshalb sind Regulierungsbehörden nachlässig geworden, das hat zu Spekulationsblasen geführt. Alan Greenspan und sogar Ben Bernanke glaubten, dass Finanzmärkte effizient sind und klüger als jedes Individuum.

SZ: Ist die Theorie der effizienten Kapitalmärkte gescheitert?

Shiller: Ich habe diese Theorie bereits 1984 als "den größten Irrtum in der Geschichte ökonomischen Denkens" bezeichnet. Sie hat mit zu den Problemen geführt, die wir heute haben. Märkte sind nicht klüger als jeder Einzelne von uns. Die meisten Kursbewegungen sind bedeutungslos, sie haben nichts mit relevanten Informationen zu tun, sondern nur mit Moden und Verrücktheiten. Trotzdem war die Theorie irgendwann so sehr akzeptiert, dass man kaum einen Lehrstuhl bekam, wenn man nicht daran glaubte.

SZ: Theorien können also Krisen produzieren?

Shiller: Niemand konnte sich mehr vorstellen, dass Immobilienpreise fallen. Deshalb wurden all diese durch Hypotheken gedeckten Wertpapiere verkauft, deshalb bekamen sie Spitzennoten von den Ratingagenturen. Es erschien unvorstellbar, dass die Preise so stark einbrechen wie in der Weltwirtschaftskrise. Aber genau das ist geschehen.

SZ: Wenn die Theorie von den effizienten Märkten falsch ist, ist dann nicht auch das angelsächsische Modell des Kapitalismus gescheitert, das den Kapitalmärkten eine starke Rolle in der Wirtschaft zubilligt?

Shiller: Das glaube ich nicht. Sicher, Regierungen werden künftig mehr intervenieren. Aber im Übrigen ist in den vergangenen zwanzig Jahren doch eines klar geworden: Der Kapitalismus ist nicht perfekt, aber er funktioniert. China hat das entdeckt, Indien ebenso. Diese Erfahrung wird durch die Krise nicht aufgehoben.

SZ: Aber was ist mit der Rolle der Finanzmärkte, dem Kern des angelsächsischen Modells?

Shiller: Die Reformen sollten nicht darin bestehen, die Märkte zurückzudrängen. Im Gegenteil: Wir brauchen eine stärkere Rolle für die Märkte. Ich forsche seit vielen Jahren darüber, wie man die Immobilienmärkte verbessern kann. Meine Firma hat in diesem Jahr ein Papier herausgegeben, mithilfe dessen man auf sinkende oder steigende Immobilienpreise spekulieren kann.

SZ: Und was ist damit gewonnen?

Shiller: Kursbewegungen sind in sich selbst meist bedeutungslos. Aber sie sind Ausdruck der Entscheidungen von Menschen, die Geld verdienen wollen. Wenn sie das tun, schaffen sie Werte. Das ist Kapitalismus.

SZ: Und wozu dann Regulierung?

Shiller: Um die Menschen davor zu bewahren, über den Tisch gezogen zu werden und ihnen alle Informationen zu geben. Es ist wie im Supermarkt: Auch da werden die Hersteller gezwungen, auf die Packungen zu schreiben, was drin ist. Von selber tun sie es nicht.

SZ: Aber die Kritik am Kapitalismus geht ja viel weiter. Was ist mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich?

Shiller: Die Ungleichheit ist in der Tat ein Risiko für den Kapitalismus. Ich habe deshalb vorgeschlagen, den Steuertarif an die Einkommensverteilung zu binden. Wenn die Unterschiede zunehmen, steigen die Steuersätze für die Reichen.

SZ: Und glauben Sie, dass die Amerikaner diese Idee akzeptieren werden?

Shiller: (lacht) : Noch nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass so etwas Teil eines politischen Kompromisses sein könnte: Man öffnet auf der einen Seite Märkte, auf der anderen Seite tut man etwas gegen die Ungleichheit.

SZ: Aber hält der Kapitalismus denn Krisen wie die jüngste aus?

Shiller: Krisen bedeuten nicht das Ende der Welt.

SZ: Im vergangenen Winter schien das Ende der Welt nahe.

Shiller: Wenn man will, dass der Kapitalismus besser für die Menschen funktioniert, sollten die Methoden des modernen Risikomanagements nicht eingeschränkt, sondern ausgeweitet werden. Ich habe das einmal die "Demokratisierung des Finanzwesens" genannt.

SZ: Was bedeutet das in der Praxis?

Shiller: Zum Beispiel könnten Hypotheken emittiert werden, in die ein Rettungsplan für den Notfall eingebaut ist, dass der Schuldner nicht mehr zahlen kann. Wenn die Immobilienpreise fallen, muss auch die Schuldensumme sinken.

SZ: Eine Versicherung für Hauskäufer?

Shiller: Ja, genau.

SZ: Aber die Banken werden dafür einen Preis verlangen. Das macht die Bildung von Wohneigentum teurer.

Shiller: Zu Recht. Wenn das Risiko sinkender Preise einkalkuliert wird, beugt dies Spekulationsblasen vor. Dass wir es noch nicht können, ist eine der Ursachen der jetzigen Krise. Wer glaubt, dass die Preise zu hoch sind, hat keine Möglichkeit, diese Meinung am Markt zu äußern. Es sei denn, er verkauft sein Haus, und das ist oft nicht möglich. Moderne Derivate sind sehr effektive Instrumente, um Risiken zu streuen.

SZ: Aber kann es nicht bald wieder zu einem neuen Fall Lehman kommen, wenn jetzt noch mehr dieser Instrumente eingeführt werden?

Shiller: Nein. Meine Analogie ist der Untergang der Titanic 1913. Das Unglück war schlimm. Aber hat man hinterher aufgehört, Schiffe zu bauen? Natürlich nicht, man hat bessere Schiffe gebaut. Seither ist eine ähnliche Katastrophe nicht mehr passiert.

SZ: Ist das Schlimmste der Krise wirklich vorbei?

Shiller: Ja, aber uns stehen vier oder fünf schlechte Jahre bevor.

SZ: Sie erwarten fünf Jahre Rezession?

Shiller: Nicht notwendigerweise eine Rezession, aber eine Phase enttäuschenden Wachstums. Und ich hoffe, dass man die Zeit nutzt, um den Wert eines angemessen regulierten Kapitalismus zu erkennen. Das Problem dieser Krise ist, dass es so aussieht, als nütze der Kapitalismus nur den Reichen. Aber das ist ein Irrtum. Ja, im Kapitalismus muss es möglich sein, reich zu werden. Aber das System ist nicht für die Reichen da.

© SZ vom 07.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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