Risiken und Nebenwirkungen:Doktern am Beipackzettel

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Patienten und Ärzte klagen über komplizierte Erläuterungen. Lösungen sind aber schwierig.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Wer eine Packungsbeilage liest, um sich über Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten zu informieren, braucht gute Augen und Fachkenntnisse. "Umfragen zufolge kann jeder dritte Patient die Inhalte der Packungsbeilagen nicht verstehen, vor allem ältere Menschen", moniert Saarlands Gesundheitsministerin Monika Bachmann. Die Informationsfülle verunsichere, das Kleingedruckte bleibe ein unlösbares Rätsel. "Beipackzettel machen Angst und verleiten zum Abbruch von Therapien. Sie führen dazu, dass Tausende Medikamente jährlich im Mülleimer landen", klagt die Politikerin.

Es handelt sich um gesetzlich vorgeschriebene, gedruckte Informationen, die vom Medikamentenhersteller formuliert werden. Die Namen von Medikament und Wirkstoff müssen auftauchen, ebenso wann und wie oft sie einzunehmen sind, wie sie wirken, welche Wechsel- und Nebenwirkungen es geben kann. Die lange Liste vorgeschriebener Angaben und deren unverständliche Formulierungen provozieren schon lange Beschwerden. Seit 2006 existiert deshalb eine Arbeitsgemeinschaft Beipackzettel, in der Pharmaunternehmen auch mit Senioren- und Blindenorganisationen zusammenarbeiten.

Es geht auch um die Haftung der Pharmahersteller

Ziel ist der entschlackte Beipackzettel in verständlicher Form. Es geht um eine lesbare Schrift, auch um Optik. Besonders wichtig sei, auf Fremdwörter zu verzichten, kurze Sätze zu verwenden, nicht nur die Nebenwirkungen, sondern die Wirkung eines Medikamentes zu beschreiben. MSD, die deutsche Tochter des amerikanischen Pharmaunternehmens Merck, zum Beispiel, gibt an, seit 2009 über 30 Packungsbeilagen überarbeitet zu haben.

Seit zehn Jahren sind für alle Beilagen Tests zur Lesbarkeit vorgeschrieben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) prüft die Produkte, deren Beipackzettel, auch auf die Lesbarkeit. Das betrifft etwa 1500 Packungsbeilagen pro Jahr. "Die Beschwerden haben sich durchaus reduziert", heißt es beim BfArM. Insgesamt bewege man sich in einem besonderen Spannungsfeld. Der Patient solle einerseits leicht erfassbare Informationen erhalten, andererseits mit der Packungsbeilage vollständig über Vorteile und Risiken des Arzneimittels aufgeklärt werden. Die Packungsbeilage bleibe nämlich Grundlage für Haftungsfragen.

Darauf verweist auch Jörg Schaaber, Sprecher der Organisation Buko Pharmakampagne. "Die Beipackzettel sind eine reine juristische Absicherung der Pharmaindustrie", sagt er. Sie seien durch die Initiativen etwas besser als früher, aber immer noch nicht gut verständlich. Schaaber geht es nicht nur um die Lesbarkeit, sondern auch um eine bessere Information. Ganz oben auf den Zettel gehöre eine Auflistung von Nutzen und Schaden des Medikaments in leicht verständlicher Sprache. Das würde den Nutzen vieler Medikamente stark relativieren.

Als Beispiel nennt Schaaber die Statine, die bei zu hohem Cholesterinspiegel verschrieben werden. Diese seien für Patienten, die einen Herzinfarkt hinter sich haben, sinnvoll, für andere aber mit zu hohen Risiken wie etwa Muskelschwäche behaftet. Schaaber hält es grundsätzlich für falsch, dass die Beipackzettel von Pharmaherstellern formuliert werden. Bei älteren Medikamenten und Nachahmerpräparaten würden die Informationen zunehmend europaweit durch die Behörden vereinheitlicht und verbessert. Dies sei der Beweis, dass die Behörden dazu in der Lage seien.

Ähnliche Bemühungen, wie Bukopharma sie fordert, gibt es auch in den USA. Ein Team unabhängiger Forscher am Dartmouth College hat sich die Daten der amerikanischen Gesundheitsbehörde zum Nutzen von Medikamenten vorgenommen. Dann formulierten sie in einer möglichst klaren und einfachen Sprache einen kurzen Leitfaden, der Nährwerttabellen auf Lebensmitteln ähnelt, über Risiken und Nebenwirkungen sowie die Ergebnisse klinischer Studien. Sie untersuchten auch, ob diese Informationen für Patienten hilfreich sind und bekamen ein positives Feedback. Allerdings hat sich die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA den Empfehlungen der Wissenschaftler nicht angeschlossen.

Die Landespolitikerin Bachmann will sich auf Bundesebene für patientenfreundlichere Beipackzettel einsetzen. Diese würden mehr Treue zur Therapie und dadurch auch geringere Kosten versprechen. Nur wenn die Patienten verstehen, wann und wie lange sie ein vom Arzt verschriebenes Arzneimittel einnehmen müssen, sei die volle Wirkung des Medikaments gewährleistet.

Auch die Verbände der Pharmaindustrie sind mit dem Thema befasst. Am Ziel, die Packungsbeilagen wirklich allgemein verständlich abzufassen, werde immer noch gearbeitet, heißt es dort. Es erleichtere das Lesen der Texte sehr, wenn man sich mit den gängigsten Ausdrücken darin vertraut mache. Drei Tabellen zur Zeit der Einnahme, zu Fachausdrücken und zur Häufigkeit bei Nebenwirkungen sollen den Patienten auf die Sprünge helfen.

Zum Beispiel soll die Formulierung im Beipackzettel im Mund zergehen lassen bedeuten, die Tabletten möglichst nicht zu lutschen oder zu kauen, sondern am besten in die Backentasche oder unter die Zunge zu legen. Auf nüchternen Magen heiße, man sollte seit mindestens vier Stunden nichts gegessen haben (auch keinen Keks, kein Obst, keine Gummibärchen), man sollte auch nichts anderes als Wasser oder ungesüßten Früchtetee getrunken haben, also keine zuckerhaltigen (Limonade, Saft), fetthaltigen (Milch) oder koffeinhaltigen (Kaffee, Schwarztee, Cola) Getränke. Und man sollte nach der Einnahme mit dem Essen und Trinken noch mindestens eine halbe Stunde warten.

Seltene Nebenwirkungen treten bei 0,01 bis 0,1 Prozent der Behandelten auf, sehr seltene Nebenwirkungen bei weniger als 0,01 Prozent der Behandelten. Sogar um die Fortbildung der Lehrer hat man sich in der Pharmaindustrie bemüht, obwohl bislang der Beipackzettel in keinem Lehrplan auftaucht.

Ohnehin wenden sich viele Patienten im Internet-Zeitalter eher an Suchmaschinen, fragen also lieber Google als eine Packungsbeilage zu lesen. Immer mehr Patienten nerven ihren Arzt oder Apotheker mit ihren Erkenntnissen aus dem Netz. Und im Netz sehen sogar die Arzneimittelhersteller die Zukunft ihrer Beipackzettel. Siegfried Throm vom Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) meint: "Unser Verband kann sich vorstellen, dass die Gebrauchsinformationen nicht mehr den Packungen beiliegen, sondern im Internet abrufbar sind. Man könnte sie auf privaten Computern und Handys lesen oder sich in der Apotheke ausdrucken lassen."

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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