Rettungsdienst: Konkurrenz:Falken im Anflug

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Der dänische Rettungsdienst Falck streckt seine Klauen nach Deutschland aus. Die heimischen Platzhirsche sind davon jedoch wenig begeistert und warnen vor Kommerzialisierung.

Gunnar Herrmann

Retter oder Raubvogel? Welche Bedeutung der weiße Falke auf rotem Grund hat, der weltweit Krankenwagen und Feuerwehrautos schmückt, das hängt ganz vom jeweiligen Standpunkt ab. In Dänemark jedenfalls ist das stolze Tier seit mehr als 100 Jahren ein anerkanntes Symbol für Erste Hilfe. Gleichzeitig aber steht das Logo der Firma Falck auch für Wachstum und Profit.

Bereits 1906 eröffnete das Unternehmen seine erste Sanitätsstation in Kopenhagen. Heute betreibt es in Dänemark mehr als 80 Prozent aller Krankenwagen und Dutzende Feuerwehren, privatwirtschaftlich und auf Rechnung. Falck rettet - und verdient gut damit. Nun will das Unternehmen expandieren. Auch auf deutschen Straßen sollen bald Einsatzfahrzeuge mit dem weißen Vogel rollen.

In diesen Tagen sorgen die Helfer aus dem Norden bereits in Tirol für Wirbel, wo sie sich bei einer Ausschreibung um den Rettungsdienst beworben haben. Alteingesessene Hilfsorganisationen müssen fürchten, von dem Konzern aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Ähnlich wie in Deutschland gibt es in Österreich eine lange Tradition ehrenamtlicher Hilfe.

Ein Retter - das ist meist jemand, der in seiner Freizeit lange Stunden beim Roten Kreuz oder der Ortsfeuerwehr mit Training und Fortbildung verbringt. In Ländern wie Dänemark dagegen sind die Helden des Alltags meist Profis. Es sind zwei völlig verschiedene Blaulichtkulturen, die da aufeinanderprallen.

Das dänische Modell aber ist in Europa auf dem Vormarsch. In zehn Ländern von Spanien bis Finnland betreibt Falck schon Rettungsdienste oder Feuerwehren. Daneben hat das Unternehmen Sparten für Pflegedienste sowie Pannenhilfe und bietet auf fünf Kontinenten Sicherheitsschulungen etwa für Matrosen an.

Bisher nur ein Büro in Deutschland

Knapp 20.000 Mitarbeiter hat der stetig wachsende Konzern und erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von sieben Milliarden Kronen, knapp eine Milliarde Euro. Der Eigentümer Nordic Capital, ein Investmentfonds, denkt derzeit über den Börsengang nach.

Vor einigen Monaten haben die Dänen mit der Falck Rettungsdienst GmbH eine deutsche Tochter gegründet. Noch besteht sie hauptsächlich aus einem Büro. Aber schon bald will der Konzern sich an Ausschreibungen beteiligen und Dienstleistungen wie Notfallrettung und Krankentransporte anbieten.

Mit dem dänischen Falken kündigt sich ein Umbruch im deutschen Rettungsdienst an. Bislang war dieser Bereich unbestrittene Domäne der großen Hilfsorganisationen: Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter, Malteser, Arbeitersamariterbund. Private Firmen sind bislang die Ausnahme. In manchen Bundesländern sind sie durch das Rettungsdienstgesetz sogar ausdrücklich vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Wegen dieser "gesetzlich garantierten Monopolstellung der Hilfsorganisationen in vielen Ländern" habe Falck bislang keinen Sinn darin gesehen, seine Dienste in Deutschland anzubieten, sagt Christoph Lippay, Sprecher der deutschen Tochterfirma. "Aber im vergangenen Jahr deutete sich eine Änderung an." Lippay verweist auf ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, das voraussichtlich im Sommer entschieden wird.

Ein privater Unternehmer hat vier Bundesländer verklagt, um zu erzwingen, dass der Rettungsdienst künftig europaweit ausgeschrieben wird. Seine Chancen, den Prozess zu gewinnen, sind gut. Im europäischen Vergleich sei Deutschland mit seinen traditionellen, ehrenamtlichen Strukturen ohnehin ein "Ausnahmefall", meint Lippay.

"Rettungsdienst ist eine reine Dienstleistung, eine hauptberufliche Tätigkeit mit hohen Anforderungen." Das Ehrenamt sei auf Dauer nicht haltbar. Schließlich müsse man heutzutage schon eine zweijährige Vollzeitausbildung absolvieren, um als Verantwortlicher auf einem Rettungswagen fahren zu dürfen. Dies sei, sagt Lippay, "ein Markt, in dem man auch Gewinne erzielen kann".

Milliardenumsätze im Rettungsdienst

Die deutschen Hilfsorganisationen wüssten das und würden schon längst Geld mit dieser Dienstleistung verdienen. Mehr Wettbewerb würde da zu mehr Wirtschaftlichkeit führen und die Qualität steigern. Lippay zufolge steht der Rettungsdienst für etwa 1,5 Prozent der gesamten Gesundheitskosten in Deutschland.

Das hört sich wenig an, trotzdem geht es um große Summen. Dem DRK zufolge, nach eigenen Angaben mit einem Marktanteil von 50 Prozent Branchenführer, werden im deutschen Rettungsdienst insgesamt etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt. Doch Rettungsdienst sei eben keine bloße Dienstleistung, sondern "die Speerspitze des Bevölkerungsschutzes", sagt Johannes Richert, der beim DRK-Bundesverband den Bereich "Nationale Hilfsgesellschaft" leitet.

Richert sieht die aktuelle Entwicklung mit großer Sorge. "Hier geht es um eine Grundsatzfrage." Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, verweist Richert auf den Großeinsatz nach dem Amoklauf von Winnenden. Innerhalb von nur 20 Minuten seien dort neben dem "Regelrettungswagen" sechs weitere Fahrzeuge samt Personal angerückt. Die hohe Bereitschaft erreichen die Hilfsorganisationen nur dank ihrer ehrenamtlichen Kräfte.

Profis und Ehrenamtliche müssen zusammenarbeiten

Eine enge Verzahnung des Ehrenamts mit dem professionellen Rettungsdienst sei unabdingbar, damit das System funktioniere, meint Richert. Nur so könnten die Ehrenamtlichen beim Rettungsdienst mitfahren und regelmäßig in der Praxis trainieren. Im Ernstfall sei es überdies ein großer Vorteil, dass die Gefahrenabwehr auf einem einheitlichen System basiere, das die Freiwilligen "im Hintergrund vorhält".

Schließlich, meint Richert, würden sich kommerzielle Anbieter wohl die "Rosinen herauspicken" wollen - die Ballungsgebiete, wo sich dank kurzer Wege und hoher Patientenzahlen mit den Kassensätzen gutes Geld verdienen lässt. "Die Fläche würde leiden", prophezeit der DRK-Mann.

Das DRK lehne Ausschreibungen keineswegs ab, sagt Richert. Man sei nur dagegen, dass einzelne Dienste aus dem Gesamtpaket der Gefahrenabwehr herausgelöst werden. "Würden sie einen Einsatz wie Winnenden vergeben, würden sie ja nicht bloß den einen Regelrettungswagen ausschreiben, sondern auch die sechs anderen."

Dann aber hätten Firmen wie Falck, die über keine Freiwilligen-Organisation verfügen, kaum Chancen. Wie der EuGH entscheide, das sei in diesem Zusammenhang übrigens gar nicht so wichtig, so Richert. "Letztlich ist es eine politische Frage. Die Politiker müssen entscheiden, welche Art von System sie in Deutschland haben wollen."

© SZ vom 08.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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