Report:Pfadfinderlager für Erfinder

Lesezeit: 8 min

Wasser ist knapp auf den Balearen. Gründer auf Menorca entwickeln Lösungen.

Von Thomas Urban, Mercadal

Es ist ein schöner Effekt: Wenn das Wasser aufgedreht wird, leuchtet ein Ring aus grünen Dioden im Duschkopf auf, geht dann in Türkis über, ganz wie das Mittelmeer draußen vor der Tür bei Sonnenlicht. Nach ein paar Sekunden wird daraus Blau, dann Violett, schließlich glüht es feuerrot. Die Dusche mit den wechselnden Farben ist indes keine Spielerei zur Auflockerung der Körperpflege, sondern ein Projekt, das zum Sparen von Trinkwasser beitragen soll.

Erdacht hat sie der französische Ingenieur Gabriel Della-Monica aus Grenoble. Er kennt die Zahlen: Der durchschnittliche Europäer verbraucht pro Dusche 60 Liter Wasser - wenn er bei sich zu Hause ist. Wenn er aber den Sommerurlaub im heißen Süden in einem Ferienhaus oder einem Hotel verbringt, dann ist es zweieinhalb Mal so viel: 150 Liter Wasser, Trinkwasser. Denn nur solches darf durch die Leitungen von Wohnräumen fließen.

Der Franzose erhofft sich viel von seiner Erfindung. Der temperamentvolle 50-Jährige, der jünger aussieht, hat eine klassische Ausbildung als Ingenieur für Telekommunikation absolviert, war einst für Ericsson und Nokia tätig, später gehörte er zum Ingenieurteam im französischen Raumfahrtzentrum Guyana. Doch nirgendwo sah er sich am richtigen Platz: "Ich wollte nicht ein kleines Rädchen in einem großen Apparat bleiben, in dem riesige Expertenteams an einzelnen Projekten arbeiten, die wiederum nur Bauteile eines noch größeren Projektes konstruieren."

Der Auswahlprozess ist hart. Wer präsentieren darf, kann schon einiges vorweisen

Weil er eigene Ideen umsetzen wollte, gründete er das Start-up Hydrao. Der bunt leuchtende Duschkopf mit dem man Wasser sparen kann, ist eine seiner ersten eigenen Erfindungen. Im Juni hat er sie beim fünften Workshop "Decelera" auf der Baleareninsel Menorca vorgestellt. Mit ihm präsentierten noch 20 andere Gründer ihre Ideen. Für Della-Monica ist das allein schon ein Erfolg. Bis hierher schaffen es nur die wenigsten. Rund 500 Bewerbungen aus aller Welt gingen bei Marcos Martín ein, dem Chef von Decelera, einer Gesellschaft auf Menorca, die nachhaltiges Wirtschaften fördern soll.

Ein bisschen wie im Pfadfinderlager: Gründer beim Startup-Workshop Decelera im Juni auf Menorca. (Foto: Paula Jaume)

Martin, braungebrannte und durchtrainiert, hat früher für die EU-Kommission Analysen über fossile Energieträger erstellt, heute bringt er Start-up-Gründer mit potenziellen Investoren zusammen, die einen langen Atem haben und ebenfalls Nachhaltigkeit als Wert an sich ansehen. Bei den vergangenen vier Workshops auf Menorca konnten 43 Prozent der eingeladenen Start-ups Investoren gewinnen. Die sind mit insgesamt 82 Millionen Euro eingestiegen. Doch es geht ihm auch noch um etwas anderes: "Wir machen den Politikern klar, dass der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen nicht nur eine Frage der Moral und Vernunft ist, sondern sich auch finanziell lohnt."

Gleichzeitig versucht Martín, den Teilnehmern seiner Workshops nahezubringen, dass sie nicht jedes Finanzierungsangebot annehmen sollten. Denn die Gründerszene ist umlagert von Akteuren der Risikokapitalszene, die sich enorme Gewinnmargen erhoffen. Martín kennt reichlich Beispiele, bei denen kreative Köpfe sich die Rechte an ihren Projekten nicht nur viel zu billig abhandeln ließen, um das nötige Kapital für ihre Realisierung zu bekommen, sondern am Ende sogar hoch verschuldet dastanden, während ihre Geldgeber den Profit machten. Die Workshops bieten daher auch genügend Raum für die Gründer, sich über ihre Erfahrungen auf dem Kapitalmarkt auszutauschen, der für die meisten zunächst gefährliches Neuland ist.

Nur wenige der Teilnehmer weisen eine Berufserfahrung wie Gabriel Della-Monica auf, dessen Rat entsprechend gefragt ist. "Ich habe viel Lehrgeld als Firmengründer gezahlt, man hat Ideen, doch dann kommen Finanzhaie und Finanzämter, man kann sich schnell verheddern", sagt er.

In einem zweistufigen Verfahren wählte eine Jury die Start-up-Gründer aus. Voraussetzung für die Bewerber: Ihre Projekte müssen mindestens einem der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung entsprechen, die die Vereinten Nationen 2012 in Rio de Janeiro beschlossen haben. Ziele, die von der Sicherung des Friedens über Bekämpfung von Armut und Krankheit bis zum Schutz der Natur reichen.

Es ist kein Zufall, dass der Workshop auf der östlichsten Insel der Balearen seinen Platz gefunden hat. Denn die Regierung der "kleineren Insel" - der Name geht auf das lateinische "minor" zurück - hat sich vor einem Vierteljahrhundert dem sanften Tourismus verschrieben, im Gegensatz zu den lauten Nachbarn auf Mallorca, der größeren Insel.

Menorca, das ist auch eine Art Gegenprogramm zu Mallorca. Hier gibt es keine Partymeilen, keine Vergnügungsparks, keine Autobahn. Stattdessen Gäste, die nicht laute Zerstreuung, sondern echte Entspannung suchen. Wanderer können auf dem alten Saumpfad für berittene Boten und Lastesel die Insel umrunden, entlang an fjordartigen Naturhäfen mit Sandstränden, die zur Tiefenentspannung einladen. Das soll nach dem Willen der meisten Bewohner auch so bleiben. "Entschleunigung", so lautet deshalb das Motto für Menorca. Nichts anderes bedeutet auch der aus dem Lateinischen abgeleitete Name der mittlerweile hier etablierten Workshops für die Start-ups.

Sparsamer Duschen? Ein bunt leuchtender Brausekopf macht es möglich

Auf den ersten Blick wirkt der Workshop wie ein Pfadfinderlager: Alle Teilnehmer tragen türkisfarbene T-Shirts mit dem Decelera-Logo, nur auf dem Rücken ist ihre Funktion angegeben: Leitungsteam, Investor, Berater und "Start-up Hero" für die Firmengründer. Mit dem Zusatz "Held" soll auch ihr Mut gewürdigt werden. Denn erfahrungsgemäß scheitert die überwältigende Mehrheit der Start-ups in der IT-Branche.

Marcos Martin organisiert den Start-up-Workshop Decelera. Das Auswahlverfahren ist hart, von 500 Bewerbern bekommen nur etwa 20 eine Einladung. (Foto: Paula Jaume)

Die Gründer stellen in aufwendigen Animationen ihre Projekte vor. Della-Monicas Duschkopf sorgt an diesem lauen Sommerabend bei den Besuchern für Erstaunen, auch, weil alles so einfach aussieht. "Doch viel Geduld und Tüftelei waren nötig, bis ich die richtige Kombination aus Düsen, Rohren und Zahnrädern gefunden hatte", erzählt er. Die Farbgebung des Leuchtrings in den Duschköpfen lässt sich über eine App einstellen. Beispielsweise so: die ersten zehn Liter in Grün, dann in Zehn-Liter-Schritten weiter, bis nach 30 Litern die Alarmfarbe Rot aufleuchtet, die auf den Warmduscher psychischen Druck ausüben soll, den Wasserhahn zuzudrehen. Eine zusätzliche Anforderung dabei war: Die Duschköpfe sollten einfach zu montieren sein, also ohne Stromkabel oder Batterien auskommen. Della-Monica löste das Problem mit Hilfe des Wasserflusses, der genug Energie liefert, um die Duschköpfe zum Leuchten zu bringen. Nutzer können über eine App auch den Wasserverbrauch erfassen.

Erste Erfolge kann der Unternehmer bereits vorweisen. Die wichtigsten Hydrao-Kunden sind Hotelketten. Wasser ist dort ein hoher Kostenposten; eine Kontingentierung würden die meist auf "all inclusive" eingestellten Gäste jedoch übel nehmen. "Aber mein Psychotrick mit dem Rotlicht funktioniert", meint Della-Monica. Bei den Hotels von Disneyworld sei der Wasserverbrauch so sehr zurückgegangen, dass die Umrüstung sich bereits nach sechs Monaten amortisiert habe.

Die Gründer stellen sich gegenseitig ihre Projekte vor und tauschen Erfahrungen aus. (Foto: Paula Jaume)

Zu den Hydrao-Kunden gehören auch Verwalter von großen Sozialwohnblocks in den Außenbezirken mehrerer französischer Großstädte. Das Kalkül dabei: Wenn ihre einkommensschwachen Mieter weniger Geld für Wasser an die Stadtwerke zahlen müssen, ist die Chance größer, dass sie bei der Miete nicht in Rückstand geraten.

Tatsächlich haben die Inseln der Balearen ein gewaltiges Wasserproblem. Lösungen müssen her. Allein im vergangenen Jahr wurden auf Menorca 1,3 Millionen Touristen gezählt, das ist viel gemessen an gerade einmal 100 000 Einwohnern. Auf Mallorca waren es sogar zehnmal so viele. "13 Millionen, von denen jeder täglich 150 Liter Trinkwasser verbraucht", stellt der Franzose nüchtern fest, allein beim Duschen. Denn Tausende Swimmingpools auf Mallorca, für die ebenfalls nur Trinkwasser zugelassen ist, sind da nicht mitgerechnet. Hinzu kommen die Golfplätze, die jeden Tag bewässert werden. Im vergangenen Sommer mussten die Betreiber von drei Golfplätzen auf Mallorca zusammen fast eine Million Euro Strafe zahlen, weil sie illegal Grundwasser abpumpten.

Während Mallorca jedes Jahr neue Besucherrekorde meldete, schlug Menorca einen anderen Weg ein: 1993 bekam die Insel den Status eines Biosphärenreservats, nach und nach wurde fast die Hälfte der Gesamtfläche unter Naturschutz gestellt. Auf der "Insel der Ruhe" haben viele Lokalpolitiker keinen Zweifel: Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht. Noch funktioniert die Infrastruktur reibungslos, Strom- und Wasserversorgung sind nicht gefährdet. Beim Trinkwasser wollen es die Menorquiner keinesfalls so weit kommen lassen wie die Nachbarn nebenan: An manchen Ecken auf Mallorca stieß die Wasserversorgung 2018 an ihre Grenzen, die Kommunen mussten Tankwagen einsetzen. Da die Entsalzung von Meerwasser sehr teuer ist und sehr viel Energie frisst, ist nun Wassersparen angesagt.

Erfinder Gabriel Della-Monica lernt auf Menorca viel über Marketing - und wie man eine Paella zubereitet. (Foto: Thomas Urban)

Kein Wunder also, dass beim Decelera-Workshop jene Start-ups besonders gefragt sind, die hierzu einen Beitrag leisten. In diesem Jahr gab es dazu zwei Neuvorstellungen: neben dem Duschkopf wurde auch ein Projekt zur Aufbereitung von Abwässern vorgestellt. Azita Yazdani, Gründerin des Start-ups Exergy, kommt aus Kalifornien, ebenfalls eine Region mit immensem Wasserproblem. Ihre Firma hat ein System von Filtern und Membranen entwickelt, mit dem das Reinigen von Industrieabwässern optimiert wird und so eine mehrmalige Nutzung erlaubt. Es funktioniert sogar unter Extrembedingungen, etwa Toiletten in der Raumfahrt.

Unerfahrene Gründer können sich Rat bei erfolgreichen Unternehmern holen

Yazdani ist eine der wenigen Frauen in einer umkämpften Branche. "Ich habe gelernt, mich bei den Boys durchzusetzen!", sagt die Unternehmerin, deren Eltern einst aus dem Iran geflohen sind. Sie erlangte an der Universität Berkeley ein Diplom als Ingenieurin für Wasserwirtschaft und arbeitete zunächst in der Umweltbehörde von Kalifornien. Dort lernte sie rasch, dass die enorme Wasserverschwendung eines der Hauptprobleme der Region ist.

Auch ihr Projekt stieß beim Workshop sofort auf das Interesse von Vertretern der Inselbehörde für Wasserwirtschaft. Denn die Touristenregionen Spaniens haben ein wachsendes Problem mit Abwässern. Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich die Regierung in Madrid zu einer Strafe von 22 Millionen Euro verurteilt, weil die Kläranlagen von neun Kleinstädten und Gemeinden nicht den Anforderungen der entsprechenden EU-Richtlinie genügen. Zwar sind die Balearen davon nicht betroffen - sieben der Kommunen befinden sich an den Küsten Andalusiens. Doch auf Menorca macht man sich Gedanken, wie sich dieses Problem von Anfang an vermeiden lässt.

Lokalpolitiker, die über die Investitionen für Wassersparprojekte zu entscheiden haben, interessieren sich in gleicher Weise auch für Start-ups, die ihnen die Instrumente zur Aufbereitung von Daten liefern. Denn die können ihnen dabei helfen, Schwachpunkte aller Art in der Infrastruktur zu identifizieren. Der aus Bayern stammende IT-Experte Hans-Peter Güllich etwa hat sich auf Risikoanalysen vom Mikromanagement bis zur Makroökonomie spezialisiert. Er gehört bereits zu den erfahrenen und erfolgreichen Start-up-Gründern. Seine Avanon AG kaufte 2012 der Medienkonzern Thomson Reuters. Sein neues Projekt Dydon hilft dabei, große Textmengen auszuwerten. So können zum Beispiel Nachrichten auf sozialen Medien auf die Schieflage einzelner Wirtschaftssektoren, Branchen oder Firmen hinweisen, bevor entsprechende Informationen in den offiziellen Umlauf gelangen. "Die Nutzer von Twitter, Facebook, Instagram & Co. liefern Mosaiksteine zu einem Gesamtbild, aus dem sich Risiken ablesen lassen", erklärt Güllich. Die Instrumente von Dydon sind auch geeignet, Frühwarnsysteme für Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit sowie Umweltschutzvergehen zu entwickeln - auch für ein System, das Engpässe bei der Wasserversorgung voraussagt.

Marcos Martín, der Decelera-Gründer, möchte den meist jungen Firmenchefs aber noch etwas ganz anderes beibringen: Auch sie sollten ab und zu "entschleunigen", findet er. "Nur ein ausgeglichener, entspannter Mensch kann mit Erfolg für seine Ideen werben", erklärt er. "Manche hier sind in Gefahr, zum Nerd zu werden, der als Einzelgänger den Kontakt zum Leben verliert."

Auf dem Programm der Workshops steht daher auch Bewegung an der frischen Luft, beginnend frühmorgens mit Schwimmen im Mittelmeer. Gründerin Azita Yazdani nimmt solche Angebote gern an. Sie hat auf schmerzhafte Weise gelernt, dass sie sich öfter vom Computer lösen sollte. Bei einem Fahrradausflug ist sie gestürzt, weil sie untrainiert war. Gabriel Della-Monica engagiert sich in einer Gruppe, die das spanische Nationalgericht Paella für alle anderen zubereitet. "Eine ganz andere Art von Kreativität, bei der es ebenfalls auf Feinarbeit ankommt", sagt er.

Zentrale Programmpunkte sind auch Treffen mit alten Füchsen aus der Branche. Zu den profiliertesten Förderern gehört der in den Wirtschaftskreisen Spaniens bekannte argentinische Firmengründer Martín Varsavsky, der bislang auf den Feldern der Telekommunikation, Digital- wie Biotechnologie und Windenergie überaus erfolgreich war. Er besitzt eine große Finca in malerischer Lage auf der Insel und gibt den Gründern Ratschläge.

Diskutiert wird dabei auch über Marketingkonzepte. Erfinder Della-Monica profitiert davon. Die sehr technische Erläuterung der leuchtenden Duschköpfe hatte es bis dahin auf Youtube nur auf wenige Klicks gebracht. Er bekommt den Tipp, den Nutzen seiner Erfindung mehr herauszustellen. Auf seiner Webseite steht nun eine Zähluhr. Sie zeigt an, welche enormen Mengen an Trinkwasser seine Kunden gespart haben. Anfang Juli lag diese Zahl bereits bei fast einer Million Kubikmeter Wasser allein für das Jahr 2019 - eine Menge an Trinkwasser, die im Münchner Stadtgebiet und einigen umliegenden Gemeinden an drei Tagen verbraucht wird.

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: