Report:Neues Weltbild

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Der Buchhändler verkauft heute Moskitonetze, Räder - und auch Bücher. Die neuen Eigentümer sind zerstritten. Und die Belegschaft fürchtet sich vor Weihnachten.

Von Stefan Mayr und Dieter Sürig, Augsburg

Es gibt ihn noch, den riesigen roten Sonnenschirm. Er gehört zum Mobiliar etlicher Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten. Und er weist den Weg in eine der 68 verbliebenen Weltbild-Filialen. Draußen unter dem Schirm stehen sie schon, die Aktionstische mit den Schnäppchen - gleich hinter LED-Gartenleuchten und einer Auswahl Moskitonetze liegen auch ein paar Bücher.

Der Buchhändler präsentiert sich als Gemischtwarenladen.

Weltbild neu sieht aus wie Weltbild alt, anderthalb Jahre nach der Insolvenz des einst größten Filialisten im deutschen Buchhandel. Der Pleitefirma, die früher katholischen Bistümern gehört hat. Alles bleibt beim Alten - trotz Insolvenz, Sanierungsplans und eines euphorischen Investors, der den Weltbild-Beschäftigten vor einem Jahr viel versprochen hatte. Zu viel?

Doch in einem anderen Laden mit dem alten Weltbild-Logo hat eine neue Zeit begonnen: Hier erblickt der Kunde vor allem Bücher - kaum noch Gemischtwaren und Schnickschnack, im Fachjargon sind das die "Non-Books". Sieht so das neue Weltbild aus? Die freundliche Verkäuferin in Freising klärt auf, dass es sich hier um eine der 67 Filialen von "Lesensart" handelt, die Weltbild im Frühjahr an den Unternehmer Rüdiger Wenk abgestoßen hat.

Der Börsenverein des Buchhandels muss auf die Beiträge von Weltbild warten

Und die Weltbild-Leuchtreklame? Ja, sagt die Verkäuferin, die komme bald weg. Einige Aufkleber mit dem Schriftzug "Lesensart" an Verkaufstischen und Schaufenstern müssen als Provisorium herhalten, bis der Mietvertrag nicht mehr über Weltbild läuft. Kurios. Außen steht Weltbild dran, aber Lesensart ist drin, fünf Monate nach der Übergabe der Firma. Mehr noch: Lesensart betreibt die Shops, aber Weltbild zahlt teilweise weiter die Mieten.

Im Internet wird es noch skurriler: Wer die Seite www.lesensart.de ansteuert, landet auf der Weltbild-Seite und findet ein bemerkenswertes Sortiment: Vogelhäuschen, Insektenhotels, Fahrräder, auch Bücher. Willkommen im Weltbild-Chaos.

Die falschen Logos, Webadressen und alte Mietverträge sind kleine Puzzlestücke aus einem großen Bild von Pleiten, Pech und Pannen, die der einst mächtige Großbuchhändler Weltbild seit seiner Insolvenz im Januar 2014 durchlebt.

Erst verkaufte die katholische Kirche ihre bereits massiv abgespeckte Verlagsgruppe an den Düsseldorfer Walter P. Droege, der sich vom Unternehmensberater zum Investor entwickelt hatte. Droege taufte die Gruppe in "Weltbild Retail" um. Dann folgte die Filetierung: Die Logistik verleibte Droege seiner Also Holding AG ein. Und von den 135 Weltbild- und 17 Jokers-Filialen stieß er 67 defizitäre Läden ab, an den Geschäftsmann Rüdiger Wenk aus Ahaus. Es wird kolportiert, Wenk habe einen "Minus-Kaufpreis" bezahlt, er soll also zu den Läden Geld dazu bekommen haben. Hauptsache sei gewesen, Droege wurde die Verlustbringer los, so wird gemunkelt. Wenk und Droege äußern sich dazu nicht.

Es war nicht das letzte Mal, dass der einstmals so erfolgreiche Händler von Billigbüchern und Sonderausgaben die Buchbranche irritierte. Eine Verlagsleiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, formuliert es so: "Wenn das so weitergeht, wird Weltbild untergehen. Und dabei vermutlich einige Verlage mit hinunterziehen." Viele Verlage haben kräftig Umsatz gemacht, indem sie die Rechte für ihre aktuellen Bücher stark verbilligt an Weltbild abgaben, das diese als günstige Sonderausgaben weiterverkaufte - dieser lukrative Vertriebsweg könnte verschwinden.

Es deutet einiges darauf, dass die neuen Verantwortlichen bei Weltbild bisher nicht gerade glücklich agiert haben. Manche behaupten sogar, dass eine unsichere Lage dabei hilft, erst die Umsätze herunterzufahren, dann Leute entlassen zu können und mit Weltbild danach im kleineren Rahmen richtig Geld zu verdienen.

In der Buchbranche ist der Bestseller Weltbild längst zur Fußnote geschrumpft.

Als der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, vorige Woche im Haus des Buches in Frankfurt über einen leichten Umsatzrückgang von 2,2 Prozent berichtete, begründete er dies auch mit der "Weltbild-Krise". Das war ungewöhnlich, zumal sich die Hüter der Branche sonst lieber auf die Zunge beißen, ehe sie auch nur einen Namen nennen. Weltbild gleiche seit der Droege-Übernahme einer "Blackbox", findet Riethmüller später - alles sehr intransparent. "Ex-Chef Carel Halff hat Weltbild noch repräsentiert, und er war geachtet. Man wusste, woran man war." Und jetzt?

Heute hält Weltbild es nicht einmal für nötig, auf ein Hilfeangebot des Börsenvereins zu reagieren. Und anscheinend kann es sich Weltbild auch nicht mehr leisten, seinen Jahresbeitrag an den Börsenverein zu überweisen. "Die Mitgliedschaft von Weltbild war 2014 beitragslos, 2015 ist in der Klärung. Sie brauchen bis Juli Zeit, um sich zu sortieren", sagt Vereins-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis.

Weltbild teilt dazu lapidar mit: "Aktuell überprüfen wir alle Mitgliedschaften und werden dann entscheiden, welche sinnvoll sind." Wie hoch der offene Beitrag ist, verrät Skipis nicht. Geht man von 400 Millionen Euro Jahresumsatz aus und zieht davon ein Drittel Non-Book-Anteil ab, dann kommt man auf knapp 270 Millionen Buchumsatz. Dem Beitragsrechner des Börsenvereins zufolge, müsste Weltbild damit derzeit gut 35 000 Euro zahlen - im Jahr.

Der Betriebsgruppensprecher von Weltbild, Timm Boßmann, schüttelt da nur noch den Kopf. "Im Sparen sind sie groß", flachst er. Das habe die Geschäftsführung bereits bei der Raumpflege und den abgebauten Faxgeräten bewiesen. Dabei ist dem 48-Jährigen gar nicht zum Lachen zumute. Der Germanist und Journalist hatte einst als Werbetexter bei Weltbild angeheuert, war auch mal Marketingchef der Tochter Jokers und ist seit 2010 Betriebsrat. So etwas hat er noch nicht erlebt. Die Vertretung der Arbeitnehmer von Weltbild befindet sich seit Monaten im Rechtsstreit mit der Geschäftsführung. Die wollte im Herbst entgegen der anfänglichen Zusicherung von Droege 200 weitere Leute aus Retail und Logistik auf die Straße setzen. Gespart wurde an allen Ecken. Begründung: Die wirtschaftliche Situation sei schlechter gewesen, als es die Zahlen von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz suggeriert hätten.

Geiwitz hat den Laden im September 2014 an Droege verkauft, ist aber noch an Bord als Vertreter der Alt-Gläubiger. Sie halten 40 Prozent der Anteile an der neuen GmbH. Insidern zufolge gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Geiwitz und Droege - vor allem wegen des Umgangs mit den Mitarbeitern. Nach Droeges Einschnitten distanzierte sich Geiwitz überdeutlich von seinem Partner: "Das ist nicht mein Stil." Inzwischen sagt der Insolvenzverwalter auch: "Die Talsohle ist vorbei, die Kennzahlen zeigen, dass die Restrukturierung betriebswirtschaftlich greift."

Sogar im Clinch mit dem Betriebsrat kommen Droeges Abgesandte voran: Nach erfolglosen Gesprächen setzten sie beim Landesarbeitsgericht die Einrichtung einer Einigungsstelle durch. Diese wird bald über weitere Entlassungen entscheiden.

Die Betriebsräte fordern ein schlüssiges Konzept, das zeigt, wie man Weltbild vernünftig weiterführen könne. Neun Monate nach Antritt der Geschäftsführer Patrick Hofmann und Sikko Böhm seien die künftigen Strukturen von Weltbild immer noch unklar, beklagt Betriebsratschef Peter Fitz, 58. Trotz 60 Stunden Gesprächen mit dem Management seit vorigem Oktober.

Die Belegschaft sieht in den Managern von Droege Geschäftsführer ohne großen Entscheidungsspielraum, die jeden Schritt mit dem Big Boss in Düsseldorf abstimmen müssen. Das mache alles schwerer. Betriebsratschef Fitz ist mehr als enttäuscht. "Ich traue Herrn Droege nicht mehr", sagt er. Arbeitnehmervertreter Fitz ist lange bei Weltbild: Der IT-Kaufmann kam 1991 erstmals in den Betriebsrat, seit 2008 ist er Vorsitzender. Er ist besonnener als seine jüngeren Mitstreiter, aber man spürt seine Unruhe. Fitz fürchtet, dass noch mehr Jobs in Gefahr sein könnten, auch wegen der Weitergabe der 67 unrentablen Filialen.

Denn diese Verkleinerung trifft auch die ausgelagerte Logistik: "Durch den Filialabbau gibt es noch weniger zu tun, das wird doch konsequent betrieben, dass die Auslastung nicht besser wird." Das Management schaue nicht wie einst versprochen nach neuen Aufträgen von Dritten, kritisiert er. "Viele Mitarbeiter werden frühzeitig nach Hause geschickt, weil keine Aufträge mehr da sind." Ein Teufelskreis.

Ein indisches Magazin feiert Walter Droege als "Warren Buffett of Europe"

Von den verbliebenen 900 Arbeitsplätzen seien in den Läden 60 bis 70 und in der Logistik weitere 200 bis 250 Arbeitsplätze in Gefahr, glaubt Fitz. "Die 650, die bereits gehen mussten, waren noch notwendig, um das Unternehmen zu sichern", sagt Boßmann. Er gibt sich kämpferisch, als rede er auf einer Kundgebung: "Aber die 300 jetzt gehen völlig sinnfrei und werden dem Mammon von Droege geopfert."

Die Geschäftsführer bestätigen, dass im Einzelhandel "50 bis 60 Vollzeitstellen" abgebaut werden müssen. In der Einigungsstelle gehe es aber vor allem um "unsere innerbetriebliche Struktur und nicht mehr vorrangig um Personalabbau bei Weltbild". Ein Sprecher der Also-Eigentümer redet von einer "angespannten" Situation.

An der sei vor allem der Betriebsrat schuld, weil er eine Einigung blockiere. Das ist nicht alles: Überraschend hat Droege Ende Mai Unternehmensberater nach Augsburg geschickt. Ihr Auftrag: Prozessoptimierung. "Das wäre schon früher sinnvoll gewesen", kritisiert Fitz. Boßmann hat eine Erklärung: "Weil wir so vehement Widerstand geleistet haben, hat Droege jetzt ein Problem. Bis heute gelten alle Tarifverträge, es ist noch niemand entlassen worden. Jetzt muss er langsam gucken, wie er den Laden zum Laufen bringt, so dass er auch Umsatz macht. Damit sind die beiden Geschäftsführer überfordert."

Die frühere Zentrale in Augsburg steht nach der Insolvenz leer. (Foto: Marc Müller/dpa)

Der Unternehmer Walter Droege ist ziemlich verschwiegen und hat sich seit der Übernahme kaum zu Weltbild geäußert. Anfragen werden mit Allgemeinplätzen beantwortet: "Herr Droege glaubt an die Marke Weltbild, an den Erfolg des eingeleiteten Transformationsprozesses und die Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis der Multichannel-Strategie" - und solche Dinge. Statt auf Vorwürfe der Arbeitnehmer einzugehen, lässt Droege mitteilen, er sei von seinem Investment überzeugt und strebe "mittelfristig an, Weltbild komplett zu übernehmen".

Dem Investor Droege ist allerdings mittlerweile sein Buchhandelsexperte abhanden gekommen. Der erst im Oktober angetretene dritte Geschäftsführer Gerd Robertz ist bereits Mitte November wieder gegangen - im Management soll es Zoff wegen der Strategie gegeben haben.

Robertz war vorher bei der Weltbild-Internet-Tochter buecher.de, während Sikko Böhm aus dem Hause Droege kam und Patrick Hofmann von einem Elektrohändler. Dabei hatte Droege doch mal Wert auf Fachverstand gelegt. "Wer bei Restrukturierungen erfolgreich sein will, muss vor allem Erfahrung haben: Branchenerfahrung aus führenden Managementpositionen", hatte er 2009 in einem Interview gesagt.

Droege, der im Oktober 2014 vom Manager-Magazin mit einem Vermögen von 1,8 Milliarden Euro auf Platz 77 der reichsten Deutschen gelistet wurde, hat in den Augen der Belegschaft seit seinem Antrittsbesuch im Sommer 2014 in Augsburg einiges vergessen, so kommt es vielen vor. "Ein freundlicher älterer Herr, der uns Hoffnung gemacht hat", erinnert sich Fitz. Von Stellenabbau oder Kürzung des Werbeetats sei nicht die Rede gewesen. Droege habe Weltbild mit seinem 20-Millionen-Euro-Einstieg wieder aufbauen wollen.

Der heute 62-Jährige Droege hat seine Unternehmensberatung 1988 gegründet und damit 2014 in 120 Ländern 8,4 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Er ist vielfältig investiert: Neben der Also Holding AG gehört ihm die Trenkwalder-Gruppe. Zudem bot der passionierte Kunstsammler 2012 vergeblich für die Schlecker-Gruppe. Zum Imperium gehört auch die Dutech Holdings Limited in Singapur.

In seinem englischsprachigen Asien-Newsletter zitiert er ein indisches Magazin, das ihn als "Warren Buffett of Europe" feiert - also als Pendant zu dem erfolgreichen amerikanischen Investor.

"Fressgier ist uns völlig fremd", versicherte Droege vor drei Jahren in einem Interview des Manager-Magazins, als er gefragt wurde, ob er eine Heuschrecke sei. Trotzdem gibt es in Augsburg jetzt wieder erhebliche Zweifel an Droege und seinen Managern. Weltbild-Mitarbeiter befürchten, das diesjährige Weihnachtsgeschäft könne floppen - es macht etwa 50 Prozent von einem Jahresumsatz aus.

Schon im vergangenen Jahr sei der Etat für Marketing um 35 Prozent heruntergefahren worden. Nun komme hinzu, dass die Warenkreditversicherung Euler Hermes die Verträge aufgekündigt habe, was zu Vorkasse und Mengenbegrenzungen führen könne. "Euler hatte in der Insolvenz zu Weltbild gehalten", erinnert Boßmann. Aber nach der Übernahme seien die Umsätze dermaßen geschrumpft, dass sich Euler zurückgezogen habe. Heute sollen die Umsätze immer noch unter dem Niveau während der Insolvenzzeit liegen. "Das Fehlen der Warenkreditversicherung kann zur Katastrophe im Weihnachtsgeschäft führen", fürchtet Verdi-Gewerkschaftssekretär Thomas Gürlebeck.

Verdi bleibt skeptisch: "Die tun alles, damit der Umsatz sinkt."

Die Geschäftsführer reagieren gelassen: "Wir haben mit allen Lieferanten gute Vereinbarungen getroffen". Weltbild sieht sich für das Weihnachtsgeschäft "gut gerüstet". Die Finanzierung sei gesichert, das Werbebudget werde erhöht, auch für TV-und Radiokampagnen. Zu den Zahlen verraten sie lediglich, dass Umsatz und Ergebnis "leicht über Plan" liegen. "Wir haben es erreicht, die Verluste, die 2014 noch in dreistelliger Millionenhöhe in den Büchern standen, innerhalb eines Jahres zu minimieren."

Bleibt die Frage offen, warum es keinen neuen Warenkreditversicherungsvertrag gibt. Dann wäre doch alles einfacher.

Thomas Gürlebeck ist weiter skeptisch. Der Verdi-Mann scheut sich nicht, den neuen Weltbild-Geschäftsführern Vorsatz zu unterstellen. "Die tun alles, damit der Umsatz sinkt. Dann können auf dieser Zahlenbasis weitere Menschen entlassen werden", sagt er bei einer Betriebsversammlung. Hofmann und Böhm weisen dies energisch zurück: "Das entbehrt jeder Grundlage. Unser Ziel ist es, am Ende profitabel zu arbeiten." Dann buchstabieren sie das kleine Einmaleins der Betriebswirtschaft: Gehälter und Kosten müssten von den Erträgen finanziert werden, nicht vom Umsatz. "Nicht jeder Umsatz ist gesunder Umsatz", sagen sie und verweisen auf teure Marketingausgaben vor der Insolvenz.

Der Gewerkschafter hält dagegen. "Unsere Gleichung lautet: Mehr Werbung, mehr Umsatz, mehr Aufträge für Also".

Trotz einer Kundendatei mit neun Millionen Adressen, werde der Katalog nur noch in einer Auflage von 1,2 bis 1,9 Millionen Exemplaren gedruckt. Früher waren es bis zu 15 Millionen. "Der Buchmarkt wächst nicht mehr", argumentiert Weltbild, wenn es um Non-Books geht.

Wohl deshalb kann man nun beim Buchhändler Weltbild auf ein rosarotes Akkuschrauber-Set "Tussi-Traum" für 16,99 Euro stoßen. Bei Bedarf auch in Kombination mit dem Werkzeugkoffer "Tussi on Tour".

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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