Rente:Zum Glück gezwungen

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Arbeitsminister Heil will Selbständige zur Altersvorsorge verpflichten. Ende des Jahres soll dazu ein Gesetzentwurf kommen. Helfen wird der Vorstoß wahrscheinlich nicht allen Betroffenen.

Von Marcel Grzanna

Steinalt möchte fast jeder werden, solange die Gesundheit es zulässt. Doch in modernen Gesellschaften mit der Neigung zu eher kleinen Familien und großem Individualismus wird mit jedem Lebensjahr zusätzlich auch der finanzielle Bedarf größer, um ein würdiges Dasein zu erhalten. Wer keine Kinder hat, die ihre Eltern unterstützen können, muss sich den Rest seiner Tage auf staatliche, betriebliche oder private Altersvorsorge verlassen.

Als Sorgenkinder unter den Alten der Zukunft gelten nicht nur die Geringverdiener, sondern auch Freischaffende und Selbständige. Manche derer nehmen sich vor, einfach bis zum Tod zu arbeiten, um gar nicht erst vorsorgen zu müssen. Andere glauben bis zuletzt an den großen Durchbruch ihres Schaffens und einen damit einhergehenden finanziellen Segen und halten einen doppelten Boden in Form von langfristiger Geldanlage für spießig. Beides kann funktionieren, muss aber nicht.

Bisher mischt sich der Staat in diese Form der Freiheit nicht ein. Soll halt jeder machen, was er will und dann auch die Konsequenzen tragen, wenn die Strategie zur Verhinderung von Altersarmut fehlschlägt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das aber ändern. Er kündigte an, bis zum Ende des Jahres einen Gesetzentwurf einreichen zu wollen, der auch selbständig Berufstätige dazu verpflichten soll, in eine Altersvorsorge einzuzahlen. Er schiebt damit ein Vorhaben an, das der Koalitionsvertrag auf Seite 92 ankündigt.

Wie das Gesetz in der Praxis aussehen soll, steht zwar bisher noch nicht fest. Die Referenten haben gerade erst mit der Arbeit an dem Entwurf begonnen. Doch Heil deutete an, dass sein Konzept auf drei Säulen stehen könnte. Selbständige könnten demnach als Pflichtversicherte in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einzahlen, so wie es bei freiberuflichen Handwerkern heute schon zum Teil praktiziert wird. Das hätte auch den Vorteil, dass die Zahl der Beitragszahler ansteigen und der Bundeshaushalt dadurch entlastet würde.

Der Vorteil des geplanten Gesetzes: Es gibt mehr Beitragszahler

Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung sind im Bundeshaushalt seit Jahren die größte Ausgabenposition. Die Bundeszuschüsse addierten sich im Jahr 2018 auf 93 Milliarden Euro. 2021 sollen die Aufwendungen bereits bei mehr als 103 Milliarden Euro liegen. Der positive Effekt würde vor allem in der Zeit, in der die Babyboomer der Sechzigerjahre kurz vor dem Renteneintritt stehen, für Entlastung sorgen. Die zweite Möglichkeit in Heils Plan wäre eine Absicherung der Selbständigen über die Rürup-Rente. Im Gegensatz zur GRV wird sie nicht umgelegt von den Beitragszahlern auf Leistungsempfänger, sondern ist kapitalgedeckt durch die Einzahlungen des Versicherten.

Die Rürup-Rente bietet aber keine gesetzlich vorgeschriebene Garantiesumme. Sie bietet sogar Produkte, in denen der gesamte Sparbeitrag in Aktienfonds investiert werden darf und damit die Gefahr von Verlusten nicht ausgeschlossen werden kann. "Ich könnte also zu einem Zeitpunkt X nachweisen, dass ich laut Gesetzesvorgabe für mein Alter vorsorge, aber später trotzdem alles Geld verlieren, wenn ich ein hohes Risiko für meine Investition wünsche", sagt der Finanzmakler Jens Schuhmacher aus München. Die Idee einer gesicherten Altersvorsorge wäre unter diesen Umständen konterkariert. Es wäre eine Frage der Ausgestaltung, wie die Rürup-Rente in Heils Plan funktionieren könnte, glaubt Schuhmacher.

Dritte Variante wäre die Absicherung über ein Versorgungswerk, über das auch bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Anwälte oder Architekten verfügen. Der höhere Kapitalanteil macht auch sie zu einer attraktiven Alternative, aber auch zu einer "unfairen, da sie nicht allen offen steht", wie Professor Christian Hagist meint. Er ist Experte für Renten- und Gesundheitspolitik. "Der höhere Kapitalanteil bei den Versorgungswerken ist meistens die bessere Lösung für den Versicherten, weil am Ende mehr Geld für ihn herausspringt", sagt Hagist. Normale Arbeitnehmer aus anderen Berufszweigen haben nicht die Chance auf höhere Renditen. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein neues Versorgungswerk aufgebaut werden müsste oder ein bestehendes die Selbständigen integriert.

Der Teufel bei der Umsetzung des Gesetzes steckt im Detail. "Wer kontrolliert, dass die dann Pflichtversicherten wirklich einzahlen? Und wer übernimmt das Inkasso, wenn das nicht geschieht?", fragt Hagist. Doch selbst wenn diese Fragen beantwortet werden können, werden nicht alle glücklich werden mit dem Gesetz in spe. Wer lieber in Immobilien investiert oder sein Unternehmen verkaufen will, um seine Rente zu sichern, wird seine Strategie zur Altersvorsorge gegenüber dem Staat kaum geltend machen können, sondern ebenfalls künftige Beiträge leisten. Denn was würde geschehen, wenn Hausbesitzer ihr Eigentum, das sie als gesetzliche Altersvorsorge registriert hätten, verkaufen wollten? Dürften sie überhaupt verkaufen und über den Erlös aus der Veräußerung frei verfügen? Oder müssten sie einen Mindestanteil des Geldes als Rentenzahlung abtreten?

"Das Thema Rente ist in Deutschland emotional sehr stark belegt. Hohe Pensionen für Beamte, die keine Zahlungen leisten, betrachten normale Arbeitnehmer als ungerecht. Und auch die separaten Versorgungswerke von speziellen Berufsgruppen sind manch einem ein Dorn im Auge", sagt Finanzmakler Schuhmacher. Er glaubt, die Debatte könnte bereits entschärft werden, wenn die bestehenden Möglichkeiten an die Wünsche der Bürger, die er aus der täglichen Praxis gut kennt, angepasst würden. Beispiel Rürup-Rente: Hier sollte es seiner Meinung nach ermöglicht werden, sich zum Rentenbeginn einen Teilbetrag auszahlen zu lassen, was bislang nicht möglich ist. Auch müsste der Hinterbliebenenschutz ausgeweitet werden.

Doch viele Freischaffende könnten sich die Beiträge nicht leisten

Rentenexperte Hagist dagegen sieht in dem Prinzip der Verteilung von Beiträgen eines Einzahlers eine interessante Idee, wie sie zum Beispiel schon in Schweden realisiert wird. Die Versicherten zahlen einen standardisierten Beitrag, von dem ein Teil die Rentner von heute versorgt, ein anderer Teil aber kapitalgedeckt angelegt wird. "Es geht darum, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, aber auch nicht alle Eier aus einem Korb herauszunehmen", sagt Hagist. Deshalb hält er eine Form der Extrarente, wie es die Verbraucherzentrale VZBV nach dem Schweden-Modell ins Spiel gebracht hat, für eine mögliche und faire Lösung. Einig sind sich die Fachleute jedoch darin, dass es dem Ziel der Absicherung pensionierter Arbeitnehmer bereits helfen würde, den deutschen Sparern die Angst vor den Aktien zu nehmen. Weniger als zehn Prozent des Kapitalvermögens im Land stecken in Wertpapieren. Dabei ist ein breit gestreutes Aktieninvestment über einen langen Zeitraum hinweg, der für eine finanzielle Vorsorge fürs Alter eh benötigt wird, nachweislich ein sicheres Anlageobjekt.

Eine Konsequenz aus dem neuen Gesetz, sollte es denn kommen, wäre wohl, dass die Zahl der Selbständigen in Deutschland sinken würde. Denn die zusätzliche finanzielle Belastung durch die Pflichtversorgung würde die Existenzen vor allem jener Freischaffender mit eher niedrigen Einkünften gefährden.

Wer bei einem Monatsverdienst von 2000 Euro brutto aus selbständiger Arbeit künftig noch ein paar Hundert Euro in die gesetzliche Rente einzahlen soll, mag sich vielleicht zweimal überlegen, ob er länger selbständig bleiben möchte oder kann. Experten halten es deshalb für wahrscheinlich, dass sich ein Teil der bislang Gewerbetreibenden lieber auf dem Arbeitsmarkt umschauen wird, wenn Heils Plan durchs Parlament kommt. Angesichts der geringen Arbeitslosenzahlen, die in Deutschland gerade verzeichnet werden, stünden die Chancen für all jene aber sehr gut, am Ende nicht mit leeren Händen dastehen zu müssen.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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