Raumfahrt:Start an der Börse

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Der römische Raketenhersteller Avio sucht private Geldgeber am Parkett und will Branchen-Neulingen wie Space-X Paroli bieten.

Von Ulrike Sauer, Colleferro

Der Countdown endet am Montagmorgen. Um neun Uhr wird Avio, der Raketenhersteller aus dem Süden Roms, an der Börse in Mailand landen. Die Italiener werden das erste reine Raketenunternehmen sein, das Aktien in die Umlaufbahn bringt. Avio-Chef Giulio Ranzo betrachtet die Weltpremiere als symbolischen Einschnitt. "Unser Börsengang signalisiert, dass die Branche in ein neues Stadium tritt." Die Raumfahrt erlebt gerade einen Umbruch. Private Geldgeber pushen einen neuen Wirtschaftszweig.

Bei Avio ist schon vor zehn Jahren der Finanzinvestor Cinven eingestiegen - mit 82 Prozent. Nun macht er anderen Anlegern Platz. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Branche allein mit Steuergeldern finanziert wird, sagt Ranzo. Plötzlich tauchten neue Akteure auf. Allen voran: Space-X von Elon Musk, Blue Origin von Jeff Bezos und Virgin Galactic von Richard Branson. Die Milliardäre übertrumpfen sich mit kühnen Visionen. Wer von diesen Unternehmen überlebt, dies steht in den Sternen.

Die Italiener bringen jedes Jahr drei Trägerraketen des Typs Vega an den Start in Kourou/Französisch-Guayana. (Foto: oh)

Mit dem Börsendebüt hebt sich Avio, dessen Vorläufer vor 100 Jahren vom Turiner Autokonzern als Fiat Aviazione gegründet wurde, von der Konkurrenz ab. "Unser Unternehmen wird völlig transparent sein", sagt der 46-jährige Ingenieur. Ganz im Gegensatz zu den Wettbewerbern, von denen man nicht wisse, ob sie mit ihren Flugkörpern Geld verdienen.

Dank Avio gehört Italien zum kleinen Klub der Länder, die eigene Trägerraketen ins All schicken. Unter Ägide der Europäischen Weltraumorganisation Esa baut das Unternehmen in Colleferro südöstlich von Rom die Rakete Vega und ist am Bau der größeren europäischen Trägerrakete Ariane beteiligt, für die Avio Teile der Antriebsstufe liefert. Gute Wachstumschancen eröffnet dem Vega-Hersteller der Boom der Kleintransporte ins All. Weil die Menschheit heute überall mobil telefonieren und im Internet unterwegs sein will, schießt sie immer mehr kleine Satelliten in den Orbit. Pro Jahr absolvieren die Italiener bisher drei Vega-Starts vom europäischen Raumhafen in Kourou, Französisch-Guayana. Unter ihren Auftraggebern war 2016 auch der Internetkonzern Google.

Die Nachfrage steigt. 2016 zog der Umsatz bei Avio um 13,4 Prozent auf 292 Millionen Euro an. Die Investitionen wuchsen um 80 Prozent auf 24,5 Millionen Euro. Das Geld fließt in zwei neue Projekte: die Entwicklung von Vega C und Ariane 6. Bis Jahresende soll die Erweiterung des Avio-Werks in Colleferro abgeschlossen sein. Der Börsengang bringt nun 60 Millionen Euro in die Unternehmenskasse.

In der Fabrikhalle glänzt der nagelneue Raketenantrieb P120 im Neonlicht. Der Zylinder, mit zwölf Metern lang wie ein Boot, ist die größte jemals aus Carbonfaser hergestellte Antriebsstufe. Ranzo setzt hohe Erwartungen in den Prototypen einer neuen Generation. Er soll die Raketenstarts billiger machen. Die Italiener reduzierten das Gewicht des Antriebs um 40 Prozent. Die Raketen können so mehr Fracht befördern und benötigen weniger Treibstoff.

Die Konsequenz: Der Transport ins All wird rentabler. Zudem ist P120 dem Vorgängermodell ähnlich, was die Entwicklungskosten deckelt. "Der neue Antrieb stellt für uns eine doppelte Ersparnis dar", sagt Ranzo. Der technologische Vorsprung beim teuersten Raketenteil ist wertvoll, in der Raumfahrt tobt nun der Preiskampf.

Avio punktet bisher mit Zuverlässigkeit. Am 7. März startete in Kourou die neunte Vega-Rakete. Sie brachte den europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel 2B fehlerfrei in den Orbit. "Die Inder bieten ihre Flüge vielleicht günstiger an, dafür ist Avio besonders zuverlässig", sagt Ranzo. Die Erfolge des amerikanischen Rivalen Space-X erkennt er an. Elon Musk habe ein wettbewerbsfähiges Produkt auf den Markt gebracht. "Doch Musk hat auch seine Probleme", fügt er hinzu. Im vergangenen September verlor der kalifornische Tech-Visionär bei einem missglückten Start nicht nur die Rakete und den Satelliten, auch die Abschussrampe wurde zerstört. Vor zehn Tagen hat es Space-X aber geschafft, erstmals eine wieder verwendete Rakete zu starten. Ob es sich um den bejubelten Durchbruch in eine erschwinglichere Raumfahrt für alle handelt, müsse sich aber erst noch erweisen. Was es koste, die gebrauchten Module für den Wiedereinsatz herzurichten, bleibt Musks Geheimnis. "Den Weg in eine neue Ära der Raumfahrt bahnen wir mit dem P120-Motor aus Carbonfaser", kontert Ranzo.

Die Abenteuerlust der Weltraum-Milliardäre beeindruckt den Römer nicht sonderlich. Das Leben auf dem Mars, der Charterverkehr ins All, das alles sei faszinierend. Aber: "Heute besteht das Geschäft darin, Satelliten in den Orbit zu befördern und nicht darin, Touristen zum Mond zu bringen", sagt er.

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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